![Auf einer Holzplatte liegt ein buntes Buch mit dem Titel „Tintenherz“ von Cornelia Funke. Der Einband ist mit verschnörkelten, dekorativen Buchstaben und Illustrationen versehen.](https://buecherbriefe.de/storage/cornelia-funke-tintenherz.jpg.webp)
Tintenherz
von Cornelia Funke
25.10.2024
- Fantasy
Anfang dieses Jahrtausends erschien Cornelia Funkes Roman Tintenherz und machte die Schriftstellerin mit einem Schlag zur Bestseller-Autorin mit Millionen-Auflagen. Zurecht?
Bücher, Bücher, Bücher
Seit sie denken kann, lebt die zwölfjährige Meggie ein Leben im Zeichen des Buches. Sie begleitet ihren Vater und bekannten Buchbinder Mortimer – Mo – bei seinen exklusiven Aufträgen, die die beiden mit den kostspieligsten und kostbarsten Büchern auf der ganzen Welt in Kontakt bringen.
Bis eines Tages der mysteriöse Fremde Staubfinger auftaucht und damit die Wunden der Vergangenheit aufreißt…
Deutscher Exportschlager
Cornelia Funke arbeitete zunächst als Erzieherin und Illustratorin von Kinderbüchern, bevor sie mit Werken wie Drachenreiter, Die wilden Hühner oder Herr der Diebe erste Achtungserfolge als Schriftstellerin feierte. Ihr internationaler Durchbruch gelang ihr Ende 2003 mit Tintenherz – mittlerweile wurden über 30 Millionen Exemplare ihrer Bücher weltweit verkauft.
Es ist mittlerweile gut zwanzig Jahre her, seit ich Tintenherz das letzte Mal gelesen habe. Bücher nach so langer Zeit wieder zu lesen birgt immer die Gefahr einer ent-täuschenden Erfahrung mit sich – insbesondere, wenn man die Bücher eigentlich mochte. Nachdem aber im vergangenen Jahr mit Die Farbe der Rache ein neuer Ableger der Tintenwelt-Romane erschien, wollte ich zur Vorbereitung noch einmal in diese Welt hineinschnuppern. Ob das wirklich eine gute Entscheidung war, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
Eines vorweg
Ich bin überzeugt davon, dass die eigene Leseerfahrung auch und gerade von äußeren Umständen und der eigenen Geisteshaltung abhängt und nicht nur vom reinen Lesestoff. Gerade in Deutschland neigt man dazu, Gräben zu ziehen und jedem Roman die eigenen kleingeistigen Maßstäbe aufzwingen zu wollen. Beispiele lassen sich unzählige dafür finden, man denke nur an die Fantasy-Welle nach den Herr-der-Ringe-Verfilmungen, Mankell-Leser um die Jahrtausendwende herum oder aktuell die wohlwollend-abschätzigen Kommentare über TikTok-Literatur.
Verschiedene Literaturrichtungen eint oft nicht mehr als das geschriebene Wort an sich und erfordern unterschiedliche Bewertungskriterien. Ein Jugendbuch mit den gleichen Maßstäben zu bewerten wie Madame Bovary oder Anna Karenina ist in etwa so, als würde man an eine Lasagne aus der Perspektive eines Vegetariers beurteilen – und ja, der Vergleich hinkt vorne und hinten, aber er-füllt seinen Zweck. Natürlich kann ich ein beliebiges Jugendbuch herausgreifen und Handlung und Charaktere kritisieren – möglicherweise liegt der Fehler aber dann eher bei der Leserin als beim Buch.
Schwächen im Plot
Dies soll aber nicht bedeuten, dass jegliche Form von Kritik unangebracht ist – das ist sie durchaus, aber nur aus dem entsprechenden Blickwinkel. Und tatsächlich kann man auch so einiges an Tintenherz kritisieren.
So mag die Grundidee zwar durchaus ansprechend sein, aber wahnsinnig innovativ (Unendliche Geschichte) ist sie auch nicht. Und auch die Handlung an sich wirkte schon damals arg konstruiert und von kleineren Logikfehlern durchlöchert – ein Befund, den die Zeit eher verstärkt hat.
Hinzu kommt, dass sich viele zentrale Elemente pausenlos wiederholen. Na klar, die erste Geiselnahme mitsamt anschließendem Fluchtversuch sorgt noch für Spannung, aber bei der dritten oder vierten Wiederholung macht sich so langsam Ratlosigkeit breit.
Liebeserklärung an das Lesen
Doch schon damals gehörte der Plot nicht zu den Stärken des Romans. Was die Massen an Lesern vor allem überzeugen konnte: Dass es sich um eine in Romanform gegossene Liebeserklärung an das (Vor-)Lesen und Bücher im Allgemeinen handelt. Die Figuren kaufen Bücher, lieben Bücher, bestaunen Bücher, umgeben sich mit Büchern, werden mit allerhand Zitaten um sich und (vor)gelesen wird zwischendurch auch noch. Selten fühlte man sich als Vielleser und Buchliebhaber so verstanden wie zwischen den Buchdeckeln dieses Romans.
