Ein gebundenes Buch mit dem Titel „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald liegt geschlossen auf einer Holzfläche.

Der große Gatsby

von F. Scott Fitzgerald


18.10.2024

  • Klassiker

Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald gilt als Klassiker der modernen amerikanischen Literatur und steht wie kein zweiter Roman für die Roaring Twenties. Nächstes Jahr wird Fitzgeralds berühmtester Roman 100 Jahre alt. Höchste Zeit, einen ausführlichen Blick zu wagen.

Die Roaring Twenties

New York, 1922: Nick Carraway – Veteran des Ersten Weltkriegs, Yale-Absolvent und Sprössling einer reichen Familie – möchte Börsenmakler werden und zieht dazu in ein kleines Haus auf Long Island.

Sein Nachbar ist der Emporkömmling und Millionär Jay Gatsby. Dieser feiert jedes Wochenende berauschende Partys in seiner Villa und versammelt alles, was Rang und Namen hat, um sich. Die beiden ungleichen Männer verbindet mehr, als sie anfangs annehmen, und sie freunden sich mit der Zeit an.

Doch über der glitzernden Szenerie lauern die Schatten der Vergangenheit und drohen, alles niederzureißen …

Tragisches Autorenschicksal

Francis Scott Fitzgeralds Leben verlief beinahe so tragisch wie das seines berühmten Romanhelden: Sein Erfolg als Schriftsteller begann 1920 mit dem Roman Diesseits von Paradies, dem 1922 Die Schönen und Verdammten folgte. Doch bereits kurze Zeit später begann sein Abstieg.

Der 1925 erschienene Roman Der große Gatsby war kein großer finanzieller Erfolg. Und mit dem Börsencrash von 1929 und dem Ende der Roaring Twenties begann auch Fitzgeralds Stern zu sinken. Hinzu kamen private Rückschläge: Seine Alkoholsucht und die überaus komplizierte Beziehung zu seiner Frau Zelda sind heute noch Stoff zahlreicher Legenden.

Unser Autor starb letztlich viel zu früh im Alter von 44 Jahren. Erst Hollywood verhalf ihm Jahrzehnte nach seinem Tod zu dem Ruhm, den er sich immer erhofft hatte.

Provokant beliebig

Es fällt mir nicht schwer zu verstehen, warum sich dieser Roman heute noch einer so großen Beliebtheit erfreut: Er ist kurz und einfach genug, um auch Gelegenheitsleser anzulocken. Gleichzeitig ist er durchzogen von zahlreichen Motiven, die immer nur oberflächlich angerissen werden. Damit aber Anknüpfungspunkte für jeden Leser bieten.

Sei es der American Dream, dessen Dekonstruktion, Dekadenz, Roaring Twenties, Prohibition, Liebesgeschichten, Anti-Liebesgeschichten, Sehnsucht, Nostalgie, Melancholie, neue Frauenrollen (von Emanzipation möchte ich bei Figuren wie Jordan Baker oder Daisy nicht sprechen) oder feine Risse in scheinbar makellosen Umgebungen: Fitzgerald schneidet beinahe jeden denkbaren Aspekt an – ohne wirklich in die Tiefe zu gehen.

Das ist völlig in Ordnung und schadet der Geschichte nicht. Unangenehm wird es nur, wenn Fitzgerald mit dem Holzhammer unterwegs ist und uns banale Botschaften aufdrücken will. Glücklicherweise halten sich diese Stellen in Grenzen.

Interessanter Stil

Handwerklich haben wir es mit einer interessanten Mischung zu tun: Einerseits nutzt Fitzgerald ausführliche Beschreibungen und eine bildhafte Sprache. Diese ist durchzogen von Metaphern und Akzenten auf bestimmte Aspekte, vor allem Farben. Andererseits setzt er auf eine komprimierte Handlung und wählt Szenen und Rückblenden mit Bedacht aus.

Als Filmkenner dachte ich beispielsweise, dass die Ausschweifungen seiner Protagonisten mehr Raum einnehmen würden. Tatsächlich setzt unser Autor seine Szenen mit Bedacht ein. Manchmal schneidet er auch zu viel ab. Oder betont Abschnitte zu stark. Nicks Vergangenheit nimmt beispielsweise viel Platz ein, ohne der Geschichte etwas zu geben.

Unser Erzähler Nick ist ein klassischer unzuverlässiger Erzähler mit allen Vor- und Nachteilen dieses Stilmittels. Er ist immerhin blass genug, um den Fokus auf das eigentliche Geschehen zu lenken.

