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Der makedonische Offizier

von Andrej Platonow


10.06.2022

  • Klassiker

Der makedonische Offizier von Andrej Platonow ist zwar nur ein Romanfragment, darf aber in seiner Bedeutung – gerade in der heutigen Zeit – nicht unterschätzt werden.

Ein Offizier gefangen zwischen zwei Diktatoren

Unsere Geschichte spielt in dem fiktiven asiatischem Staat Kutemalia, der von dem totalitären Despoten Osni beherrscht wird. Wirtschaftlich und politisch ist Kutemalia so gut wie bedeutungslos, was Alexander den Großen nicht davon abhält, sich auch dieses Reich einverleiben zu wollen.

In seinem Auftrag soll der makedonische Offizier Firs einen Weg für seine Armeen finden, wird Kutemalia doch von einem scheinbar unüberwindbaren Gebirge umschlossen. Natürlich dauert es nicht lange, bis er entdeckt wird und so verbringt er viele Jahre als Sklave. Doch als er eines Tages ein riesiges Bewässerungsprojekt leiten soll, wittert er seine Chance…

Ein kurzes Fragment

Gerade einmal 40 Seiten umfasst dieses Romanfragment und damit deutlich weniger als etwa das zuletzt erschienene Fragment Die glückliche Moskwa. Für jemanden, der Platonow bisher wenig Beachtung geschenkt hat, kann sich da nachvollziehbarerweise die Frage nach dem Warum stellen. Was macht die Werke dieses – bislang vor allem als Feuilleton-Liebling in Erscheinung getretenen – Schriftstellers so besonders, dass man gleich mehrere Fragmente von ihm in so schöner Form veröffentlicht?

Neben seinen hinlänglich bekannten schriftstellerischen Fähigkeiten liegt es wohl vor allem an seiner kaum verhüllten Stalin-Kritik, die sein Werk aus historischer Sicht so interessant erscheinen lässt.

Widerstand gegen Stalin

Andrej Platonow selbst stammt aus der Arbeiterklasse und arbeitete sich bis hin zum anerkannten Bewässerungsingenieur hoch. In jungen Jahren war er sogar Mitglied der kommunistischen Partei – eine Verbindung, die nicht lange halten sollte. Früh erkannte er die Gefahr, die von den Stalins und Trotzkis dieser Welt ausging und scheute sich nicht davor, dies in seinen Werken zu Papier zu bringen. Wie man sich denken kann, machte er sich damit nicht nur Freunde.

Als er 1931 mit seiner Geschichte „Vom Nutzen“ die Kollektivierung der Landwirtschaft offen kritisierte, reichte es Stalin. Er veranlasste vernichtende Kritiken seiner Werke und erließ de facto ein Publikationsverbot. Schon Jahre zuvor hatte er eine aussichtsreiche Stellung im Zentralkomitee der Bewässerungsingenieure verloren und befand sich nun am Rande des Ruins. Zeitweise obdachlos stand er vor den Trümmern seiner Existenz. Nur durch Gorkis Einwirken konnte er sich als (Kriegs)Reporter und Herausgeber von russischen Volksmärchen über Wasser halten und entging wie durch ein Wunder den Todeskommandos Stalins. Seine Karriere als Schriftsteller war allerdings endgültig vorbei: Seine Werke wurden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht und erst Mitte der neunziger Jahre wiederentdeckt.

Ein Fragment, dass Platonows Leben widerspiegelt

Nur vor diesem Hintergrund ist dieses zwischen 1932 und 1936 entstandene Romanfragment zu verstehen. Auch hier finden wir die Gedanken wieder, die sein gesamtes Werk durchziehen: Die Gefahren, die das technokratische Denken birgt, seine Interpretation des Sozialismus, die Liebe zur Natur und natürlich auch seine Stalin-Kritik.

