Der Hund der Baskervilles
von Arthur Conan Doyle
26.05.2023
- Klassiker
Der Hund der Baskervilles gehört zu den bekanntesten Werken von Arthur Conan Doyle und sticht sogar innerhalb des Sherlock-Holmes-Kosmos hervor. Doch worin liegt das Geheimnis dieses Erfolges?
Der Fluch der Baskervilles
Auf der reichen Familie Baskerville lastet schon seit Jahrhunderten ein Fluch: Seitdem ein Baskerville eine junge Frau in den Tod getrieben hat, scheint sich in dem das Familiengut umgebende Dartmoor ein mysteriöser Hund aufzuhalten, der nach und nach sämtliche Nachfahren in den Tod treibt.
Als der letzte lebende Abkömmling Henry Baskerville aus Kanada anreist, um sein Erbe anzutreten, bittet er unverzüglich Meisterdetektiv Sherlock Holmes um Hilfe. Doch kaum betritt er englischen Boden, häufen sich mysteriöse Ereignisse: Ein anonymer Brief warnt ihn davor, den abgelegenen Familiensitz in Beschlag zu nehmen und nach und nach verschwinden seine Schuhe. Zudem wird er von einem mysteriösen Fremden beobachtet, der sogar gerissen genug, ist Sherlock Holmes durch die Finger zu gleiten. Und als wäre dies alles nicht genug, treibt ein entflohener gefährlicher Sträfling sein Unwesen im Moor.
Während Dr. Watson den jungen Henry auf seinem Landgut begleitet, bleibt Sherlock in London und nimmt von dort aus die Ermittlungen auf. Auf dem Landgut angekommen stellt sich bereits früh die Frage, ob der Hund die wahre Bedrohung darstellt, scheinen doch die zahlreichen zwielichtigen Bewohner allesamt nicht ganz unschuldig an den Toden der Baskervilles zu sein …
Rückkehr aus dem Ruhestand
Eigentlich hatte sich Arthur Conan Doyle spätestens mit seinem Sammelband Die Memoiren im Jahre 1893 von Sherlock Holmes verabschiedet und seinen Detektiv mit dem wohlverdienten Heldentod in den Ruhestand geschickt. Zwar hatte Sherlock Holmes ihm zu Ruhm und Reichtum verholfen, doch er selber wollte als Schriftsteller nicht auf diese Figur reduziert werden. Jedoch blieben in den Folgejahren die großen finanziellen Erfolge aus, auch wenn er mit Reportagen über den Burenkrieg immerhin medial einiges an Aufsehen erregte.
Als er im Jahre 1900 mit einer alten Legende des Dartmoor in Berührung kam, inspirierten ihn diese Geschichten zu einem Detektivroman. Und wer wäre als Protagonist besser geeignet gewesen als Sherlock Holmes? (Ganz zu schweigen davon, dass sich mit einer Sherlock-Holmes-Geschichte wesentlich mehr Geld verdienen lässt) Um Widersprüche zu seinen letzten Abenteuern zu vermeiden, siedelte er die Geschichte innerhalb des Holmes Kosmos noch vor dessen letzten Auftritt an.
Nachdem die Geschichte zunächst als Fortsetzungsgeschichte im Strand Magazine und 1902 dann in Buchform erschien, überzeugte der immense finanzielle Erfolg Doyle davon, Holmes wieder auferstehen zu lassen – doch dies ist eine andere Geschichte.
Bruch mit alten Mustern
Wer die Vorgängerbände bereits gelesen hat, weiß im Grunde schon, was einem in diesem Band erwartet: Ein entschleunigter Kriminalroman, der vor allem durch das Zusammenspiel seiner beiden Hauptfiguren überzeugen kann.
Sherlock Holmes überzeugt ein weiteres Mal in seiner Parade-Rolle als arroganter und egozentrischer, aber auch genialer Detektiv, der für den großen Auftritt lebt und so gut wie jedes Rätsel zu lösen versteht. Es versteht sich von selbst, dass Holmes nicht viel von alten Folkloren oder übernatürlichen Phänomenen hält, sondern schon bald der Wahrheit auf der Spur ist. Doch wie passt diese Figur in diesen Roman, ohne die geheimnisvolle Atmosphäre des Dartmoor zu zerstören?
