Guy de Maupassant - Stark wie der Tod

Stark wie der Tod

von Guy de Maupassant


24.12.2021

  • Klassiker

Nachdem mich sein Debütroman Ein Leben nicht völlig überzeugen konnte, war ich vorsichtig mit der Wahl eines neuen Romans von Maupassant. Mit Stark wie der Tod entschied ich mich für einen Roman aus seinem Spätwerk, der wie so viele andere Romane auch, die Liebe und die Vergänglichkeit thematisiert.

Ein sorgenfreies Leben

Die Hauptfigur des Romans ist der erfolgreiche Maler Olivier Bertin, der die Vierziger schon längst überschritten hat und ein unaufgeregtes, aber angenehmes Leben führt. Seine Zeichnungen haben ihn zu einem gewissen Ansehen verholfen und obwohl er kein künstlerisches Genie ist, kann er durch seine Bilder zumindest ein sorgenfreies Leben führen. Dazu passt auch seine – mittlerweile über zwölf Jahre andauernde – Affäre mit der Gräfin Anne de Guilleroy, die die beiden wie eine alte Ehe führen. Mit ihrem Mann, einem reichen Abgeordneten, pflegt er ein freundschaftliches Verhältnis und in ihrem Salon ist er Stammgast. Das Leben könnte nicht besser laufen, bis eines Tages die Tochter der Guilleroys nach Paris zurückkehrt und sein Leben auf den Kopf stellt.

Aus einer Affäre erwächst Liebe

Stark wie der Tod lässt sich in zwei Abschnitte teilen. Maupassant nimmt sich für die erste Hälfte des Romans viel Zeit und schildert das Leben des Modemalers Olivier Bertin und der Gräfin Anne de Guilleroy. Olivier ist ein guter, aber kein herausragender Maler, der ursprünglich aus dem bürgerlichen Milieu stammt. Als er eines Tages das Portrait der jungen Gräfin Anne de Guilleroy malen soll, ist er fasziniert von ihrer Schönheit und beginnt sie zu umwerben. Es kommt, wie es kommen muss und nach einigem hin und her beginnen die beiden eine leidenschaftliche Affäre.

Doch dabei bleibt es nicht, viel mehr entwickeln die beiden echte Gefühle füreinander und es beginnt eine schöne Liebesgeschichte, die mehr als ein Jahrzehnt andauern soll. Die beiden führen im Verborgenen so etwas wie eine Ehe und bleiben sich gegenseitig treu. Olivier Bertin wird sogar in den engeren Kreis der Familie eingeführt und ist in ihrem Haus ein gern gesehener Gast.

Der Graf von Guilleroy ahnt nichts von dieser Affäre, es scheint aber nicht so, dass ihn diese sonderlich gestört hätte, körperlich hat er sich schon lange von seiner Frau abgewendet. Anne sorgt auch dafür, dass sich Bertin zum Maler der oberen Schichten wird, seine soliden Zeichnungen und Bilder entsprechen ganz den Erwartungen der Pariser Aristokratie. Dies verhilft ihn zu großem finanziellen Wohlstand, schon lange muss er sich keine Sorgen mehr um Geld machen.

Die heile Welt droht zu zerbrechen

Im zweiten Teil des Buches kommt es zu einem Bruch, als Anette, die achtzehnjährige Tochter der Guilleroys nach Paris zurückkehrt, um verheiratet zu werden. Ihr Erscheinen sorgt für Aufsehen, erscheint sie doch wie eine jüngere Version ihrer schönen Mutter. Bei ihrem Anblick lodert Bertins leidenschaftliche Liebe für ihre Mutter wieder auf, nur dass er dieses Mal alle seine Gefühle auf ihre Tochter überträgt. Gleichzeitig wird ihm die Hoffnungslosigkeit dieser Gefühle bewusst und er beginnt sein Leben als Junggeselle zu hinterfragen. Als wäre dies alles nicht schwer genug, schwindet zusehends seine Bedeutung als Künstler und gleichermaßen fällt es ihm immer schwerer, seine Arbeit auszuüben.

