
In fernen Gefilden
von Joanna Russ
27.06.2025
- Phantastik
- ·
- Science-Fiction
Joanna Russ verfasste zahlreiche preisgekrönte Romane und Kurzgeschichten. In einer Zeit, in der Frauen noch als absolute Randerscheinung galten, setzte sie sich als Autorin und Kritikerin phantastischer Werke durch. Mit In fernen Gefilden liegt nun eine Auswahl ihres beeindruckenden Schaffens vor.
Die Alyx-Erzählungen
In der ersten Geschichte Blaustrumpf möchte eine junge Frau einer arrangierten Ehe mit einem fragwürdigen Ehemann entkommen. Sie wendet sich an die Auftragsmörderin und Diebin Alyx, die ihr widerwillig hilft. Die Flucht soll beide Frauen verändern …
„Ich dachte, sie hätte Angst, bis sie mir über den Bart strich“ spielt einige Jahre vor der ersten Geschichte. Alyx entkommt einem gewalttätigen Ehemann und muss sich als Frau unter Seefahrern behaupten. In Die Barbarin erpresst ein Zauberer Alyx: Sie soll einen Mord begehen, doch von Anfang an geht einiges schief…
Das Herzstück dieses Bandes bildet die Novelle Picknick auf Paradies: Auf dem von extremen Bedingungen geprägten Planeten Paradies bricht ein Handelskrieg aus. Alyx – mittlerweile Zeitagentin – soll eine Reisegruppe an einen sicheren Ort bringen. Eine Ansammlung von wehleidigen und verweichlichten Touristen stellt dabei noch ihr geringstes Problem dar.
Die zweite Inquisition spielt im Amerika der 1920er Jahre. Ein Ehepaar nimmt eine hochgewachsene Frau bei sich auf, die ein Geheimnis zu verbergen scheint. In der abschließenden Geschichte Eine Vlet-Partie muss sich Alyx einem komplexen Brettspiel stellen, das einen gewaltigen Einfluss auf die Gesellschaft ausübt.
Pionierin der Phantastik
Joanna Russ gilt als eine Pionierin der weiblichen phantastischen Literatur. Sie trug entschieden dazu bei, ein von Männern dominiertes Genre zu öffnen und das Science-Fiction-Genre aus der Pulp-Ära zu hieven. Sie wuchs als das Kind von Akademikern auf, studierte Anglistik und wurde schließlich Professorin an der University of Washington.
Ihr Werk wurde mit praktisch allen relevanten einschlägigen Preisen ausgezeichnet und umfasst zahlreiche bedeutsame feministische Werke. Berühmt wurde sie vor allem für die Novelle Picknick auf Paradies (1968) und den Roman The Female Man (1975). Als Literaturkritikerin und -theoretikerin wurde sie ob ihrer schonungslosen Art gleichermaßen verehrt wie gefürchtet. Doch welche Rolle spielt sie heute noch?
Wilder Genre-Mix
Die vorliegend abgedruckten Alyx-Erzählungen können ihrem erzählerischen Frühwerk zugeordnet werden. Es handelt sich um lose miteinander verbundene Geschichten, in deren Mittelpunkt die Diebin, Auftragsmörderin und Zeitreisende Alyx – eine Art feministische Pulp-Heldin – steht.
Dabei erwartet uns eine wilde Mischung: Zu Beginn handelt es sich um klassische Sword-and-Sorcery-Geschichten, die schon bald von Science-Fiction Elementen überlagert werden. Die zweite Inquisition wirkt hingegen wie eine Realsatire, während die letzte Geschichte von experimentellen Elementen dominiert wird.
Ihre Geschichten stellen erwartungsgemäß auch – aber nicht nur – die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft in den Mittelpunkt. Russ spielt dabei mit den Konventionen der jeweiligen Genres und bewegt sich immer auf dem schmalen Grat zwischen Satire und Ernsthaftigkeit. Dass das Pendel das eine oder andere Mal in eine Richtung ausschlägt, ist völlig in Ordnung – insgesamt handelt es sich um intelligente und gut erzählte Geschichten mit einem ernsthaften Hintergrund.
Wenn man etwas kritisieren möchte, dann, dass die Geschichten in ihrer Gesamtheit nicht konsistent sind. Russ verändert mit jeder Geschichte entscheidende Details, sodass es sich letztlich nicht um sechs Erzählungen über eine Alyx, sondern um sechs verschiedene Versionen von Alyx handelt.