Die Antwort ist in diesem Fall ganz einfach, nämlich gar nicht. Arthur Conan Doyle bedient sich dazu eines einfachen Kniffes und lässt den Detektiv kurzerhand für weite Teile des Romans verschwinden.
Dr. Watson, übernehmen Sie!
Kritisierte ich noch in meiner vorherigen Rezension die mangelnde Präsenz von Dr. Watson, ist nun das Gegenteil der Fall. Stattdessen übernimmt Watson – wie schon in den Vorgängerbänden der Chronist des Geschehens – die Hauptrolle und begleitet Sir Henry Baskerville alleine ins Dartmoor. Dieser Kniff ermöglicht es Doyle, einen Schleier des Zweifels und Unbehagens um die Geschehnisse zu legen und den Leser lange Zeit über die wirklichen Geschehnisse im Unklaren zu lassen.
Auch wenn Watson ganz sicher kein Hasenfuß ist, so ist er doch wesentlich empfänglicher für die Mysterien, die diesen Landstrich umgeben. Und das Dartmoor ist voll davon, schließlich ist ein Moor mit Nebel, geheimnisvollen Gestalten und mysteriösen Schreien wie geschaffen für einen verzwickten Detektivroman. In diesen Abschnitten erinnert der Roman mit seiner leichten Grusel-Atmosphäre bisweilen sogar an eines klassische Gothic Novel in der Tradition eines Sheridan Le Fanu.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Watson wichtig. Während Sherlock Holmes ein gewisser Ruhm vorauseilt und bei den zwielichtigen Bewohnern des Dartmoor Argwohn hervorgerufen hätte, benehmen sie sich Watson gegenüber wesentlich ungezwungener – dies ermöglicht es ihm, an Informationen zu gelangen, die einem Sherlock Holmes sonst verschlossen gewesen wären.
Endlich eine Lösung
Man muss Doyle für diese Entscheidung beglückwünschen. Es ist ihm sicherlich nicht leicht gefallen, den Roman so zu konzipieren, widerspricht dies doch dem bisherigen Muster einer Holmes-Geschichte. Normalerweise leben seine Romane davon, dass wir als Leser gemeinsam mit Watson die akribische Arbeit eines Sherlock Holmes bewundern. Während er in seiner letzten Kurzgeschichtensammlung noch vergeblich nach einem Mittel gesucht hat, um die sich anbahnende Eintönigkeit zu vermeiden, scheint er mit diesem Roman endlich eine Lösung gefunden zu haben.
Entschleunigtes Erzähltempo
Woran sich der heutige Leser gewöhnen muss, ist das äußert gemächliche Tempo der Erzählung: Während das Potential für einen actionreichen Thriller/Horror-Roman vorhanden wäre, verzichtet Doyle auf jede künstliche Beschleunigung und lässt seine Figuren (fast) nie die Ruhe verlieren. Egal ob Mord, Verfolgungsjagden oder Drohungen, die Figuren agieren mit einer nahezu unheimlichen Gelassenheit. Diese Entschleunigung muss man mögen – ich jedenfalls freue mich jedes Mal, zumindest auf diese Weise dem hektischen Alltag zu entfliehen.
Für zusätzliche Abwechslung sorgen zudem noch einige Passagen, die in Brief- oder Tagebuchform geschrieben wurden. Die Wortwahl hingegen ist für einen Roman dieses Alters recht einfach und auch für den heutigen Leser noch gut zu verstehen.
Was bleibt?
