buch frontal oben ashton mickey 7

Mickey 7: Der letzte Klon

von Edward Ashton


08.09.2022

  • Science-Fiction

In dem Science-Fiction Roman Mickey 7: Der letzte Klon von Edward Ashton möchte sich ein Wegwerf-Klon nicht mehr mit seinem Schicksal abfinden. Schafft er es, sich von seinen Fesseln zu lösen?

Ein Wegwerfklon will nicht mehr

Das Ausgangsszenario ist altbekannt: Mehrere Tausend Jahre in der Zukunft haben Kriege die Erde nahezu unbewohnbar gemacht und die Menschheit dazu gezwungen, den Weltraum zu kolonisieren.

Zumindest versuchen sie es, denn was auf der Erde schon schwierig genug war, erweist sich im Weltraum als nahezu unmöglich: Der Treibstoff eines Schiffes reicht gerade mal für den Anlauf zu einem Planeten und wenn man die zermürbende Fahrt überstanden hat, dann muss man hoffen, bei der Ankunft einen halbwegs bewohnbaren Planeten vorzufinden. Doch damit fangen die Schwierigkeiten gerade erst an. Neben umfangreichen Terraforming Maßnahmen und grundlegenden Problemen wie die Nahrungsmittelversorgung birgt ein neuer Planet weitere Gefahren, etwa in Gestalt von einheimischen Lebensformen.

Was für eine Erleichterung stellt es dann dar, wenn man einen sogenannten Expendable bei sich hat, eine Person, deren Daten (Erinnerungen, Körperinformationen) gespeichert werden und die im Bedarfsfall (Tod) als Klon mittels eines Biodruckers wiederhergestellt werden kann. Ein solcher eignet sich also hervorragend dazu, so gleichsam unangenehme und gefährliche Aufgaben wie den erstmaligen Test der Atmosphäre oder die Reinigung des radioaktiven Antriebs auf sich zu nehmen.

Was tust du, wenn es dich zweimal gibt?

Unser Protagonist Mickey Barnes ist ein solcher Expendable und das erste Mal begegnen wir ihm auf einer Erkundungsmission auf dem Eisplaneten Niflheim. Mickey, mehr oder weniger liebevoll Mickey7 genannt (den Grund könnt ihr euch denken …), wird von einer einheimischen Rasse von Schneewürmern, den Creepern, attackiert und frühzeitig von seiner Crew aufgegeben – klar, dann druckt man halt einen neuen Mickey aus.

Wie durch ein Wunder überlebt er den Angriff, doch als er in seine Koje zurückkehrt, findet er dort bereits Mickey8 vor. Das soll jedoch noch sein geringstes Problem sein, denn neben gefährlichen Versteckspielen – es darf nur ein Klon gleichzeitig existieren – und geteilten Essensrationen entwickeln sich die Creeper zu einer immer größeren Bedrohung für die kleine Kolonie …

Verfilmung von Bong Joon-ho

Als ich zum ersten Mal von dem Roman gehört habe wusste ich, dass ich ihm eine Chance geben musste. Nicht nur, dass er eine vielversprechende Mischung aus Andy Weirs Der Marsianer und dem unterschätzten Film Moon versprach. Hinzu kommt, dass momentan kein geringerer als Bong Joon-ho (u.a. Parasite) an einer Verfilmung des Stoffes arbeitet und dieser in der Regel ein gutes Händchen für phantastische Stoffe hat.

(Zum Glück) keine Hard Science-Fiction

Bei einem Science-Fiction Roman kann sich ein Autor sehr vereinfacht ausgedrückt zwischen den Extremen der Hard Science-Fiction, die sämtliche Phänomene mit pseudowissenschaftlichen (nicht despektierlich gemeint!) Theorien zu erklären versucht und dem alleinigen Fokus auf Ideen (Jack Vance) bewegen. Während Hard Science-Fiction nicht unbedingt bedeuten muss, dass sich der einfache Leser erschlagen fühlen muss (Mark Watney!), so ist eine solche Tendenz nicht zu verleugnen.

Ashton hat sich bei seinem Roman für einen angenehmen Mittelweg entschieden. Er versucht zwar, die Phänomene und Technologien grob zu erklären, verliert sich dabei allerdings nicht in Details. Ob seine Erklärungen wissenschaftlich fundiert sind, kann ich als nur bedingt naturwissenschaftlich begabter Mensch nicht beurteilen. Allerdings habe ich mich auch in solchen Passagen niemals gelangweilt und keine groben Fehler entdeckt – von daher gibt es zumindest in dieser Hinsicht Entwarnung. Dabei hilft es sicherlich auch, dass er sich einer sehr einfachen und klaren Sprache bedient, die zusammen mit den humorvollen Bemerkungen unseres Ich-Erzählers Mickey auch über etwas technologielastigere Passagen hinweghelfen.

