Ein Buch auf einem Holztisch.

In einem anderen Land

von Ernest Hemingway


23.05.2024

  • Klassiker

In einem anderen Land (A Farewell to Arms) von Ernest Hemingway gehört wohl zu den berühmtesten Romanen des polarisierenden amerikanischen Schriftstellers.

Die Welt zerbricht jeden

Hemingway versetzt uns in das Jahr 1917. Der Amerikaner Frederic Henry hat sein Studium in Rom abgebrochen und sich im Ersten Weltkrieg als Sanitätsoffizier auf die Seite der Italiener geschlagen. Er wird an die italienisch-österreichische Grenze versetzt und lernt dort die britische Krankenschwester Catherine Barkley kennen und lieben.

Als er bei einem Angriff schwer verletzt wird, verlegt man ihn in ein Lazarett in Mailand – wie es der Zufall so will, auch Catherines nächste Einheit. Die Zeit vergeht, Catherine wird schwanger, Frederic gesund. Letzterer findet sich schon bald an der Front wieder, doch das Leben hält noch viel größere Herausforderungen für die beiden bereit …

Eigene Front-Erfahrungen

Wie so oft kann Ernest Hemingway auch hier aus eigenen Erfahrungen schöpfen: Auch er meldete sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges freiwillig beim Internationalen Roten Kreuz – die reguläre militärische Laufbahn war ihm aufgrund eines Augenleidens verwehrt – und landete als Sanitäter und Fahrer an der italienisch-österreichischen Front. Doch schon kurz nach seiner Ankunft wurde er schwer verletzt, verliebte sich im Lazarett in eine Krankenschwester und begann eine kurzweilige Affäre mit ihr.

In einem anderen Land veröffentlichte er erst 1929, also gut 10 Jahre nach seinen eigenen Erlebnissen und nur wenige Jahre nach seinem internationalen Durchbruch. Der Roman gilt als eines der wichtigsten Werke Hemingways und als Klassiker der Anti-Kriegsliteratur. Doch lässt sich das aus heutiger Perspektive auch noch sagen?

Wider der Oberflächlichkeit

Widme ich mich Hemingway, so bin ich immer wieder fasziniert von den Kontrasten, die von seiner Person ausgehen und dann enttäuscht von mir selbst ob meiner eigenen oberflächlichen Gedanken. Natürlich weiß ich aus eigener, tagtäglicher Erfahrung, wie (vermeintlich) widersprüchlich und komplex das eigene Dasein doch ist, wie verworren Lebenswege sein können und dass man Menschen nicht auf einige wenige Aspekte reduzieren darf und kann. Und dann bin ich doch jedes Mal überrascht, dass so ein Lebemann mit machohaften Zügen ein feinfühliges Meisterwerk nach dem anderen verfasst hat.

Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt: Hemingway macht es uns dieses Mal alles andere als leicht und vermutlich hat ein Stück meiner Abneigung auch etwas mit dem Zeitgeist zu tun. Ich persönlich hatte noch nie Granatsplitter in meinen Knien, schätze aber, dass die heutige Behandlung eher weniger mit unzähligen Flaschen verschiedenster hochprozentiger Getränke, unzähligen Zigaretten und amourösen Begegnungen in verlassenen Krankenhauszimmern zu tun hat.

Hölzerne Liebesgeschichte

Apropos amouröse Begegnungen: Die Liebesgeschichte zwischen unserer Hauptfigur und der Krankenschwester Catherine Barkley hinterlässt bei mir ambivalente Gefühle. Die Begegnungen und Gespräche der beiden bewegen sich immer am Rande von Extremen. Einige Szenen gehören zum Besten, was ich jemals gelesen habe und sind extrem berührend, andere Szenen wären wohl selbst Groschenheft-Autoren zu oberflächlich.

Warum der Schriftsteller Hemingway einfach kein Händchen für Liebesbeziehungen zu haben scheint, will sich mir einfach nicht erschließen. Während mich beispielsweise die Schlussszene aus dem Nichts heraus so getroffen hat, dass ich das Buch innerhalb eines Jahres zweimal in der Übersetzung von Werner Schmitz und einmal im Original lesen musste, scheint Hemingway mit einem einfachen Gespräch zwischen zwei Liebenden stellenweise hoffnungslos überfordert.

Ich kann nur spekulieren: Liegt es vielleicht daran, dass Hemingways minimalistischer Schreibstil einfach nicht dazu geeignet ist, romantische Gefühle und Emotionen zu übermitteln?

Minimalistische Prosa

Handwerk handelt es sich nämlich um einen typischen Hemingway. Wie immer zielt er darauf ab, mit minimalem Aufwand die Essenz einer Aussage einzufangen und möglichst viel mit möglichst wenig Worten auszudrücken. Lieber wiederholt er eine Aussage mehrmals, als sie durch hohle Variationen auszuschmücken, ohne dem Sinngehalt der Worte etwas hinzuzufügen.