Auch Anne wird mit dem Erscheinen ihrer Tochter ein Spiegel vorgehalten. Aus ihrer geliebten Tochter wird eine Konkurrentin und schmerzhaft wird ihr bewusst, dass selbst ihre Schönheit vergänglich ist und sie nichts dagegen unternehmen kann…

Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, / wie ein Siegel an deinen Arm! Stark wie der Tod ist die Liebe, / die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen.

Das Hohelied Kapitel 8, 6

Keine Handlung – Kein Problem

Es ist faszinierend, welche Anziehungskraft ein Roman ausüben kann, der im Grunde so gut wie keine Handlung hat. Der gesamte Roman spielt in einem recht kurzen Zeitraum von Frühling bis zum Winter, wenngleich im ersten Teil auch viele Rückblenden Platz finden. Während dieses kurzen Zeitraums passiert äußerlich nichts Aufregendes, die wichtigen Dinge des Romans finden in den Köpfen der Protagonisten statt. Um dies zu erreichen, legt Maupassant seinen Roman mitten in die Fin-de-siecle Gesellschaft. Die Protagonisten entstammen entweder aus dem finanziell freien Adel oder wie Olivier Bertin aus ihrem Dunstkreis.

Ihr ganzes Leben dreht sich nur um sich selbst und dem nächsten Genuss, tiefe Gedanken findet man bei ihnen vergeblich und mögliche Ausnahmen wie etwa den Grafen Guilleroy schenkt man bestenfalls ein mildes Lächeln. Man eilt von Salon zu Salon, nur unterbrochen von gelegentlichen Theater oder Clubbesuchen, und beschäftigt sich nur mit sich selbst. In dieser materiell sorgenfreien Welt kann sich Maupassant völlig auf das Seelenleben seiner Protagonisten konzentrieren, ihre Gedankengänge schonungslos offenlegen und ihren langsamen Verfall beschreiben.

Wieder einmal eine pessimistische Weltsicht …

Dieser Verfall ist bei einem so grundsätzlich pessimistischen oder besser resignierenden Autor wie Guy de Maupassant unvermeidlich. Als Schüler von Gustave Flaubert war es ihm zwar immer ein Anliegen, möglichst objektiv zu schreiben und sich als Autor nicht in die Handlung einzumischen, doch diese Absicht ist nicht mehr als eine Illusion oder Selbsttäuschung. Selbst ein so „realistischer“ Autor wie Flaubert kann es nicht vermeiden, seine eigenen Ansichten und Gedanken in den Text einzubringen.

Und auch wenn Maupassant in seinem Roman die Handlung nicht kommentiert und bewertet, so stellt allein schon die Wahl der Protagonisten und der Handlungsverlauf eine Kommentierung durch den Autor dar. Man muss als Leser nicht mit Maupassants Ansicht übereinstimmen, dass Gefühle langfristig keinen Bestand haben. Diese Sichtweise wurde sicherlich von seinem unglücklichen und letzten Endes sehr kurzem Leben geprägt, dass im Alter von dreiundvierzig Jahren in einer psychiatrischen Klinik endete.

Das Ende kommt auf leisen Sohlen

Im Gegensatz zu seinem Debütroman Ein Leben geht Maupassant in Stark wie der Tod viel subtiler vor. Ähnlich wie Jeanette sind seine Protagonisten zwar auch hier ihren Gefühlen und den äußeren Umständen hoffnungslos ausgeliefert, doch hier nimmt er sich für die einzelnen Protagonisten viel mehr Zeit und schildert auf nachvollziehbare Art und Weise die Gedanken und Handlungen seiner Figuren. Die Liebesbeziehung von Bertin und Anne bekommt gerade am Anfang viel Raum und umso schmerzhafter wird die allmähliche Trennung der beiden im Verlauf der zweiten Hälfte.

Er verzichtet auch auf jegliche billige Schockeffekte und baut das zweite große Motiv des Romans, die eigene Vergänglichkeit, sehr langsam auf und behandelt das Thema mit viel Würde. Erst langsam wird Bertin und Anne bewusst, dass sie ihren Zenit bereits überschritten haben und das andere bald ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen werden. Beide versuchen vergeblich durch Krafttraining und Diät diesen Prozess hinauszuzögern, doch niemand kann dem Tod entrinnen.

