Auf einer Holzfläche liegt ein Buch mit dem Titel „Das Schicksal der Salome“ von Gaito Gasdanow. Auf dem Cover ist ein altes Foto eines Mannes zu sehen, der neben einem Auto steht.

Das Schicksal der Salome

von Gaito Gasdanow


11.10.2024

  • Klassiker

Gaito Gasdanow gehört zur scheinbar endlosen Riege russischer Exilautoren, denen erst fern der Heimat der literarische Durchbruch gelungen ist. Mit Das Schicksal der Salome liegen nun zehn seiner besten Kurzgeschichten gesammelt vor.

Nachrichten aus dem Exil

In der titelgebenden Geschichte Das Schicksal der Salome begegnet unser Erzähler einer faszinierend widersprüchlichen Frau, die sich dem Lauf der Zeit nicht zu entziehen vermag. Die Narbe führt uns zur jungen Natascha, die ein Lotterleben führt und gleichzeitig ein düsteres Geheimnis bewahrt.

Das Wassergefängnis handelt von einem alten Hotel mit einer bunten Ansammlung illustrer Bewohner. Der Treuebruch öffnet einer unglücklichen Frau die Augen.

Das Verschwinden von Ricardi, einem der bekanntesten Musiker seiner Zeit, wirft Fragen auf. Das Bistro führt uns in ein Restaurant, das vielen Arbeitern als Lebensmittelpunkt dient und Schauplatz eines tragischen Ereignisses wird.

Die Briefe Iwanows führen uns deutlich vor Augen, dass hinter Menschen weit mehr steckt, als man anfangs zu vermuten wagt. Der Gefangene spielt mitten im russischen Bürgerkrieg und schildert einen mysteriösen und unheimlichen Zwischenfall.

Der Tod der Herrn Bernhard schildert Alltägliches und nicht allzu Alltägliches im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen. Die abschließende Geschichte Olga führt uns abermals zu einer Frau, die verschiedenen Männern den Kopf verdreht.

Ein bewegtes Leben

Gaito Gasdanow hatte ein Leben hinter sich, dass man aus dem heimischen Schreibtisch heraus zwar fasziniert rekapituliert. Gleichzeitig ist man aber auch froh, nicht selbst Teil davon gewesen zu sein.

Im russischen Bürgerkrieg trat er als junger Mann der Weißen Armee bei und flüchtete nach ihrer endgültigen Niederlage ins Exil. Über mehrere Umwege gelangte er letztlich nach Paris. Dort hielt er sich mit mehreren Gelegenheitsjobs über Wasser, bis er schließlich Taxifahrer wurde. Daneben besuchte er immer wieder Vorlesungen an der Sorbonne.

Nach dem Zweiten Weltkrieg – er schloss sich der Résistance an – lief seine Karriere langsam an und journalistische Betätigungsfelder erschlossen sich ihm. Dennoch sollte es noch Jahre dauern, bis er seinen Job als Taxifahrer an den Nagel hängen konnte. In seinen letzten Jahren pendelte er als Berufsjournalist zwischen Paris und München, bevor er mit 68 Jahren an Lungenkrebs verstarb.

Er sollte insgesamt neun Romane und mehr als 50 Kurzgeschichten verfassen, von denen zehn aus den Jahren 1930 bis 1963 hier versammelt vorliegen.

Außenseiter und Verlorene

Dass die Biographie eines Menschen Einfluss auf sein Schaffen haben kann, mag zunächst einmal keiner Erwähnung wert sein. Das genaue Ausmaß hat mich in Gasdanows Fall aber doch mehr als überrascht. Er verbrachte beinahe sein gesamtes Leben fern seiner russischen Heimat und musste dort unter anderem seine Familie zurücklassen. Zeit seines Lebens muss er sich als Außenseiter und Fremder ohne Auffangnetz und Kompass gefühlt haben. Und genau jenes Gefühl zieht sich durch all seine Geschichten.

Seine Figuren sind genau wie er Grenzgänger und Außenseiter, leben oft weit entfernt von ihrem Geburtsort, sprechen andere Sprachen als ihre Muttersprache und wissen nicht einmal selbst so genau, was sie eigentlich wollen oder brauchen. Äußerlich scheint es immer eine sachliche Distanz zwischen ihnen und ihrem Umfeld zu geben, die nicht überwunden werden kann. Innerlich befinden sie sich auf der Flucht oder auf der Suche – die Grenzen sind fließend – und irren plan- und ziellos umher.