Wenn die Rückblenden nicht wären …

Die Handlung beginnt auch recht rasant und lässt die ersten zwanzig Seiten wie im Flug vergehen. Leider handelt es sich bei diesen zwanzig Seiten auch um den längsten durchweg spannenden Abschnitt des gesamten Romans. Das liegt nicht etwa daran, dass Ashton nicht die Fähigkeit besitzt, eben solche Passagen zu schreiben – dass er das Potential besitzt, beweist er im Roman zuhauf. Problematisch ist, dass Ashton auf jedes Kapitel der gegenwärtigen Handlung eine mindestens genau so lange Rückblende folgen lässt, die allenfalls einen mittelbaren Bezug zu der vorherigen Passage hat.

Natürlich sind Rückblenden wichtig und im konkreten Fall auch unterhaltsam und interessant gestaltet. Eine so umfangreiche Hintergrundgeschichte macht sie sogar unumgänglich – wo sollen wir sonst Hintergrundinformationen zu Mickey oder zur Expedition an sich hernehmen? Wenn diese Rückblenden jedoch mindestens die Hälfte des Romans einnehmen, dann muss man sich die Frage stellen, ob der Autor seinen Roman richtig geplant hat. Was als zeitliche Verzögerung in ausgewählten Momenten dabei geholfen hätte, die Spannung zu erhöhen, erweist sich bei so exzessivem Gebrauch leider als sicherer Tod jeglichen Erzähltempos und lässt die gegenwärtige Handlung beinahe schon nebensächlich wirken.

Das Schiff des Theseus ist ein philosophisches Paradoxon (scheinbar widersprüchliche Fragestellung), das sich um die Frage dreht, ob ein Gegenstand (oder in diesem Fall Mensch) die Identität verliert, wenn alle Einzelteile nacheinander ausgetauscht werden.

Daneben versucht Ashton auch immer wieder, philosophische Fragestellungen aufzuwerfen und verbindet dazu beispielsweise das Schiff des Theseus mit der Frage, inwieweit ein Klon noch als Mensch gelten kann. Hier stellt sich wiederum das Problem, dass der Roman auf knapp vierhundert Seiten einfach nicht den nötigen Raum bieten kann, diese Thematik im angemessenen Umfang zu behandeln. Die Folge ist, dass diese “philosophischen” Einschübe mehr oder weniger unbeantwortet im Raum schweben bleiben und darüber hinaus auch recht plump in die Handlung integriert wurden. In den meisten Fällen finden sie in kurzen Diskussionen mit den Crew-Mitgliedern ihren Niederschlag, deren Gehalt sich in Aussagen wie “Klone sind unnatürlich” und “Klone sind doch ganz in Ordnung” zusammenfassen lässt.

Nur ein Protagonist kann begeistern

Das liegt vermutlich auch daran, dass der Leser keine wirkliche Verbindung zu den meisten Figuren eingeht und die Gedanken der Figuren demzufolge nicht nachvollziehbar/gewichtig genug sind. Das ist schade, da es nicht daran liegt, dass wir es hier mit Stereotypen zu tun hätten. Es ist vielmehr so, dass unser Protagonist die meiste Zeit nur mit sich selbst beschäftigt ist und wir alleine aufgrund dieser eingeschränkten Perspektive viel zu wenig über die an sich interessanten Figuren erfahren. Das hat auch direkte Auswirkungen auf die Handlung, denn dadurch ist uns das Schicksal der meisten Figuren und damit auch der Kolonie völlig egal.

Eine Ausnahme möchte ich dabei für Mickey Barnes machen. Als einzigen Profiteur der ständigen Rückblenden wächst er uns tatsächlich ans Herz und auch wenn so manche Äußerung von ihm zu sehr in Richtung Mark Watney getrimmt wurde, so können wir seine Handlungen wenigstens nachvollziehen und fühlen als Leser mit ihm.

Slapstick statt Spannung

Über Mickey8 lässt sich dasselbe leider nicht sagen. Abgesehen davon, dass sein Charakter erstaunlich weit weg von Mickey7 ist, obwohl eigentlich nur wenige Wochen Lebenserfahrung zwischen den beiden liegen, erhält er erstaunlich wenig Aufmerksamkeit und erinnert mehr an eine unbedeutende Nebenfigur, als an den wichtigen Bestandteil der Handlung, den er eigentlich darstellt.

Der fehlende Fokus auf die gegenwärtige Handlung führt auch dazu, dass der Konflikt zwischen den beiden Mickeys stark in den Hintergrund gerückt wird und sich letzten Endes auf einige Slapstick Einlagen beschränkt. Das ist bedauerlich, da gerade die Beziehung der beiden Klone jede Menge Potential auf mehreren Ebenen bereitgehalten hätte.

Was bleibt?

