Der Spieler
von Fjodor M. Dostojewski
12.07.2024
- Klassiker
In seinem 1867 erschienen Roman Der Spieler schildert Fjodor M. Dostojewski in eindrucksvollen Bildern, welche Abgründe innerhalb und außerhalb von Spielsüchtigen lauern. In Zeiten staatlich geförderten Glücksspiels erscheint der Roman heute aktueller denn je. Was kann man heute noch lernen?
Abgründe der Spielsucht
Als Alexei Iwanowitsch aus Paris zurückkehrt – er hat für seinen Arbeitgeber, einen russischen General, auf zweifelhaften Wegen Geld besorgt – findet er sich in einer angespannten Situation wieder.
Die Familie residiert im fiktiven Kurort Roulettenburg (der Name ist Programm) und verkehrt dort als vermögender Adel, obwohl sie sich vor Schulden nicht mehr retten kann. Der zwielichtige Franzose Grieux hat sämtliche Familienmitglieder mit einem Kredit unter seine Kontrolle gebracht, während die mysteriöse Mademoiselle Blanche den General hoffnungslos um ihren Finger gewickelt hat.
Alle Hoffnungen ruhen auf dem baldigen Ableben einer entfernten Verwandten. Doch als statt der erlösenden Nachricht die vermeintlich Halbtote bei bester Gesundheit vorbeischaut, bricht das Kartenhaus in sich zusammen …
Dostojewski unter Druck
Immer wieder stößt man auf Romane, deren Entstehungsgeschichte mindestens genauso interessant und fesselnd ist wieder Roman selbst – so auch hier.
Im Sommer 1865 schloss der hoch verschuldete Dostojewski mit dem Verleger Stellowski einen folgenschweren Vertrag: Gegen die Zahlung von 3000 Rubel sollte er bis zum 1. November des folgenden Jahres einen (kurzen) Roman abliefern. Andernfalls würden Stellowski die Rechte an allen bisherigen und zukünftigen (die genauen Zeiträume schwanken) Werken Dostojewskis erhalten.
Ein Umstand, der unseren Autor zunächst scheinbar nicht sonderlich Sorgen bereitete. Stattdessen schrieb er munter an Verbrechen und Strafe weiter. Er unterbrach diese Arbeit erst 26 Tage vor Abgabetermin. Es folgten intensive Tage und Nächte, in denen er der Stenografin Anna Grigorjewna Snitkina Der Spieler diktierte – ebenjene Anna, die später seine zweite Ehefrau werden sollte.
Die Geschichte geht aber noch weiter: Als gerissener Geschäftsmann verließ Stellowski noch vor Abgabetermin St. Petersburg, um die Zustellung zu verhindern. Doch glücklicherweise kam Anna auf die rettende Idee, das Manuskript bei einem Notar zu hinterlegen. Damit sicherte sie der Literaturwelt wohl auch die großen folgenden Romane Dostojewskis.
Dass Dostojewski innerhalb so kurzer Zeit einen so intensiven Roman verfassen konnte, lag vor allem daran, dass er aus eigenen Erfahrungen schöpfen konnte. So war er selbst spielsüchtig und verlor unter anderem den oben erwähnten Vorschuss am Spieltisch. Es sollte noch bis 1871 dauern, bis er sich endgültig vom Spiel lossagen konnte. Auch die wichtige Figur der Polina – dies sei nur am Rande erwähnt – ist einer wirklichen Person aus seinen Spielsucht-Episoden nachempfunden.
In Zeiten, in denen Glücksspiel längst staatlich bevertrieben wird und für Jedermann zugänglich ist und Sportwettenanbieter große Sportevents fördern, scheint der Roman aktueller denn je. Doch ist dies wirklich so?
Nicht immer runder Plot
Der Plot lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Wir treffen im fiktiven Roulettenburg (eine Mischung aus Baden-Baden, Bad Homburg und Wiesbaden) auf eine Schar von Adligen, die von den verschiedensten Aspekten der Spielsucht betroffen sind und – so viel sei verraten – auf unterschiedlichen Wegen dem Abgrund entgegensteuern.
Dass dabei nicht alles nahtlos ineinander übergreift und nicht jede Stelle rund wirkt, ist in erster Linie wohl der Entstehungsgeschichte geschuldet. Immerhin sorgt das hohe Erzähltempo dafür, dass dies nicht sonderlich ins Gewicht fällt.
Fesselnde Erzählperspektive
Wirklich hervorstechen kann Dostojewski ohnehin vor allem aufgrund seiner Fähigkeit, Handlung und Stil nahtlos miteinander zu verknüpfen. Dies beginnt schon mit der Erzählperspektive. Die Perspektive eines Ich-Erzählers sorgt schon ab Werk dafür, dass wir tief in die Gedankenwelt der jeweiligen Figur eintauchen können und hautnah Höhen und Tiefen des Spiels erleben dürfen.
Dem Autor gelingt es aber darüber hinaus, den fortschreitenden Wahn unserer Hauptfigur auch handwerklich darzustellen – zumeist durch Monologe, aber auch durch die Erzählweise. Ist Alexei zu Beginn des Romans noch dazu in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen, so gerät er von Seite zu Seite in einen immer fieberhafteren Zustand, macht immer größere Zeitsprünge und verpasst ganze Lebensabschnitte im fiebrigen Zustand. Mich hat die Intensität der Schilderungen besonders an Raskolnikow aus Verbrechen und Strafe erinnert.
Inneres und Äußeres Fieber
Dabei kann er das Spiel nicht nur innerlich äußerst beklemmend und realistisch darstellen. Auch gelingt es ihm, die den Spielhallen innewohnende reißerische und gierige Dynamik, den äußeren Nervenkitzel und die schnelle Abfolge von Höhen und Tiefen spielerisch darzustellen.
