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Paris, ein Fest fürs Leben

von Ernest Hemingway


20.01.2023

  • Klassiker

Paris: Ein Fest fürs Leben (A Moveable Feast) ist das letzte Werk, an dem Ernest Hemingway vor seinem Selbstmord im Jahre 1961 gearbeitet hat und in dem er seinen Aufenthalt in dieser Stadt als junger Mann literarisch verarbeitet.

Ideale Lektüre für einen Parisaufenthalt

Nachdem mich Hemingways Der alte Mann und das Meer einmal mehr begeistert hat, nahm ich mir vor, mehr von Hemingway zu lesen. In Anbetracht eines anstehenden Paris-Urlaubs musste ich auch nicht lange überlegen: die Wahl fiel, wie könnte es auch anders sein, auf sein Buch über seine Pariser Jahre. Was gibt es für einen Leser Schöneres, als durch die Straßen von Paris zu streifen und dabei nach den Orten Ausschau zu halten, die vor gut hundert Jahren Hemingway selbst aufgesucht hat? Nicht zuletzt auch, weil Hemingway dankenswerterweise Straßen und Orte im Text meist direkt vermerkt hat. Darum möchte ich schon vorausschicken, dass meine Rezension alles andere als objektiv ist und durch diese Erfahrungen beeinflusst wurde.

Erinnerungen an Paris

Kurz nach seiner Hochzeit im Jahre 1921 mit seiner ersten Frau Hadley zieht es Hemingway wie so viele Amerikaner nach Paris. Verdingt er sich zunächst als Auslandskorrespondent für die Toronto Star, so entschließt er sich bald dazu, dem Journalismus den Rücken zu kehren und Schriftsteller zu werden. Nicht unschuldig daran waren sicherlich die anfänglichen Bekanntschaften und späteren Freundschaften mit Persönlichkeiten wie etwa F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound und Gertrude Stein. Wieso diese Gruppierung unter dem Namen „Lost Generation“ bekannt werden sollte, ist übrigens Bestandteil dieses Buches.

Gute sieben Jahre soll er Paris kennen und lieben lernen. Seine Erlebnisse zeichnete er als Schriftsteller natürlich auf und lagerte sie nach seiner Abreise jahrzehntelang im Keller des Hotel Ritz. Erst wenige Jahre vor seinem Tod nahm er seine Aufzeichnungen wieder an sich und nutzte sie als Grundlage für sein letztes beinahe vollendetes Werk. Kann man sich einen besseren Abschluss für einen Schriftsteller vorstellen als einen Roman über die Stadt, die ihn erst zu diesem großartigen Schriftsteller machte? (Der Garten Eden lasse ich mal außen vor…)

In 19 Episoden, die irgendwo zwischen Kurzgeschichte und Anekdote anzusiedeln sind, schildert Hemingway in halbwegs chronologischer Reihenfolge seine für ihn prägende Zeit im Paris der 20er-Jahre. Er berichtet viel über seine Art zu schreiben, das Leben mit seiner Frau und von seiner schicksalhaften Beziehung zu Gertrude Stein, die nicht nur ihn in seinem Schreiben entscheidend beeinflusste. Wir lernen die schönen und nicht so schönen Seiten von Paris kennen und erfahren, was für eine Bedeutung Sylvia Bleach, die Eigentümerin der berühmten Buchhandlung „Shakespeare&Company“, in seinem Leben hatte.

Nicht zuletzt begegnen wir auch anderen berühmten Künstlern dieser Zeit, Hemingway schildert etwa seine Begegnungen mit F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound oder Pablo Picasso. Im Winter verlassen wir Paris – das Heizen sei zu teuer – und begleiten die Hemingways auf ihren Skiurlauben in Österreich, beobachten mit Sorge eine sich anbahnende Spielsucht und seine Begeisterung für den Boxsport. Kurzum, in dem Roman sind alle Aspekte enthalten, die Hemingway bis heute zu einer so faszinierenden Persönlichkeit machen.

Worin unterscheidet sich die Urfassung von der ersten Fassung?