Anstrengendes Figurenensemble

Im Hinblick auf die Charaktere macht Fitzgerald es uns schwer und präsentiert ein Umfeld, das man mögen muss: Sämtliche entscheidende Figuren (insbesondere Tom und Daisy) sind absurd reich, arrogant und gelangweilt und verhalten sich dementsprechend. Figuren aus den unteren Milieus wie Wilson oder Myrtle kommen aber auch nicht besser weg.

Die einzigen Ausnahmen sind Nick (Fleiß) und Gatsby. Mein Problem mit Gatsby ist, dass er absichtlich so schwammig beschrieben wird, dass wir als Leser entscheidende Momente nicht nachvollziehen können. Ohne zu viel verraten zu wollen: Natürlich kann Liebe zu unüberlegten Handlungen führen. Aber dazu muss zunächst einmal eine Liebesgeschichte nachvollziehbar konstruiert werden – was im entscheidenden Beispiel nicht der Fall ist.

Was bleibt?

Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald ist leider nicht der große Wurf, den ich mir erhofft habe. Ich verstehe die Faszination, die von diesem Roman ausgeht, und warum er so viele verschiedene Menschen anspricht. Auch sprachlich handelt es sich um eine ansprechende Mischung. Bestehend aus bildhafter Sprache und komprimierter Handlung, die gewürzt ist mit klug eingesetzten Stilmitteln.

Bedauerlicherweise ist es die thematische Beliebigkeit, die diesen Roman am Boden hält. Wer alle ein wenig anspricht, spricht am Ende niemanden wirklich an. Zudem fällt es mir schwer, die zentrale Liebesgeschichte wirklich nachvollziehen zu können. Hier hätte ich mir weniger Farben und mehr Szenen gewünscht. Letztlich also ein unterhaltsamer Roman, mehr aber auch nicht.

Edle Kupferprägungen

Die mir vorliegende Ausgabe stammt aus dem Anaconda Verlag und kann durch ein ansprechendes Äußeres überzeugen. Grundsätzlich handelt es sich um ein gewohnt preiswertes Anaconda-Hardcover, bei dem wir auf ein Leseband verzichten müssen.

Diese Ausgabe entstammt der Reihe besonderer Klassiker und kann mit einer ansprechenden Cover-Gestaltung und einer gelungenen Kupferprägung aufwarten. Die Übersetzung stammt von Kai Kilian. Auf einen Anhang müssen wir verzichten – das ist aber angesichts des günstigen Preises völlig in Ordnung.

Pro/Contra

Pro
  • Interessante Prosa
  • Zeitlose Themen
Contra
  • Botschaften stellenweise zu plump
  • Unsympathische Figuren

Fazit


Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald bietet solide Unterhaltung und einen interessanten Stil, enttäuscht aber teilweise durch thematische Beliebigkeit. Keine Zeitverschwendung, aber auch kein großer Wurf.

autor: F. Scott Fitzgerald

Titel: Der große Gatsby

Seiten: 224

Erscheinungsdatum: 2024 (1925)

Verlag: Anaconda Verlag

ISBN: 9783730612828

Übersetzer: Kai Kilian

illustratoren: –

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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2 Kommentare
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Jana
18.10.2024 14:58

Der Roman steht auch noch auf meiner Liste; ich kenne auch nur den Film und finde es daher toll, dass du einige Punkte vergleichst. In dem Roman „Madame Hemingway“ nehmen die Fitzgeralds als Freunde von Ernest Hemingway viel Raum ein und sind interessante Figuren; nach diesem Roman bin ich fast mehr auf Zeldas schriftstellerisches Schaffen gespannt. Vielleicht fange ich auch mit ihr an; nach deiner Besprechung verpasst man bei Gatsby ja nicht allzu viel.
Viele Grüße!
Jana

Eugen
20.10.2024 08:17
Antwort an  Jana

Ich kann dich da verstehen. Die Fitzgeralds sind ein Thema, mit dem auch ich mich schon längere Zeit näher beschäftigen wollte – da gibt es viele interessante Ebenen. Danke auch für den Literaturtipp!

Ich gebe Scott noch nicht völlig auf, in meinem Regal warten noch ein paar Kurzgeschichtenbände, die ich über kurz oder lang nochmal lesen werde. Aber ich schätze, es ist kein großer Verlust, wenn du mit Zelda anfängst und den Gatsby links liegen lässt.