Bei alledem bedient sich Dostojewski der für ihn typischen klaren und recht harten Sprache. Natürlich ist ein Roman auch immer Kind seiner Zeit. Aber im Vergleich zu anderen Werken halten sich Beschönigungen und Ausschmückungen in engen Grenzen, was für ein insgesamt recht hohes Erzähltempo sorgt.
Humorvolle Episoden
Trotz der ernsten Thematik verliert sich das Buch aber keineswegs in schweren und deprimierenden psychologischen Betrachtungen der menschlichen Seele. Humor spielt – jedenfalls im kleineren Rahmen – eine wichtige Rolle.
Dies ist zu Beginn noch der klaren Beobachtungsgabe unseres Erzählers geschuldet, der die Oberflächlichkeit und Verlogenheit des ansässigen Adels seziert. Später und mit aller Wucht übernimmt dann die Erbtante – meiner Meinung nach die stärkste Figur des ganzen Romans – diese Rolle und sorgt mit ihrem Auftreten für Highlights am laufenden Band.
Überhaupt wirkt der Roman keineswegs verkrampft oder verkopft. Ich kann an dieser Stelle nur spekulieren, aber: Da Dostojewski in recht kurzer Zeit relativ viele Seiten füllen musste, war er an vielen Stellen dazu gezwungen, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und zu improvisieren. Damit meine ich keine Verlegenheits-Improvisationen, sondern eher die Improvisationen eines Künstlers, der quasi aus dem Nichts heraus ein Meisterwerk verfasst.
Großartiges Figurenensemble
Wiederum typisch für den russischen Schriftsteller ist ein bis zur letzten Nebenrolle hochkarätig besetztes Figurenensemble. Dies und seine exzellente Beobachtungsgabe ermöglichen es ihm, möglichst viele Aspekte der Spielsucht zu thematisieren.
Auch hier verzichte ich aus Rücksicht auf künftige Leser auf ausführliche Beschreibungen. Nur so viel sei versichert: Es handelt sich ausnahmslos um zumindest interessante Figuren (Grieux, Astley, Blanche) und noch viel öfters um wirklich großartige Figuren (Alexei, Polina, Tante), die diese Welt mit Leben füllen und nachhaltig in Erinnerung bleiben.
Was bleibt?
Der Spieler von Fjodor M. Dostojewski hat ohne Fragen seine Schwächen – nichts anderes würde man von einem innerhalb von 26 Tagen verfassten Roman auch erwarten. Dafür handelt sich aber auch um einen damals wie heute thematisch hochaktuellen Roman, der wohl jeden Aspekt des Glücksspiels sowohl innerlich als auch äußerlich präzise und intensiv beschreibt und zudem mit einem höchst interessanten Figurenensemble aufwarten kann.
Dass Dostojewski darüber hinaus auch noch ein Meister seines Faches ist und stilistisch über jeden Zweifel erhaben ist, dürfte nur die wenigsten überraschen. Fans dürfen demnach blind zugreifen und auch Neu-Leser könnten hier einen idealen Einstiegspunkt in sein Schaffen finden.
Für bibliophile Leser
Auch diese Ausgabe aus dem ehemaligen Ammann Verlag erfüllt alle Erwartungen, die ein bibliophiler Leser an ein Buch stellen kann. Der in dunkelblauen Leinen eingehüllte Einband kann mit einem goldgeprägten Titelschuld und farblich dazu passenden sonstigen Buchkomponenten begeistern. Neben einem Leseband dürfen wir uns auch über eine Fadenheftung freuen. Der kleine Pappschuber ist zwar eine nette Idee – dient aber angesichts der Papierstärke mehr der Zierde als dem Schutz.
Im recht kurzen Anhang der von Swetlana Geier übersetzten Geschichte finden wir einen überschaubaren – aber ausreichenden – Anmerkungsapparat und die Übersetzung der fremdländischen (französischen) Textstellen. Auch hier fehlt leider jede Art von editorischer Begleitung.
Pro/Contra
Pro
- Humor und Tragik liegen nah beieinander
- Fieberhafte und emotionale Erzählweise
- Vielschichtige Charaktere
- Breite Darstellung der Spielsucht
Contra
- Nicht immer runder Plot
- Fieberhafte und emotionale Erzählweise
Fazit
Der Spieler von Fjodor M. Dostojewski zeigt sowohl stilistisch als auch inhaltlich eindrucksvoll, welche zerstörerische Kraft Spielsucht haben kann und hat auch heute noch nichts von seiner Relevanz verloren.
autor: Fjodor M. Dostojewski
Titel: Der Spieler
Seiten: 228
Erscheinungsdatum: 2009 (1867)
Verlag: Ammann Verlag
ISBN: 9783250105213
übersetzerin: Swetlana Geier
illustratorIn: /
Ah, vielen Dank für die Erinnerungen an den Roman. 🙂 Die sind mir im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Ich las vor einer Weile eine andere, schöne Ausgabe. Es war meine erste Begegnung mit Dostojewski, aber der Befund sollte bleiben – ich komme mit den vielen sympathischen Charakteren und ihren Uebersprungshandlungen nicht klar.
Da habe ich deine schöne Rezension zu „Dostos“ Werk bei meiner Suche tatsächlich übersehen – ich habe sie jetzt hinzugefügt 🙂
Haha, vielen Dank, darauf zielte der Kommentar aber gar nicht ab. 😉 Ich muss jetzt erstmal gucken gehen, was ich da vor so vielen Jahren fabriziert habe …