Ein großartiger Schriftsteller ist Maupassant so oder so

Sein Handwerk versteht Guy de Maupassant so oder so, das konnte ich bereits in Ein Leben oder seinem Reisebericht Auf See feststellen. Geschickt wechselt er an den passenden Stellen die Perspektive zwischen Olivier und Anne, baut Motive aus Musik und Theater an den richtigen Stellen ein, wie etwa in der großartigen Szene der Faust-Aufführung und besitzt die seltene Gabe, lange Aneinanderreihungen von Nebensätzen sehr kurz erscheinen zu lassen. Dabei benötigt er diese langen Sätze eigentlich gar nicht, meist reichen nur wenige Worte von ihm aus, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Gerade der würdevolle Umgang mit den Themen Liebe und Vergänglichkeit zeichnen diesen Roman aus. In der ersten Hälfte schildert er eine schöne Liebesgeschichte, während in der zweiten Hälfte die Realität über die Protagonisten hereinbricht und viele bittersüße Szenen folgen, die sich mit den Folgen des Alterns auseinandersetzen. Nach dem eher verhaltenen Debütroman Ein Leben ist Stark wie der Tod eine deutliche Steigerung, die mich zum Kauf von weiteren Büchern von Maupassant animiert.

Gemischte Gefühle bei der Buchausstattung

Die Ausgabe der Edition Büchergilde hinterlässt bei mir wieder einmal gemischte Gefühle, obwohl es bei dieser Ausgabe nicht viel zu kritisieren gibt. Am auffälligsten ist sicherlich der Verzicht auf einen Leineneinband, eigentlich ein Unding für einen Verlag, der sich auf Buchkunst spezialisiert hat. Stattdessen hat man sich für einen einfachen lila Pappeinband entschieden, der mit weißen Prägungen verziert wurde. Das sieht alles ganz hübsch aus und ist handwerklich gut gemacht, dennoch trauert der bibliophile Leser dem fehlenden Leineneinband hinterher.

Etwas seltsam mutet auch das Vor- und Nachsatzpapier mit einer Variation der französischen Lilie an, dass farblich verzerrt wirkt und nur durch einen missglückten Druck oder mangelhaften Geschmack erklärt werden kann. Abgesehen davon hält man als Leser ein schönes Buch in den Händen. Das Buchformat (ca.15×20) ist etwas größer als erwartet, der dadurch vorhandene Raum wird aber glücklicherweise gut ausgenutzt und die farblich hervorgehobene Fadenheftung ist ein nettes Highlight für jeden bibliophilen Leser.

Die Übersetzung von Caroline Vollmann stammt noch aus der Jahrtausendwende, ist aber immer noch sehr modern und trägt dazu bei, dass auch ein heutiger Leser den Roman problemlos lesen kann. Dem Roman folgt ein kurzes Nachwort von Hermann Lindner, dass insbesondere auch auf seinen Debütroman Ein Leben eingeht, und ein noch kürzeres Nachwort des Illustrators Jim Avignon, in dem er seine Erfahrungen mit dem Roman und seine Arbeiten an den Illustrationen erläutert.

Gelungene Illustrationen

Bei der Büchergilde besteht oft die Gefahr, an unpassende Illustrationen zu gelangen, das ist bei den Illustrationen von Jim Avignon glücklicherweise nicht der Fall. Sein Stil, eine Mischung aus Expressionismus und Pop Art, wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich und ist sicherlich nicht für Jedermann geeignet. Dennoch bereichern seine großformatigen farbigen Illustrationen und seine kleinen schwarz-weiß Vignetten die Handlung und man merkt bei jeder Zeichnung, dass der Illustrator das Buch mehr als nur einmal gelesen hat.

Pro/Contra

Pro
  • handwerklich mehr als nur solide
  • die beiden zugrundeliegenden Motive des Alterns und der Liebe werden angemessen thematisiert
Contra
  • die Illustrationen treffen sicherlich nicht jeden Geschmack

Fazit


Stark wie der Tod ist ein leiser Roman, der die Liebe und das Älterwerden auf würdevolle und unaufgeregte Art und Weise behandelt.

autor: Guy de Maupassant

Titel: Stark wie der Tod

Seiten: 295

Erscheinungsdatum: 1889

Verlag: Edition Büchergilde

ISBN: 9783864060298

übersetzerin: Caroline Vollmann

illustrator: Jim Avignon

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