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Ein Landarzt

von Franz Kafka


03.06.2022

  • Klassiker
  • ·
  • Phantastik

Franz Kafka zählt ohne Frage zu den bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellern. Mit Ein Landarzt erschien 1920 seine zweite und zu Lebzeiten wenig beachtete Kurzgeschichtensammlung.

Die 14 Erzählungen der Originalausgabe

In der Ausgabe des Galiani Verlages sind die 14 Erzählungen der Originalsammlung versammelt. Es handelt sich dabei um recht kurze Erzählungen, die längste (Ein Bericht für die Akademie) umfasst dabei gerade einmal 17 Seiten. Neben der Akademie finden wir natürlich mit dem titelgebenden Landarzt eine der bekanntesten Erzählungen Kafkas oder weitere geläufige Erzählungen wie etwa Vor dem Gesetz oder Ein Besuch im Bergwerk. Hier findet ihr eine Übersicht aller enthaltenen Kurzgeschichten.

Ein Klassiker des Deutschunterrichts

Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der Geschichten Kafkas nicht in seiner Schulzeit lesen durfte/musste. Darum bedarf es auch keiner weiteren Aufwärmung hinreichend bekannter Geschichten, wie etwa die der glücklichen Weigerung seines Freundes Max Brod, seine Geschichten nach seinem Tod zu vernichten.

Der Landarzt sollte eigentlich bereits 1917 erscheinen, doch der erste Weltkrieg und die daraus resultierenden Schwierigkeiten verzögerten die Veröffentlichung immer wieder, bis es schließlich im Mai 1920 so weit war. Es ist bezeichnend für die damalige Wahrnehmung Kafkas, dass das Buch von nur einem Rezensenten besprochen wurde. Die Wertschätzung, die Kafkas Geschichten heutzutage entgegengebracht wird, zeigt natürlich, dass dies ein Fehler war – ein Schicksal, dass viele Autoren erleiden mussten. Doch können seine Geschichten auch losgelöst von seinem heutigen Status in der Literatur überzeugen?

Stilistisch außergewöhnlich sachlich

Im Gegensatz zu meinem üblichen Vorgehen habe ich es vermieden, den Inhalt der Kurzgeschichten weiter oben zumindest kurz anzureißen. Wer Kafka gelesen hat, weiß auch warum. Seine Geschichten sind stilistisch und inhaltlich schwer greifbar und laden geradezu zu einer Überinterpretation ein.

Was man Kafka sicher nicht vorwerfen kann ist, dass er in seinen Erzählungen den Faden verliert. Er schreibt geradlinig und sachlich, ja geradezu emotionslos und verzichtet dabei auf jede Form der Kommentierung oder Ausschmückungen. Gegen seine Formulierungen wirkt ein Mathematik-Lehrbuch so lebendig und dramatisch wie die Sonntagsausgabe eines bekannten Schundblattes mit vier Buchstaben.

Kafkaesk kommt nicht von Ungefähr

Das macht den Einstieg sicher nicht leicht, aber wenn man erst einmal hineingefunden hat, dann geht dieser Stil eine unheimliche Verbindung mit dem Inhalt seiner Geschichten ein. Eine Verbindung, die nicht zu Unrecht mit dem Wort „kafkaesk“ Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat.

Kafka schickt seine (Ich-)Erzähler in unheimliche und absurde, ja geradezu surreale Situationen. Die Atmosphäre ist dabei stets bedrohlich-beklemmend, ein Entrinnen scheint es nicht zu geben. Die Protagonisten wissen um die Ausweglosigkeit ihrer Situation, doch wie dagegen ankämpfen, wenn sie nicht einmal wissen, was die Ursache dafür ist? Dafür braucht er nicht einmal viele Zeilen, oft reichen ihm dafür wenige Sätze.

Der Leser ist geradezu gefangen in diesem unheimlichen Zusammenspiel von sachlich-nüchterner Darstellung auf der einen Seite und surreal-phantastischem Inhalt auf der anderen Seite. Eine Ausgangslage, die geradezu nach Forschungsarbeit schreit. Diesem Ruf sind natürlich viele bereitwillig gefolgt – man sehe sich allein die unzähligen Interpretationen des Landarztes an.

Doch passt Kafka noch in unsere Zeit?

