Der azurne Planet
von Jack Vance
28.06.2024
- Maritime Literatur
- ·
- Science-Fiction
Der azurne Planet von Jack Vance wurde erstmals im Jahre 1966 veröffentlicht und damit in einer Hochphase seines Schaffens. Doch kann sich dieser Einzelroman mit seinen anderen großen Werken messen?
Kein Land in Sicht
Seitdem vor zwölf Generationen ein Raumschiff auf einen vollständig von Wasser bedeckten Planeten abgestürzt ist, haben sich die unfreiwilligen Kolonisten und ihre Nachkommen weitgehend auf das Leben auf diesem Planeten angepasst. Sie bewohnen gigantische Meerespflanzen (sog. Schwimmblätter) und leben in einer Gesellschaft, deren Zusammenleben von Kastenzugehörigkeiten und Pragmatismus bestimmt wird.
Getrübt wird ihr Glück lediglich durch die Kraken, gewaltige Seeungeheuer, gegen die es keine wirksamen Mittel zu geben scheint. Stattdessen werden sie von den meisten Bewohnern mit religiösem Eifer verehrt und durch regelmäßige Tribute besänftigt. Doch eine neue Generation wächst heran und diese ist nicht länger bereits, sich den tyrannischen Wesen und ihren Priestern zu unterwerfen, mag der Preis noch so hoch sein …
Mein persönlicher Einstieg
Bereits im Jahre 1964 veröffentlichte Jack Vance mit „The Kragen“ eine Kurzgeschichte im Magazin Fantastic, die die Grundlage für den zwei Jahre später erscheinenden Roman „The Blue World“ bilden sollte. Hierzulande erschien der Roman in den letzten Jahrzehnten auch unter den Titeln „König der Wasserwelt“ (1967) und „Die blaue Welt“ (1999).
Zeitlich fällt der Roman also in eine Hochphase des Schaffens von Jack Vance. Unter anderem erschienen in dieser Zeit die ersten Dämonenprinzen-Romane, Emphyrio, Magnus Ridolph oder auch der Tschai-Zyklus. Gleichzeitig bildete dieser Roman vor mittlerweile über acht Jahren meinen Einstieg in das Werk dieses Autors.
Und wie man sich denken kann, hat mir der Roman damals außerordentlich zugesagt, nicht ohne Grund folgten unzählige weitere Romane. Doch wie steht es heute – kann mich der Roman immer noch begeistern oder fordert die Zeit ihren Tribut?
Klassischer Plot ohne Überraschungen
Prägendes Motiv des Romans ist ein altbekanntes Vance-Motiv: Der Kampf des Einzelnen gegen überholte Konventionen. Dieses Mal in Gestalt einer religiösen Kaste, die die Bewohner der Schwimmblätter dominiert und in Gestalt der Kalmar-artigen Kragken, allen voran der gewaltige König Kragken. Überraschungen darf man dabei nicht erwarten.
Uns erwartet eine geradlinig erzählte und kurzweilige Geschichte ohne viele Nebenschauplätze oder Überraschungen in positiver oder negativer Hinsicht. Allenfalls das abrupte Ende lässt uns ein Stück weit unbefriedigt zurück.
Unerschöpflicher Ideenreichtum
Entschädigt werden wir dafür mit einer faszinierenden Welt, die auf jeder Seite mit kreativen und interessanten Einfällen zu begeistern weiß. Es war schon immer eine von Jack Vance größten Stärken, außergewöhnliche Welten zu ersinnen und diese mit seiner schöpferischen Kraft lebendig zu machen. Dabei bewegt er sich stets auf dem schmalen Grat zwischen Oberflächlichkeit und Detailverliebtheit. Viele Ideen rücken nur für kurze Zeit in unseren Fokus, um danach für immer zu verschwinden.
Ein in sich stimmiges Gesamtbild oder gar wissenschaftlich nachvollziehbare Theorien darf man dabei nicht erwarten, stattdessen setzt Vance auf eine stakkatohafte Reizüberflutung, die die Leseerfahrung ganz von unserer eigenen Kreativität und Vorstellungskraft abhängig macht.