Bereits im Jahre 1964 (in Deutschland 1965), nur drei Jahre nach Hemingways Tod, veröffentlichte seine letzte Frau Mary Hemingway eine erste Fassung seiner Paris-Erinnerungen. Über vierzig Jahre später wagte sich sein Enkel Sean Hemingway an eine neue Fassung, die diverse Änderungen vornahm. So stellte er diverse Kapitel um, entfernte seiner Meinung nach so nicht vorgesehene Abschnitte und fügte damals ausgelassene Kapitel hinzu. Die gravierendste Änderung stellt wohl die Entscheidung dar, im ganzen Buch den Gebrauch der zweiten Person Singular beizubehalten. Die ursprünglichen Herausgeber haben sich dagegen entschieden, eine Entscheidung, die sie laut Sean Hemingway „kaum gewagt haben würden, hätten sie dafür die Zustimmung des Autors einholen müssen.“

Für einen detaillierten Überblick über die Änderungen möchte ich euch den höchst aufschlussreichen und umfangreich recherchierten Artikel von Über den Kastanien ans Herz legen, der wirklich keine Fragen offenlässt.

Eine Liebeserklärung an Paris

Eines vorneweg: Paris: Ein Fest fürs Leben ist weder ein authentisches Stück Zeitgeschichte noch so etwas wie Reiseliteratur. Betrachten wir zunächst einmal die Stadt an sich, so handelt es sich um ein Paris aus der Sicht eines Amerikaners. „Geheimtipps“, ein wie auch immer geartetes „authentisches“ Paris oder Ähnliches dürfen wir nicht erwarten und das wollte Hemingway wohl auch nicht. Egal wie stark die Stadt ihn auch beeinflusst hat und wie sehr er sie auch lieben gelernt hat, Hemingway ist nie „Pariser“ geworden (was auch immer dafür notwendig sein sollte), sondern betrachtet die Stadt immer aus einer fremden Brille.

Aber vielleicht ist gerade das auch der Grund dafür, warum so viele Menschen diesen Roman lieben: Hemingway betrachtet die Stadt so, wie die meisten Menschen sie erleben, aus der Sicht eines faszinierten Besuchers und lässt uns daran teilhaben. Dass er dabei auch so unromantische Aspekte wie das Toilettensystem der damaligen Zeit erläutert, möchte man ihm umso mehr zugutehalten. In jedem Fall spüren wir die Faszination, die die Stadt und die umtriebige Literaturszene auf ihn als jungen Mann ausgeübt hat und wie sehr er sie lieben gelernt hat.

Dass das Buch nach den Anschlägen von Paris tatsächlich wieder auf französischen Bestsellerlisten landete, könnte allerdings zumindest darauf hindeuten, dass er auch aus dieser Sicht nicht alles falsch gemacht hat mit seiner Darstellung.

Ein Blick hinter die Fassade

Den nächsten Aspekt betont Hemingway selbst. Auch wenn entgegen seiner Aussagen nicht alles an diesen Geschichten erfunden ist, so handelt es sich um keine Autobiographie. Auch wenn die Geschichten einen wahren Kern enthalten mögen, so fällt allein schon an den Aspekten, die Hemingway gar nicht oder nur sehr kurz behandelt, auf, dass Hemingway so manchen Aspekt seines Lebens beschönigt. So spricht er die Scheidung von seiner ersten Frau Hadley nur sehr kurz an, erwähnt aber die vorangegangene Affäre mit seiner späteren zweiten Frau Pauline Pfeiffer mit keiner Silbe. Auch das Erfrieren der Beziehung zu Gertrude Stein wird von ihm nur am Rande gestreift.

Immerhin konnten die beiden behaupten, dass Hemingway mit einigermaßen wohlwollenden Worten über sie sprach. Ganz im Gegensatz zu Scott Fitzgerald, der bei ihm überhaupt nicht gut wegkam. Ich kenne mich nicht gut genug mit der Beziehung der beiden bekannten Schriftsteller aus, aber es wird immer wieder deutlich, dass Hemingway nicht viel von ihm hielt. Offen wettert er nicht gegen ihn, aber die Szenenwahl spricht in diesem Fall eindeutig für sich (Stichwort: Urinal-Szene).

