
Seine Abschiedsvorstellung
von Arthur Conan Doyle
12.04.2024
- Klassiker
Mit Seine Abschiedsvorstellung (His Last Bow) von Arthur Conan Doyle dürfen wir uns zum vorletzten Male gemeinsam mit Sherlock Holmes und Dr. Watson in das mittlerweile ganz und gar nicht mehr viktorianische London wagen.
Neue und alte Geschichten
Und gleich die erste Geschichte Wisteria Lodge verdeutlicht den vergrößerten Wirkungskreis unserer Helden: Ein junger Mann erscheint völlig verausgabt in der Baker Street und hat Ungeheuerliches zu berichten. Kurze Zeit später wird er von der Polizei festgenommen. Doch natürlich durchschaut unser Meisterdetektiv das falsche Spiel und deckt dabei sogar Verstrickungen südamerikanischer Diktatoren auf …
Nicht minder brisant geht es in der zweiten Geschichte Die Pappschachtel weiter: Eine ältere Dame erhält ein Paket mit zwei – frisch abgetrennten – menschlichen Ohren. Während die Polizei im Dunkeln tappt, findet Holmes tatsächlich eine Spur und verliert sich beinahe in familiären Abgründen …
Einem eher ungewöhnlichen Fall begegnen wir in Der rote Kreis: Eine Frau vermietet ein Zimmer unter, der Mieter erweist sich aber als eher introvertierte Persönlichkeit. Eigentlich kein Fall für Holmes, doch als sich Überfälle häufen, ist auch sein Interesse geweckt.
Da klingen Die Bruce-Partington-Pläne schon eher nach einem Fall für unseren Detektiv: Die britische Regierung hat die Pläne für höchst geheime U-Boote verloren und der Verdächtige wird kurz darauf ermordet aufgefunden. Spätestens als sogar Mycroft Holmes eingreift, wird allen Beteiligten der Ernst der Lage bewusst. Schafft es unser Duo, einem feindlichen Staat zuvorzukommen?
Dr. Watson kehrt nach längerer Abwesenheit wieder in die Baker Street ein und erfährt von der Vermieterin Mrs. Hudson, dass Der Detektiv auf dem Sterbebett läge. Doch anstatt sich auf konventionelle Behandlungen zu verlassen, setzt er all seine Hoffnungen in einen ehemaligen Plantagenbesitzer.
In Das Verschwinden der Lady Frances Carfax ist – Achtung festhalten – die junge Lady Carfax auf ihrer Tour durch Europa spurlos verschwunden. Und mit ihr ein Koffer voller Diamanten. Meisterdetektiv Holmes und Dr. Watson wagen sich auf das europäische Festland, doch alle Spuren führen zurück nach England …
In der vorletzten Geschichte Der Teufelsfuß befindet sich Holmes auf einer Kur auf dem Lande. Und eigentlich soll er jegliche Art von Stress meiden. Doch dann trägt sich in näherer Umgebung Seltsames zu: Ein junger Mann verlässt zu später Stunde sein Heimathaus und findet bei seiner Rückkehr eine tote Schwester und zwei verrückte Brüder vor. Und nichts deutet auch nur auf eine mögliche Erklärung hin …
In der letzten Geschichte Seine Abschiedsvorstellung muss Sherlock Holmes kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges noch ein letztes Mal in den Ring steigen, um sein Heimatland zu verteidigen …
Der vorletzte Sherlock-Holmes-Band
Der vorletzte Sherlock-Holmes-Band umfasst acht Kurzgeschichten, die zwischen 1892 und 1917 zunächst im Strand Magazine und 1917 dann in Buchform veröffentlicht wurden.
Die Geschichte „Die Pappschachtel“ sollte ursprünglich als Teil der „Memoiren“ erscheinen. Die zugrunde liegende Thematik (Ehebruch) war den Verlegern jedoch dreißig Jahre zuvor zu brisant. Eine Veröffentlichung in Buchform konnte erst Jahrzehnte später erfolgen.