Das ist gerade für Geschichten aus dieser Zeit nichts Ungewöhnliches, aber das Ausmaß der Veränderungen ist doch bemerkenswert. Ob das von Anfang an so geplant war, darf bezweifelt werden – entscheidend auf den Genuss der Geschichten wirkt es sich aber auch nicht aus.
Handwerklich makellos
Handwerklich kann man der Autorin nur wenig vorwerfen: Sie hat eine starke Erzählstimme und beherrscht die Kunst des Schreibens. Sie weiß, wann man welchen Satzbau verwenden sollte und was für eine Wirkung man damit erzielt. Ihre Dialoge sind sehr lebendig, die Action-Szenen in Ordnung, reißen uns Leser aber auch nicht vom Hocker. Insgesamt herrscht ein locker-leichter Erzählton, der teilweise einen harten Kontrast zu den dargestellten gesellschaftlichen Missständen bildet.
Was mir wirklich gut gefällt, ist ihr spielerischer Erzählansatz: Immer wieder werden wir von ungewöhnlichen Satzelementen überrascht, die den Text lebendig machen (z.B. in Form von Klammerzusätzen, die mal zur Handlung gehören und mal von der Erzählerin stammen).
Rezensionen und Essays
Als Kritikerin erweist sich Russ als erstaunlich schonungslose und provokante Gegnerin des Durchschnitts. In ihren Rezensionen äußert sie unverblümt Kritik an ihren Kollegen und wird dabei teilweise sehr persönlich. Jede einzelne Rezension würde heute wohl einen Shitstorm und einen Boykott ihrer Werke auslösen – was die Lektüre natürlich umso unterhaltsamer macht.
Dies setzt sich auch in ihren Essays fort. Der erste Aufsatz „Tagtraumliteratur und Science Fiction“ stellt dabei leider nur eine Anbiederung an die Art von Menschen dar, die zwischen U und E unterscheiden. „Das Frauenbild in der Science Fiction“ ist hingegen äußerst erhellend und unterhaltsam.
Was bleibt?
In fernen Gefilden von Joanna Russ stellt einen gelungenen Auftakt ihrer Werkausgabe dar. Handwerklich schreibt sie gut bis überragend, inhaltlich spielt sie mit den Konventionen der phantastischen Literatur. Darüber hinaus trug sie mit ihrer kritischen Stimme entscheidend zur Weiterentwicklung der phantastischen Literatur bei.
Die Gesamtschau aus Geschichten, Rezensionen und Essays vermittelt einen umfassenden Einblick in ihr Schaffen. Eine gute Gelegenheit, eine hierzulande zu wenig bekannte Autorin kennenzulernen – ich freue mich schon auf die nächsten Bände!
Angemessene Werkausgabe
Rein äußerlich gibt es an diesem Paperback aus dem Carcosa Verlag wenig zu kritisieren. Es besteht aus hochwertigen und stabilen Materialien, die jeden Cent wert sind – auch wenn das Buch insgesamt ein wenig über den marktüblichen Preisen liegt. Das von Benswerk gestaltete Cover gefällt in seiner minimalistischen Gestaltung und auch im Inneren erfreut sich das Leserauge über einen angenehmen Satz.
Neben den Alyx-Erzählungen erwarten uns eine Reihe von höchst unterhaltsamen Rezensionen und zwei nicht weniger unterhaltsame Essays. Abgerundet wird der Band durch ein Nachwort von Jeanne Cortiel. Insgesamt kann man diesen Band nur loben, hier waren von Anfang bis Ende Profis am Werk. Bleibt zu hoffen, dass dieser Standard in den nächsten Bänden der Werkausgabe beibehalten wird.
Bibliographie
Pro/Contra
Pro
- Interessanter und spielerischer Stil
- Schonungslose Kritikerin des Genres
- Gelungener Auftakt der Werkausgabe
Contra
- Geschichten in sich nicht konsistent
Fazit
In fernen Gefilden stellt einen gelungenen Auftakt der Werkausgabe von Joanna Russ dar. Der Band kann inhaltlich, historisch und editorisch überzeugen. Wer sich für die Science-Fiction Literatur und ihre Wurzeln interessiert, wird an diesem Band nicht vorbeikommen.
autorin: Joanna Russ
Titel: In fernen Gefilden
Seiten: 390
Erscheinungsdatum: 1967 – 1974
Verlag: Carcosa Verlag
ISBN: 9783910914186
Übersetzer: Erik Simon, Hannes Riffel
illustratoren: –
[…] In fernen Gefilden Damit stellt uns Eugen den Kurzgeschichtenband mit den Alyx-Erzählungen von Joanna Russ vor, einer Pionierin der Science-Fiction-Literatur. […]