Detaillierter und bildhafter Stil
Dieser Wohlfühl-Effekt wird nicht zuletzt durch Funkes bildhaften Stil verstärkt. Durch möglichst genaue Beschreibungen gelingt es ihr, das Geschehen anschaulich und lebensnah darzustellen – ganz so, als würde sie uns die Geschichte am Lagerfeuer vorlesen.
Eigentlich bin ich ja kein Freund farbenfroher Bilder. Ich bevorzuge einen minimalistischen Ansatz und einen Fokus auf das Wesentliche. Aber in einem Buch, das die Kunst des Vorlesens so zu seinem Thema macht, passt alles wunderbar zusammen. Abstriche macht die Autorin nur, wenn es um Gewalt geht – diese ist zwar Bestandteil der Handlung, wird aber immer nur angedeutet und niemals explizit beschrieben.
Klare Rollenverteilung
Da macht es auch gar nichts, dass wir es nicht mit bis ins (vermeintlich) letzte Details ausgearbeiteten Charakteren zu tun haben. Die Rollenverteilung ist zwar klar und vorhersehbar – dafür merkt man den Figuren aber die Liebe ihrer Schöpferin an.
Als kleines Beispiel seien die Namen genannt, bei denen Funke ein ähnliches Talent beweist wie ihre Kollegin J. K. Rowling. Staubfinger, Wolkentänzer und Zauberzunge fügen sich nahtlos in diese Welt ein und klingen einfach zauberhaft. Vielleicht ist alles ein wenig oberflächlich, dafür handelt es sich aber um eine sehr schöne Oberfläche.
Wie man es sich denken kann, sind die guten Figuren immer sympathische Zeitgenossen. Während einige für unterhaltsame Szenen sorgen (Elinor!), bilden andere Anknüpfungspunkte für eine jüngere (Meggie) und ältere (Mo) Leserschaft. Die Bösewichte lassen hingegen kein Klischee aus, kleiden sich wie Möchtegern-Mobster, verhalten sich aber eher wie eine Bande frühreifer Jugendlicher.
Was bleibt?
Tintenherz von Cornelia Funke stellt auch mehr als zwanzig Jahre nach dem Erscheinen eine der schönsten Liebeserklärungen an das Lesen und Bücher im Allgemeinen dar. Natürlich gibt es Schwächen im Plot und bei den Charakteren und den bildhaften Stil muss man schon mögen.
Aber selten wurde schöner über das Lesen, Schreiben und Bücher an sich geschrieben – eine lohnenswerte Lektüre – wenn man bereit ist, die Maßstäbe eines Jugendbuchs anzulegen.
Wunderschönes Buch
Rein äußerlich handelt es sich um ein wirklich schönes Buch aus dem Dressler Verlag. Bereits das liebevolle Cover mit seinen vielen kleinen Details deutet an, was uns im Inneren erwartet und das Leseband und der weinrote Vorsatz (Buchleser wissen, was ich meine) trösten über die fehlende Fadenheftung hinweg. Jedes Kapitel beginnt zudem mit einem passenden Zitat aus anderen Büchern und zum Abschluss erwartet uns oft auch eine kleine wundervolle Illustration der Autorin selbst.
Pro/Contra
Pro
- Bildhafte und lebendige Sprache
- Liebeserklärung an das Lesen und Bücher
Contra
- Klischeebehaftete Charaktere
- Schwächen im Plot
Fazit
Tintenherz von Cornelia Funke stellt eine der schönsten Liebeserklärungen an das Lesen dar. Für alle Leser, die auf Jugendbücher einlassen können!
autorin: Cornelia Funke
Titel: Tintenherz
Seiten: 576
Erscheinungsdatum: 2003
Verlag: Dressler Verlag
ISBN: 9783791504650
übersetzerIn: –
illustratorin: Cornelia Funke
Reihe: Tintenwelt (1)
[…] Tintenherz von Cornelia Funke ist so einer der Klassiker, die ich dringend mal nachholen sollte. Eugen hat mich in seinem Beitrag daran erinnert. Und plädiert außerdem dafür die eigene Messlatte und Erwartungshaltung zu hinterfragen, wenn wir Literatur besprechen. Richtig! […]
Das ist ja eigentlich auch so ein Klassiker, den ich mal nachholen wollte. Vielen Dank fürs Erinnern. 🙂
Die Debatte welchen Maßstab man bei den Büchern anlegen sollte, finde ich ganz spannend. Da ich ja neulich Die Abenteuer von Tom Sawyer gelesen habe, erinnerte ich mich bei der Erwähnung des N-Wortes darin auch an die Debatten, die das vor wenigen Jahren ausgelöst hat. Klar ist das scheiße. Klar ist das nicht unser heutiger Standard, entspricht nicht mehr den Werten, die ich auch ich vertrete. Aber ein guter Hinweis im Vor- oder Nachwort hilft da mehr als das Buch zu den Akten zu legen …
Mit Jugendbüchern komme ich vielleicht auch nicht immer so klar. Man kann sich nicht immer in das Mindset versetzen. Das muss man einfach wissen. Ich fand beispielsweise „Momo“ ganz schön langweilig, aber manche Passagen wieder so entlarvend. Zumindest versuche ich immer meinen Maßstab und meine eigene Erwartungshaltung zu hinterfragen – wie du schon sagst, sollten wir das alle tun, wenn wir ach so kritisch auf die Bücher schauen.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass du Schwierigkeiten mit bestimmten Arten von Büchern hast. Mit geht es oft genau so. Und zumindest ich kann mich nicht völlig davon frei machen. Was zählt ist letztlich das Bewusstsein für die eigenen geistigen Unzulänglichkeiten und jedenfalls der Versuch, diese zu überwinden.