Zwischen Komödie und Tragödie

Thematisch bewegt er sich haarscharf an der Grenze zwischen Komödie und Tragödie. Seine Figuren wirken so, als ob sie sich der Absurdität ihres/des Lebens bewusst wären und begleiten das Geschehen mit einem leicht spöttischen Unterton, gleichzeitig hat sie die Realität fest in ihrem Griff gefangen und lässt sie nicht mehr los.

In seinen Geschichten steht oft das Schicksal rastloser und eindrucksvoller Frauen im Mittelpunkt, aber darauf beschränkt sich sein Schaffen nicht. So erwartet uns ein bunter Strauß an Geschichten, die von Bürgerkriegsepisoden über Schelmengeschichten, klassischen Kurzgeschichten mit Schlusspointen bis hin zu beinahe surreal anmutenden Traumsequenzen reichen.

Melodische Satzstrukturen

Handwerklich kann Gasdanow durch ein einzigartiges Gefühl für Sprache, Tempo und Rhythmus überzeugen. Sein Markenzeichen sind ohne Frage äußerst lange Sätze, die er gerne für die Gedankengänge seiner Figuren oder zur Darstellung dynamischer Handlungselemente nutzt.

Mindestens genauso wichtig sind aber auch seine kurzen Sätze und sein Gefühl dafür, wann welche Satzkonstruktion angemessen ist. Wie kein Zweiter versteht er es, das Tempo zu drosseln oder zu beschleunigen und so seinen Geschichten einen beinahe schon melodischen Charakter zu verleihen.

Eigentlich bin ich ja kein Freund ellenlanger Sätze und bevorzuge einen nüchternen und aufgeräumten Schreibstil. Bei Gasdanow verkommen diese Sätze aber nicht zum reinen Selbstzweck – der Autor weiß genau, wie er einen Text strukturieren muss und verliert niemals den Faden in seinen Erzählungen.

Was bleibt?

Das Schicksal der Salome von Gaito Gasdanow hat mich angenehm überrascht. Handwerklich kann er durch ein untrügliches Gefühl für Sprachmelodien und eine klare Gedankenführung überzeugen. Inhaltlich schildert er eindringlich die Zerrissenheit und das Gefühl des Verlorenseins entwurzelter Menschen. Eine lohnenswerte Lektüre, der sicherlich noch weitere Bände folgen werden!

Erstaunlich hochwertig

Gasdanows Werke erlebten vor einigen Jahren im deutschsprachigen Raum eine kleine Renaissance und insbesondere der Hanser Verlag veröffentlichte einige seiner Romane und Kurzgeschichten. Dieses Interesse scheint deutlich abgeflacht zu sein. In den letzten Jahren erschien (bis auf Schwarze Schwäne) keines seiner Werke bei einem großen Publikumsverlag.

In diese Bresche ist Jürgen Barck gesprungen, der in Eigenregie schon einige Kurzgeschichten und Romane Gasdanows übersetzt und als BoD herausgebracht hat. Bei BoD Büchern habe ich als Leser immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen und ganz von der Hand zu weisen sind diese Befürchtungen sicherlich nicht. Glücklicherweise belehrte mich diese Publikation eines Besseren.

Bereits der Schutzumschlag kann durch eine minimalistisch-strukturierte Gestaltung überzeugen und könnte genau so auch bei Hanser oder Mare erscheinen. Der Einband selbst weist eine strukturierte Oberfläche und zudem sogar eine Faksimile-Signatur des Autors auf. Darüber hinaus dürfen wir uns über ein Leseband freuen.

Auch die inneren Werte können überzeugen. Im lesenswerten Vorwort stimmt uns Tobias Zeising auf die Geschichten ein und daneben erwartet uns noch ein kurzer Anhang mit einigen bibliographischen Details und Anmerkungen zu den einzelnen Geschichten. Alles in allem erhält man also einen Band, der locker mit großen Verlagsproduktionen mithalten kann – und das alles noch zu einem mehr als fairen Preis.

Bibliographie

Mehr Weniger

Pro/Contra

Pro
  • Interessante Satzkonstruktionen
  • Melodisches Sprachgefühl
  • Ergreifende Schicksale
Contra
  • Gerade die langen Sätze erfordern Konzentration und Aufmerksamkeit

Fazit


Das Schicksal der Salome von Gaito Gasdanow überzeugt durch ergreifende Schicksale und eine unverkennbare Sprachmelodie. Lesenswert!

autor: Gaito Gasdanow

Titel: Das Schicksal der Salome

Seiten: 260

Erscheinungsdatum: 2024

Verlag: BoD

ISBN: 9783758367373

übersetzer: –

illustratorIn: –

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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