Wesentliche Stationen und Figuren aus seinem Leben lassen sich im Makedonischen Offizier – kaum verhüllt – wiederfinden: Etwa Osni als Stalin, Alexander als Trotzki, Firs als Verkörperung von Platonow selbst und sogar Gorki als gefangener Philosoph Klusi. Die Anspielungen und die Kritik an das damalige Regime stellt Platonow so offen zur Schau, dass man beinahe froh ist, dass das Werk nie veröffentlicht wurde. Nicht auszudenken, was in dem Fall mit ihm geschehen wäre.

Das nötige Rüstzeug liefert der Anhang

Die Details seiner Kritik und die Bedeutungen der Motive herauszufinden, möchte ich dem geneigten Leser selbst überlassen. Es würde auch den Zweck und den Umfang dieser Rezension verfehlen, diesbezüglich Ausführungen folgen zu lassen, die so leicht zugänglich sind, wie es hier der Fall ist. Denn mit diesem Band erhält der Leser das dafür nötige Rüstzeug in Form eines umfangreichen Anhangs.

Neben dem Nachwort von Michael Leetz finden wir hier nämlich einen detaillierten Anmerkungsapperat und eine Reihe von Texten, die dabei helfen, das Fragment in Gänze zu verstehen. So finden wir Auszüge aus den Notizbüchern Platonows, einen Prosatext über die erste Begegnung von Platonow und Gorki und nicht zuletzt auch ein aufschlussreiches Stenogramm eines Treffens mit dem Verband russischer Schriftsteller, auf dem Platonow versuchte, sich (mit bescheidenem Erfolg) aufrechter Kommunist zu rehabilitieren.

Zugänglicher, aber nichts für Einsteiger

Da er in diesem Werk seine Botschaften nicht in seinen Worten sondern (nur) im Inhalt verstecken musste, ist Der makedonische Offizier auch deutlich zugänglicher als etwa Die Baugrube oder Die glücklichen Moskwa. Das ändert nichts daran, dass es sich „nur“ um ein kurzes Fragment handelt. Interessant ist dieses Buch daher vor allem für Leser, die schon Gefallen gefunden haben an den anderen Werken dieses Autors und für jeden, der sich für eine der frühesten Stalin-Kritiken überhaupt interessiert. Neu-Leser sollten allerdings mit einem anderen Werk beginnen und im weiteren Verlauf auf den Makedonischen Offizier zurückkommen.

Dem Suhrkamp Verlag verdanken wir bereits das vierte Werk dieses großartigen Schriftstellers. Es handelt sich sicherlich nicht um die leichtesten Texte, aber wer bereit ist, die nötige Zeit und Konzentration in seine Werke zu investieren, wird mit einem umso ergiebigeren Leseerlebnis belohnt.

Eine schöne Leinenausgabe

Die Ausgabe des Suhrkamp Verlages reiht sich nahtlos an die Ausstattung der restlichen Platonow Bände ein. Neben dem bedruckten Leineneinband finden wir hier ein Leseband und stabiles Papier. Verzichten müssen wir leider auf eine Fadenheftung, was angesichts des Preises zwar schade, aber verschmerzbar ist.

Übersetzung, Anmerkungen und das Nachwort stammen vom Platonow-Kenner Michael Leetz. Besonders Letzteres ist überaus gelungen, versteht er es doch, dem Leser auf unterhaltsame und verständliche Weise die Hintergründe und Motive dieses Fragments näher zu bringen.

Pro/Contra

Pro
  • der umfangreiche Anhang liefert das Rüstzeug für das Verständnis des Fragments
  • die Lektüre kann anstrengend sein, belohnt den Leser aber dafür umso mehr
Contra
  • es handelt sich (nur) um ein Romanfragment
  • Beachte: Die Lektüre von Platonow erfordert Zeit und Konzentration

Fazit


Der makedonische Offizier ist als Fragment sicherlich nichts für Platonow Einsteiger. Wer allerdings mehr über diesen äußerst interessanten und wichtigen Autor erfahren möchte, sollte unbedingt zugreifen!

autor: Andrej Platonow

Titel: Der makedonische Offizier

Seiten: 140

Erscheinungsdatum: 1936

Verlag: Suhrkamp Verlag

ISBN: 9783518430262

übersetzer: Michael Leetz

illustrator: –

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