Wie man herauslesen konnte, bin ich kein großer Freund von kleinteiliger Überinterpretation, auch wenn ich das bei Kafkas Texten zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann. Doch wenn das der Preis dafür ist, um Kafkas Geschichten am Leben zu halten ist – dann bitte, es zwingt ja niemand einen, sich mit den entsprechenden Beiträgen auseinanderzusetzen.

Ich glaube, dass Kafka auch außerhalb dessen heute noch seine Berechtigung hat. Natürlich ist sein Stil ungewöhnlich – vor einem Kauf würde ich jedem Neu-Leser dazu raten, sich einen Eindruck davon zu verschaffen. Ich bin auch kein Kafka-Jünger, bei dem jede seiner Geschichten Begeisterungsstürme hervorrufen. Auch in dieser Sammlung ist sicherlich vieles dabei, das wohl nur aus literaturhistorischer Sicht interessant ist.

Allerdings können auch Erzählungen wie Vor dem Gesetz, Ein Landarzt oder Ein Besuch im Bergwerk auch ohne tiefgehende Analysen überzeugen. Bei ihnen handelt es sich einfach um starke Geschichten eines starken Erzählers, die Lust auf mehr machen.

Heute wäre Kafka kein Klassiker mehr

Würde Kafka seine Texte heute veröffentlichen, da bin ich mir sicher, dann würde er niemals einen vergleichbaren Status erreichen. Denn heutzutage würde man seine Geschichten eindeutig der phantastischen Literatur zuordnen, irgendwo zwischen Fantasy und Horror. Inhaltlich ist er sogar der geistige Stammvater der Bizarro Fiction. Aber Genres sind sowieso nur Schall und Rauch, darum will ich es bei dieser kurzen Ausschweifung beruhen lassen.

Der erste Band der illustrierten Lieblingsbücher

Ein Landarzt ist der erste Band der Illustrierten Lieblingsbücher aus dem Galiani Verlag. Dass ich mittlerweile ein großer Fan dieser Reihe bin, sollte aufmerksamen Bloglesern bereits hinreichend bekannt sein. Ich liebe einfach alles an diesen Büchern – ob es nun das ideale Buchformat, die hervorragenden Illustrationen von Kat Menschik oder die erlesenen Materialien sind.

Mit dem Landarzt haben wir nun das erste Buch dieser Reihe vor uns, dass bereits alle enthält, was diese Reihe ausmacht. Der Einband ist aus bedruckten dunkelgrünen Leinen (man verzeihe mir, dass ich mich mit den Feinheiten der Farbtöne nicht auskenne…), ein dreiseitiger Buchschnitt ist auch hier schon vorhanden und natürlich müssen wir auf die Fadenheftung nicht verzichten. Wünschenswert wäre ein Leseband gewesen, schließlich kann man Kafka nach meinem Dafürhalten nicht einfach am Stück lesen.

Die Illustrationen von Kat Menschik spiegeln die Vielfalt von Kafkas Geschichten wider. Sie bedient sich einer Vielzahl von verschiedenen Zeichenstilen, auch wenn der Schwerpunkt auf holzschnittartigen Illustrationen liegt. Weiteres Zusatzmaterial ist nicht vorhanden. Dies ist aber vermutlich besser als die nächste Überinterpretation seiner Werke.

Bibliographie

Mehr Weniger

Pro/Contra

Pro
  • mit nur wenigen Sätzen skizziert Kafka beklemmende und ausweglose Situationen
  • die Verbindung von Stil und Inhalt ist einzigartig und fasziniert den Leser
Contra
  • lädt zu Überinterpretationen ein!
  • der sachlich-journalistische Schreibstil erschwert den Einstieg

Fazit


Franz Kafkas Geschichten sind sicherlich nicht die zugänglichsten Erzählungen, darum empfehle ich vor dem Kauf einen kleinen Test. Wer sich darauf einlassen kann, findet mit diesem Band eine der schönsten verfügbaren Ausgaben.

autor: Franz Kafka

Titel: Ein Landarzt

Seiten: 112

Erscheinungsdatum: 1919

Verlag: Galiani Verlag

ISBN: 9783869711329

übersetzer: –

illustratorin: Kat Menschik

Reihe: Illustrierte Lieblingsbücher (1)

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