Als Höhepunkt dieser Fertigkeit sei noch einmal die Schlussszene erwähnt, die kein Wort zu viel enthält und auf einer knappen halben Seite mehr Emotionen und Gefühle transportiert als so mancher Tausend-Seiten-Wälzer.

In die Falle getappt?

Na, auch schon in die Falle getappt? Wie leicht ist es, diesen Roman zu (vor)verurteilen. Klar, man nehme einen Menschen mit Hemingways Biographie, seine mangelnde Begabung, romantische Dialoge zu schreiben und füge Krieg, übermäßig Alkohol, Frauen, gutes Essen und Zigaretten hinzu und man hat den perfekten Macho-Roman.

Nur um dann festzustellen, dass uns Hemingway mal wieder an der Nase herumführt und vor unseren Augen den Krieg und all seine Ausläufer entglorifiziert. Er schildert mit eindringlichen Worten den alltäglichen Wahnsinn und die Absurdität der Kriegsmaschinerie an und hinter der Front. Er gibt der explosiven Mischung von Glücksrittern, Zwangsverpflichteten und Ziellosen ein Gesicht. Soldaten, die zu einem Krieg gezwungen werden, den sie nicht verstehen und nicht führen möchten.

Junge Männer, die sich an der Front beweisen möchten und entweder tot (Transport-Szene!) oder gebrochen zurückkehren und ihre Angst, Wut und Trauer in Alkohol, billigen Zigaretten und leichten Mädchen ertränken. Offiziere, die hinter der Front den Krieg aufrechterhalten und sich für nicht erbrachte Leistungen gegenseitig Orden zuschanzen. Beängstigend nüchtern wird der Tod als Massengeschäft abgewickelt.

Nicht ohne Grund gilt der Roman als Klassiker der Anti-Kriegsliteratur – nicht weniger wichtig als Remarques Im Westen nichts Neues.

Was bleibt?

In einem anderen Land (Wie kann man einen so schönen Original-Titel bei der Übersetzung eigentlich so verhunzen?) von Ernest Hemingway zählt nicht ohne Grund zu seinen bekanntesten und wichtigsten Werken. Natürlich kann man die hölzernen Dialoge und die gestelzte Liebesgeschichte zwischen der Hauptfigur und seiner Liebschaft kritisieren.

Dafür wurde der Krieg wohl selten intelligenter entglorifiziert. Wieder einmal nutzt Hemingway eine einfache Sprache, um die großen Dinge des Lebens anzusprechen und produziert dabei einige der eindrucksvollsten Szenen der Literaturgeschichte – mit einem Ende, das lange nachhallt. Ein Meisterwerk!

Handelsübliches Hardcover

Rein äußerlich handelt es sich bei diesem Band aus dem Rowohlt Verlag um ein handelsübliches Hardcover im Stile der bisherigen Hemingway-Neu-Auflagen. Wir müssen uns also mit einem gewöhnlichen Pappeinband und einer Klebebindung begnügen, dürfen uns aber immerhin über ein Leseband freuen.

Der Band wurde von Werner Schmitz übersetzt und bietet keinerlei Anhang. Ein solcher würde allerdings auch die Wirkung des Endes konterkarieren – also alles richtig gemacht.

Pro/Contra

Pro
  • Minimalistischer Schreibstil
  • Eindrucksvolle Schlussszene
  • Intelligente Entglorifizierung des Krieges
Contra
  • Hölzerne Liebesgeschichte

Fazit


In einem anderen Land stellt ein weiteres Meisterwerk des Schriftstellers Ernest Hemingway dar und verbindet eine klare Prosa mit eindrucksvollen Szenen, die sich in das Gedächtnis des Lesers einbrennen werden.

autor: Ernest Hemingway

Titel: In einem anderen Land

Seiten: 400

Erscheinungsdatum: 1929

Verlag: Rowohlt Verlag

ISBN: 9783498030193

übersetzer: Werner Schmitz

illustratorIn: /

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
4 Kommentare
Älteste
Neuste
Inline Feedbacks
Sehe dir alle Kommentare an
Michael
24.05.2024 09:02

Hemingways Bücher faszinieren mich immer wieder. Ich mag seinen minimalistischen Schreibstil. Da wird mit dem, was nicht geschrieben steht, mehr ausgedrückt als in manchen seitenlangen Beschreibungen. Tolle Rezension! Danke dafür.

Eugen
26.05.2024 07:56
Antwort an  Michael

Danke für deine freundlichen Worte!
Hemingway ist und bleibt einfach unerreicht, da gibt es nur ganz wenige, die auch nur ansatzweise herankommen 🙂

Wolfgang Stock
03.06.2024 15:39

Sehr schöne und pointierte Besprechung. Darf ich noch anfügen: In Deutschland hat “In einem andern Land” buchhistorische Bedeutung. Es ist nach dem Krieg der erste Rotationsroman.
https://hemingwayswelt.de/der-erste-rotationsroman-in-deutschland-ernest-hemingway/

Eugen
04.06.2024 06:08
Antwort an  Wolfgang Stock

Vielen Dank, auch für die sehr lesenswerte Ergänzung!