Drei Geschichten
von Gustave Flaubert
18.03.2022
- Klassiker
Die drei Geschichten ist eine von Gustave Flaubert selbst zusammengestellte Sammlung von Kurzgeschichten und erschien 1877 als letzte von ihm selbst autorisierte Veröffentlichung vor seinem Tod im Jahre 1880.
Drei höchst unterschiedliche Geschichten
Die erste Geschichte Ein schlichtes Herz umreißt auf etwa 50 Seiten nicht weniger als das gesamte Leben der Dienstmagd Felicite. Sie ist eine einfache und genügsame Frau, die sich ihr Leben lang anderen Menschen aufopfert, ob nun ihrer Herrin, deren Kindern oder auch einem Papagei, der bis heute untrennbar mit Flaubert selbst verbunden ist.
Die zweite Geschichte Die Legende vom heiligen Julian dem Gastfreien ist eine Art Heldensaga im Mittelalter und handelt von einem Mann, der trotz vieler herausragender Talente in dunkle Abgründe gerät und erst durch ein Unglück zum Heiligen wird.
Die dritte Geschichte Herodias wiederum spielt im alten Judäa und behandelt auf 40 Seiten die Ermordung von Johannes dem Täufer aus der Sicht des Königs Herodes, der einer Intrige seiner Frau Herodias und ihrer Tochter Salome zum Opfer fällt.
Aus einer finanziellen Notlage heraus entstanden
1975 gerät Gustave Flaubert in große finanzielle Schwierigkeiten, nachdem sich der Mann seiner geliebten Nichte Caroline im großen Stil im Holzgeschäft verspekuliert und erst mit großen Teilen des Flaubert-Vermögens gerettet werden kann. Die finanzielle Situation erweist sich als so dramatisch, dass sogar Flaubert, der sein Leben lang vom Vermögen seiner Eltern gezehrt hat, erwägt, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch seine letzten Veröffentlichungen nicht den gewünschten finanziellen Erfolg brachten. In dieser schwierigen Zeit holt er einige Ideen aus zurückliegenden Jahrzehnten hervor und kann diese in weniger als zwei Jahren niederschreiben und veröffentlichen.
Nur die erste Geschichte kann überzeugen
Handwerklich ist Flaubert zumindest in der ersten Geschichten in überragender Form, nicht umsonst sitzt er tagelang an einzelnen Seiten und überprüft jedes Wort auf Klang und Präzision. Er beginnt sogar wieder so zu brüllen, wie er es einst an der Seine getan hat. So stand etwa für seine Arbeiten an Ein schlichtes Herz monatelang ein ausgestopfter Papagei auf seinem Schreibtisch, damit seine Beschreibungen auch der Realität entsprechen. Diese Geschichte entspricht dabei noch am ehesten einer typischen Flaubert Geschichte.
Sie ist gespickt mit bissigen Kommentaren, skizziert die Menschen und ihre Fehler und sorgt gerade dadurch für großes Vergnügen. In Die Legende vom heiligen Julian und insbesondere in Herodias hingegen verliert der Autor sich in seiner Kunst und ordnet der äußeren Form alles unter. Zu sehr versucht er den Stil vergangener Epochen – in diesen beiden Fällen Mittelalter und Antike – nachzuahmen und vergisst dabei, dass zu einer Geschichte noch viel mehr gehört. Zumal man zugeben muss, dass Flaubert zwar ein Meister des realistischen Romans ist, andere Textformen aber nicht auf diesem Niveau beherrscht.
Kein glaubhaftes Konzept
Auch die von Gustave Flaubert angedachte Grundidee der drei Erzählungen zu drei Epochen (Moderne/ Mittelalter/ Antike) scheint mir kein stimmiges Konzept zu sein. Das soll nicht heißen, dass es sich um schlechte Geschichten handelt, gerade in der ersten Geschichte schimmert noch das Können Flauberts durch. Die drei Geschichten sind jedoch keine gelungene Zusammenstellung miteinander verbundener Kurzgeschichten, sondern das Produkt akuter Geldnot, die mit einem Rückgriff in die Schreibtischschublade behoben werden sollte. Ohne seine finanziellen Probleme hätte er dieses Buch wohl nie herausgebracht.
Wenigstens der Anhang ist großartig
Drei Geschichten erschien 2017 in einer Neuübersetzung von Elisabeth Edl im Hanser Verlag, der wieder einmal das Maß aller Dinge unter den Klassiker Verlagen darstellt. Das Buch ist farblich passend zu Madame Bovary in hellblauen Leinen gebunden, fadengeheftet, hat ein Leseband, ein Titelschild und ist aufgrund der Kürze mit dickerem Papier ausgestattet, als man es bei den meisten Hanser Klassikern gewohnt ist.
Ein wahres Vergnügen ist hingegen der Anhang selbst, der neben zahlreichen Anmerkungen zu den Geschichten auch ein 40-seitiges Nachwort der Übersetzerin Elisabeth Edl enthält. Zusätzlich gibt es noch über 50 Seiten Briefwechsel Flauberts und Auszüge aus Reiseberichten und der Bibel. Insgesamt rechtfertigt allein schon der umfangreiche Anhang die Lektüre.
Werke von Gustave Flaubert
Pro/Contra
Pro
- die erste Geschichte enthält alles, was Flaubert ausmacht
- der umfangreiche Anhang kann überzeugen
Contra
- nur die erste Geschichte kann überzeugen
- Flaubert versucht sich an Textgattungen, die er nicht beherrscht
Fazit
Die Drei Geschichten fanden schon immer ihre Leser und werden sie auch in Zukunft finden. Mich begeistern sie allerdings nicht. Zu komprimiert in der Handlung, zu gewollt zusammengefügt konnte dieser Band in meinen Augen nur aus der Geldnot Flauberts heraus entstehen. Die Anmerkungen hingegen entschädigen für vieles und machen die Lektüre für Flaubert interessierte Leser zumindest wieder lohnend.
autor: Gustave Flaubert
Titel: Drei Geschichten
Seiten: 315
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Hanser Verlag
ISBN: 9783446256590
übersetzerin: Elisabeth Edl
illustrator: –
Reihe: Hanser Klassiker