Also alles Lügen?

Insoweit passt das Buch also durchaus zu dem von ihm geprägten Eisberg-Stil. Viel wichtiger als der eigentliche Text ist, wie er die Geschehnisse beschreibt und welche Passagen seines Lebens er auslässt. Alles was wir lesen, ist wieder einmal nicht mehr als die Oberfläche und gerade bei so biographisch geprägten Erzählungen begibt man sich sehr leicht auf gefährliches Terrain. Hemingways Leben ist durchzogen von unüberschaubaren Beziehungsgeflechten und die Mauern, die er um sich herum aufgebaut hat, verlocken allzu schnell zu einseitigen Betrachtungen.

Ich überlasse es daher anderen, die Texte dahin gehend zu deuten, ob er sich mit dem Roman wirklich bei seiner ersten Ehefrau entschuldigen wollte oder nicht und wie stark sich Hemingway letztlich selbst inszeniert hat. Abschließende Urteile verbieten sich alleine schon deswegen, weil Hemingway vor Fertigstellung des Romans Selbstmord beging und keinen passenden Schluss fand.

Letztlich ist es auch egal, worüber Hemingway genau schreibt. Seine minimalistischen Sätze, beinahe schon beiläufig dahingeworfen, strahlen eine Raffinesse und Kraft aus, die die ellenlange Bandwurmsätze seiner Kollegen niemals erreichen können und die jeden Text zu einem Genuss machen.

Was bleibt?

Auf den ersten Blick haben wir es mit einem Roman zu tun, der in Paris spielt und mit seinen Beschreibungen einer vermeintlich goldenen Zeit viele Leser fasziniert. Steigt man etwas tiefer ein, so muss man feststellen, dass der Roman mehr mit Hemingways Innenleben als mit Paris zu tun hat. Nicht nur, dass der Roman in jedem dieser Aspekte glänzt, er ist darüber hinaus auch noch brillant geschrieben. Ein Roman, der jeden Hemingway und/oder Paris Fan begeistern wird!

Viel Zusatzmaterial

Rein äußerlich handelt es sich bei der Ausgabe des Rowohlt Verlages um ein gewöhnliches Hardcover, also müssen wir uns mit einem Pappeinband und einer Fadenheftung begnügen. Immerhin wurde an ein Leseband gedacht. Angesichts des Preises ist diese Ausstattung allerdings auch vertretbar.

Dafür dürfen wir uns in dieser Fassung über einige Extras freuen, die das Buch deutlich aufwerten. So finden wir über das ganze Buch zerstreut einige Fotos von Hemingway und seinen Zeitgenossen. Daneben sind auch einige Manuskriptseiten mit handschriftlichen Änderungen von Hemingway abgedruckt, die interessante Einblicke in seinen Schreibprozess bieten. Darüber hinaus besticht das Buch mit über siebzig Seiten voller zusätzlicher Skizzen und Fragmente, die es nicht in die Urfassung geschafft haben. Der obligatorische Anmerkungsapparat fällt überschaubar aus, mehr war allerdings auch nicht nötig.

Abgerundet wird der Band schließlich noch durch ein kurzes Nachwort seines Sohnes Patrick Hemingway und ein etwas ausführlicheres seines Enkels Sean Hemingway.

Pro/Contra

Pro
  • Hemingways Schilderungen von Paris sind grandios
  • die Lektüre eröffnet tiefe Einblicke in Hemingways Innenleben
Contra
  • Hemingway “beschönigt” viele Aspekte seines Lebens, dessen muss man sich bewusst sein

Fazit


Paris: Ein Fest fürs Leben ist eine faszinierende Mischung aus einem Roman und Erinnerungen und wird jeden unterhalten, der sich für Hemingway und/oder Paris begeistern kann.

autor: Ernest Hemingway

Titel: Paris, ein Fest fürs Leben

Seiten: 316

Erscheinungsdatum: 1964

Verlag: Rowohlt Verlag

ISBN: 9783499227028

übersetzer: Werner Schmitz

illustrator: –

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