Mickey 7: Der letzte Klon lässt mich zwiegespalten zurück. Ohne Frage ist hier jede Menge Potential liegen geblieben. Ashton hat einen klaren Schreibstil und mit Mickey einen sympathischen Protagonisten entworfen. Auch das Szenario ist gleichsam vielversprechend wie verlockend. Andererseits möchte er ohne den notwendigen Raum zu viele Motive gleichzeitig zur Geltung bringen, sodass am Ende kein Aspekt wirklich hervorstechen kann. Herausgekommen ist ein trotz allem unterhaltsamer Roman, der so viel mehr hätte sein können. Wer also einen leichten Science-Fiction Roman für zwischendurch sucht, wird hier durchaus auf seine Kosten kommen – mehr darf man allerdings nicht erwarten.

Greife ich zur Fortsetzung/Verfilmung?

Vermutlich wird es nach der Rezension viele überraschen, aber auch nach dem durchwachsenen Start bin ich noch nicht bereit, Mickey 7 aufzugeben. Im nächsten Jahr wartet die Fortsetzung Antimatter Blues auf uns und zumindest diesbezüglich habe ich die Hoffnung, dass sich Ashton auf seine Stärken besinnt und mit (hoffentlich) weniger Rückblenden ein gelungenerer Roman gelingt – das nötige Talent dazu hat Ashton auf jeden Fall. Auch die angekündigte Verfilmung von Bong Joon-ho habe ich nicht aufgegeben. Seine Filme sind brillant und ich habe die Hoffnung, dass er bei der Verfilmung die richtigen Schwerpunkte setzten wird.

Äußerlich ein gewöhnliches Paperback

Rein äußerlich handelt es sich um ein absolut gewöhnliches Paperback des Heyne Verlages, das immerhin mit einem einer glänzenden Oberfläche aufwarten kann. Zusatzmaterial kann man bei einer Erstausgabe natürlich nicht erwarten, darum vermisse ich es auch nicht in diesem Band. Das Covermotiv weist zwar keinerlei inhaltliche Bezüge auf, ist aber immerhin recht ansprechend gestaltet. Da ich das Original nicht kenne, kann ich keine weiterreichenden Aussagen zur Arbeit des Übersetzers Felix Meyer treffen, zumindest sind ihm keine augenscheinlichen Fehler unterlaufen.

Pro/Contra

Pro
  • Sympathische Hauptfigur
  • Interessantes Szenario
  • Klarer und einfacher Schreibstil (keine Hard-SF!)
Contra
  • Ashton will zu viel auf einmal
  • Viele Themen werden angerissen, ohne zu einem befriedigen Ende zu kommen
  • Das Erzähltempo leidet unter ständigen Rückblenden

Fazit


Mickey 7 ist ein solider Science-Fiction Roman, der einfach zu viel auf einmal will. Leichte Kost für zwischendurch, aber um einen neuen Mark Watney handelt es sich (noch) nicht.

autor: Edward Ashton

Titel: Mickey 7: Der letzte Klon

Seiten: 366

Erscheinungsdatum: 2022

Verlag: Heyne Verlag

ISBN: 9783453321723

übersetzer: Felix Meyer

illustrator: –

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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Miss Booleana
03.10.2022 19:44

Den habe ich mir neulich als Hörbuch gegeben, so wie ich es öfter mit Autor_innen mache, von denen ich noch nichts gelesen habe. Hat mir ganz gut gefallen. Die Rückblenden fand ich ganz hilfreich um Mickeys Beweggründe und Lebensstationen zu verstehen. Ich wäre sogar enttäuscht gewesen nicht zu erfahren wie Mickey1 etc das zeitliche segnen. Aber auch finde, dass es sich Ashton mit den philosophisch angehauchten Gedanken etwas zu einfach gemacht hat.

Uebrigens habe ich auch dazu gegriffen, weil ich auf den Film von Bong Joon-ho mit Robert Pattinson gespannt bin. Wäre natürlich fein, wenn ich das Pattinson Detail vorher nicht erfahren hätte. Denn obwohl ich ihn schätze, hätte ich mir Mickey gern erstmal “irgendwie” vorgestellt. So hatte ich immer Pattinson vor Augen. Aber hey … top gecastet.

Eugen
06.10.2022 06:49
Antwort an  Miss Booleana

Guten Morgen,

Natürlich waren die Rückblenden hilfreich, aber mir waren das einfach zu viele. Was ich sehr schade fand, weil in Ashton meiner Meinung nach das Potential für einen ziemlich guten Roman steckt.

Ich freue mich schon wahnsinnig auf den Film, das kann eigentlich nur gut werden! (Und hätte mir jemand vor einigen Jahren gesagt, dass ich mich auf einen Film mit Robert Pattinson freuen werde, dann hätte ich ihn für verrückt gehalten 😅)