Handwerklich solide
Handwerklich erwarten uns keine Überraschungen: Auch dieser Roman begeistert vor allem durch ein hohes Erzähltempo und einen schnörkellosen und geradlinigen Stil. Jack Vance mag sicherlich kein Meister im Schreiben von Dialogen oder Action-Szenen sein, ist aber jedenfalls gut genug, um in diesen Bereichen nicht negativ aufzufallen.
Humorvoller Roman
Was in diesem Band besonders positiv hervorsticht, ist der Humor, der sich durch den ganzen Roman zieht, sei es in Form von unterhaltsamen Dialogen, im Galgenhumor der Schwimmblattbewohner und insbesondere auch im Kastensystem. Was die Schwimmblattbewohner nämlich nicht wissen: Sie sind Nachfahren von Sträflingen, die entweder beim Transport oder auf der Flucht (genaueres ist nicht bekannt) auf dem azurnen Planeten gestrandet sind.
Geblieben sind lediglich die alten „Berufs-“Bezeichnungen als Kasten-Namen. So kommt es, dass die stolze Kaste der Taschenspieler für die Kommunikation zwischen den Städten zuständig ist, Langfinger bauen Türme und so weiter und so fort. Für die Bewohner handelt es sich dabei natürlich um inhaltsleere Eigennamen, hiesigen Lesern vermögen diese allerdings das eine ums andere Mal ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Charaktere sind Nebensache
Die einzelnen Charaktere stehen selten im Mittelpunkt eines Vance-Romans und so ist es auch dieses Mal. Zu sehr liegt der Fokus auf der Welt und auf einzelne Teilbereiche.
Dass die Hauptfigur Sklar Hast sogar einige Schwächen hat und auch mal Fehler begeht, hebt ihn im Vergleich zu anderen Vance-Hauptfiguren sogar ein Stück weit positiv hervor. Aber wie auch die anderen Charaktere dient er nur als Vehikel für übergeordnete Elemente und diese Aufgabe erfüllt er zur vollsten Zufriedenheit.
Was bleibt?
Der azurne Planet von Jack Vance enthält alles, was man als Leser von einem Vance-Roman erwarten kann und darf. Ja, die Handlung endet ziemlich abrupt und damit ein Stück weit unbefriedigend. Doch dies alleine vermag den guten Gesamteindruck nicht zu trüben.
Uns Leser erwartet wieder einmal eine endlose Abfolge an kreativen und originellen Ideen, eine kurzweilige und mitreißende Geschichte und sehr viel Humor. Wer Jack Vance Romane liebt, der wird auch diesen Roman lieben, aber auch für Neueinsteiger werden hier ihre Freude haben.
Liebhaberausgabe
Rein äußerlich reiht sich dieser Band nahtlos in die Gestaltung der restlichen Bände der Edition Andreas Irle ein. Übersetzer und Herausgeber Andreas Irle hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jack Vance Lebenswerk in hochwertigen Kleinstaufgaben auf den Markt zu bringen, bietet mittelbar allerdings auch erschwinglichere E-Books an.
Die gedruckte Fassung ist zwar deutlich teurer, kann dafür aber mit einem schönen und edel gestalteten Leineneinband samt Goldprägung, einer Fadenheftung und insgesamt sehr hochwertigen Materialien glänzen. Dafür müssen wir aber lediglich auf ein Leseband oder einen Schutzumschlag verzichten.
Werke von Jack Vance
Pro/Contra
Pro
- Unzählige kreative Ideen
- Faszinierende Welt
- Kurzweilig und unterhaltsam
Contra
- Plötzliches Ende
Fazit
Der azurne Planet von Jack Vance enthält alles, was man sich von einem Vance-Roman wünscht und eignet sich gleichermaßen für Neueinsteiger wie auch erfahrene Leser.
autor: Jack Vance
Titel: Der azurne Planet
Seiten: 208
Erscheinungsdatum: 2016 (1966)
Verlag: Edition Andreas Irle
ISBN: 9783936922271
übersetzer: Andreas Irle
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