Das Thema nachträgliche Änderungen ist ein guter Punkt. Im Zweifel bin ich da auch eher für die mündige Leserin. Auf jede gelungene Bearbeitung (Der Niemand von der Narcissus) kommen leider viel zu viele „bevormundende“ (vermutlich nicht immer das richtige Wort, aber du weißt, was ich meine) Eingriffe in den Originaltext.
Ich habe schon länger überlegt, speziell zu diesem Thema etwas zu schreiben. Leider werde ich dabei schnell emotional – und wenn wir von einer Sache auf der Welt mehr als genug haben, dann ist das Wut 😅
Schönen guten Morgen!
Ich habe aufgrund des neuen Ablegers die Tinten Trilogie auch nochmal gelesen – und zum Glück wurde ich absolut nicht enttäuscht und konnte an meine damalige Begeisterung anknüpfen 🙂 Ich kenne von Cornelia Funkes Kinderbüchern nicht so wirklich viele (Drachenreiter, Herr der Diebe, Geisterritter z. B.), die ich auch mag. Aber die Tintenwelt hat für mich einfach was total besonderes und magisches. Das mag durchaus am Buch-Bezug liegen, an Mo, der sie restauriert, an Meggie, die in den Geschichten versinkt, an Elinor die sie sammelt… aber auch an der Idee beim Lesen tatsächlich in der Welt des Buches zu „verschwinden“
Die Namen sind so genial, zumindest für mich, wie Staubfinger und vor allem auch in den Fortsetzungen die Personen aber auch die Orte. Ihr Schreibstil verzaubert mich hier einfach und ich konnte auch beim re-read nichts negatives feststellen 😀 Klar sind die Charaktere sehr aufgeteilt zwischen gut und böse, aber grade Staubfinger in seiner Tragik hat es mir sehr angetan <3
Vor allem die Reckless Reihe liebe ich auch sehr, hier ist der Stil auch so besonders – und ich warte schon sehnsüchtig auf den nächsten Band 🙂
Liebste Grüße, Aleshanee
Schönen guten Abend Aleshanee,
In irgendeiner meiner kommenden Rezensionen zur Tintenwelt-Reihe stelle ich die Behauptung auf, dass die Qualität der einzelnen Bände mit dem Literaturbezug steht und fällt. Je weiter sich Funke davon entfernt (und das hat sie mit mit dem dritten und besonders mit dem vierten Band getan) desto schwieriger wurde es, ihre Schwächen zu kaschieren. Tintenherz und Tintenblut liebe ich wegen der von dir genannten Aspekten auch heute noch, danach wird es leider schwierig für mich 🤔
Sie hat einen genialen Schreibstil, tolle Ideen und fabelhafte und einprägsame Figuren. Aber sie kriegt es (meiner Ansicht nach) einfach nicht hin, eine ordentliche Handlung zusammenzuschustern. Wenn man Interviews mit ihr sieht, dann kann ich mir vorstellen, dass sie einfach genau so in ihre Figuren verliebt ist wie ihre Leser und sich dann selbst in ihren Geschichten verliert. Aber das ist auch nur meine unbedeutende Meinung😅
Reckless ist bislang mehr oder weniger an mir vorbeigegangen, wenn ich das aber richtig verstanden habe, dann gab es in Der Farbe der Rache die eine oder andere Anspielung darauf, oder?
Liebe Grüße,
Eugen
Also ich liebe die Tintenreihe so wie sie ist 🙂 Gerade wenn sie ab Band 2 in der Tintenwelt sind beginnt es für mich eigentlich erst, ich liebe ihre Beschreibungen, ihre Wortkreationen und ja, auch den Plot. Ich konnte da bisher keine Schwächen finden und bin einfach ein riesiger Fan <3
Hm, das kann gut sein dass es da Anspielungen gab, aber das weiß ich grade tatsächlich gar nicht mehr so genau, ich vergesse solche Details leider immer. Jetzt wo du es erwähnst, taucht irgendwas in meiner Erinnerung auf, aber ich weiß es leider nicht mehr…
Reckless ist ja noch nicht beendet. Sie lässt sich da leider sehr viel Zeit. Vier Bände sind es momentan und ich warte schon seit Jahren (?) auf den nächsten Band!