Der Hund der Baskervilles von Arthur Conan Doyle sticht nicht ohne Grund sogar im Holmes Kosmos hervor: Der Fokus auf Dr. Watson ermöglicht es Doyle, eine mystische und bisweilen sogar gruselige Atmosphäre heraufzubeschwören. In einem erstaunlich entschleunigten Tempo legt Doyle einen Grusel-Krimi vor, der nicht ohne Grund Generationen von Lesern begeistert hat. Wer auf knallharte Action-Szenen verzichten kann, wird mit diesem Roman seine wahre Freude haben!
Schöne Geschenkausgabe
Auch der vierte Band der Sherlock-Holmes-Reihe aus dem Coppenrath Verlag kann durch seine liebevolle Gestaltung überzeugen. Der klassisch gestaltete Buchrücken reiht sich nahtlos in das Design der Vorgängerbände ein und die vielen kleinen Illustrationen und die besondere Gestaltung von Briefen oder Tagebucheinträgen lockern den Text für uns Leser auf. Darüber hinaus dürfen wir uns natürlich auch über ein Leseband freuen.
Auch in diesem Band erwarten uns zahlreiche kleine Gimmicks, die wieder einmal liebevoll gestaltet wurden – in meinen Augen aber überflüssig sind. Zu beachten ist, dass es sich hierbei um eine Geschenkausgabe für den Massenmarkt handelt. Die verwendeten Materialien sind zwar nicht billig, aber um die höchste Güteklasse handelt es sich auch nicht. Angesichts des mehr als fairen Preises ist dies allerdings auch zu verkraften.
Wie auch bei den Vorgängerbänden wurde eine Übersetzung aus dem Jahre 1903 zugrunde gelegt, die von Claudia Pastors bearbeitet wurde. Das weder Quelle noch Umfang der Überarbeitung offengelegt werden, trübt leider den guten Gesamteindruck – wenn man schon so sehr um politische Korrektheit bemüht ist (und der Anhang deutet darauf hin), dann hätte man wenigstens die Arbeitsgrundlage nennen können.
Werke von Arthur Conan Doyle
Pro/Contra
Pro
- entschleunigte Handlung
- Dr. Watson überzeugt als Hauptfigur
- spannender (Grusel)-Krimi
Contra
- Holmes-Fans könnten über die langen Abwesenheitszeiten von Sherlock Holmes enttäuscht sein
- der ursprüngliche Übersetzer wird (wieder einmal) ignoriert
Fazit
Der Hund der Baskervilles zählt nicht ohne Grund zu den bekanntesten Romanen von Arthur Conan Doyle. Für Fans sowieso unverzichtbar, für neugierige Leser möglicherweise sogar ein besserer Einstiegspunkt als eine Studie in Scharlachrot!
autor: Arthur Conan Doyle
Titel: Der Hund der Baskervilles
Seiten: 272
Erscheinungsdatum: 1901
Verlag: Coppenrath Verlag
ISBN: 9783649642237
übersetzer: Unbekannt
illustratorin: Stefanie Bartsch
Reihe: Sherlock Holmes (4)
Oh ja, die Ausgabe habe ich auch im Bücherschrank. 🙂 Tatsächlich erst seit Kurzem, weil ich sie auf der Leipziger Buchmesse am Stand des Coppenrath Verlags gesehen habe und unbedingt haben musste. Gelesen habe ich den Roman allerdings schon früher mal (in einer sehr sehr schmucklosen, aber natürlich trotzdem zweckdienlichen Ausgabe).
So wie du schon gesagt hast, fand ich den angenehm anderen Ansatz (Watson übernehmen Sie usw) erfrischend. Natürlich denkt man mit heutiger Lesegewohnheit – na so neu ist das ja nicht den Detektiv verschwinden zu lassen. Aber ich mochte es trotzdem sehr.
Sherlock Holmes ist für mich immer eine kleine Zeitreise oder jedenfalls ein entschleunigendes Ereignis in unserer hektischen Zeit. 🙂
Ich kenne mich mit Krimis nicht genug aus, um das wirklich gut beurteilen zu können, aber damals wird er die Massen mit diesem Schachzug bewegt haben! (Nicht auszudenken was passieren würde, wenn Doyle in unserer Zeit Romane verfassen müsste…)