In den letzten Bänden warf ich Doyle einen Mangel an kreativen Einfällen und ein insgesamt abflachendes Niveau vor. Setzt sich der Abwärtstrend fort, oder kann Doyle das Ruder noch herumreißen?
Schwache Protagonisten
An meinem größten Kritikpunkt – den Charakteren und ihrem Verhältnis zueinander – hat sich nichts geändert: Holmes ist immer noch ein weichgespülter Titelheld mit Geltungsdrang, Watson begnügt sich einmal mehr mit seiner Rolle als Chronist. Und die vielen anderen Figuren stellen – trotz des kurzen Gastauftritts von Mycroft Holmes – nicht mehr als Statisten dar.
Starke Sammlung verschiedenster Geschichten
Dennoch gelingt es Doyle, das Niveau der einzelnen Geschichten deutlich zu steigern. Der Band erinnert insgesamt an die äußerst gelungenen „Memoiren“ und enthält die motiviertesten Holmes-Geschichten seit „Der Hund der Baskervilles“.
Und dies, obwohl oder gerade weil einige Geschichten wie Variationen bereits veröffentlichter Erzählungen wirken. Und auch am bewährten Aufbau ändert sich wenig.
Doch gleichzeitig spüren wir in den Geschichten jüngeren Datums einen deutlich düsteren Einfluss: Sie werden brutaler, die Fälle globaler und der Erste Weltkrieg wirft unübersehbar seine Schatten voraus. Vielleicht macht gerade diese Mischung diesen Band so stark: Während einige Geschichten an Holmes in seinen besten Tagen erinnern, bringen die düsteren Variationen frischen Wind in den Holmes-Kosmos.
Nicht unerwähnt soll die Kurzgeschichte „Seine Abschiedsvorstellung“ bleiben. Als chronologisch letzte Holmes-Geschichte bietet sie trotz des kontroversen Rahmens ein spannendes, packendes und teilweise sogar ungewöhnlich emotionales Finale. Und gleichzeitig ein Friedensangebot an alle Leser, die Doyle mit „Das letzte Problem“ vergrault hatte.
Leserfreundlicher Schreibstil
Gleichzeitig dürfen wir uns auf den leserfreundlichen Schreibstil von Arthur Conan Doyle verlassen. Er bildet keine allzu komplizierten Satzstrukturen und inhaltlich setzt er beinahe kein Hintergrundwissen voraus. Und bei den wenigen offenen Fragen bietet der Anhang eine schnelle Lösung.
Nur am Rande erwähnt seien die entschleunigte Handlung und die Zen-artige Gelassenheit unserer Figuren. Für Irritationen sorgt ausgerechnet die letzte Geschichte, in der mit einem Automobil die Moderne in Holmes’ Welt Einzug findet.
Was bleibt?
Seine Abschiedsvorstellung von Arthur Conan Doyle stellt eine überraschend starke Sammlung von Kurzgeschichten dar, die die Stärken der Vergangenheit und einige interessante neue Ansätze in sich vereinen.
Interessante Fälle, ein deutlich motivierterer Doyle und ein angenehmer Schreibstil stimmen nach Aussetzern in den vergangenen Bänden wieder versöhnlich. Und machen Hoffnung auf einen würdigen Abschluss. Ein starker vorletzter Band der Gesamtausgabe!
Schöne Geschenkausgabe
Auch dieser Band aus dem Coppenrath Verlag reiht sich nahtlos in die Gestaltung der Vorgängerbände ein. Neben einem klassisch anmutenden Buchrücken und zahlreichen Illustrationen können viele liebevolle Details und ein Leseband begeistern.
Leider trübt die mangelnde Transparenz das ansonsten tadellose Gesamtbild: Während zwei Geschichten von Katharina Mayer übersetzt wurden, entstammt der Rest einer ungenannten Übersetzung aus dem Jahre 1937 und wurde von Claudia Pastors überarbeitet.
Bibliographie
Werke von Arthur Conan Doyle
Pro/Contra
Pro
- Angenehmer und moderner Schreibstil
- Starke Mischung düsterer und bewährter Fälle
- Wunderschöne Geschenkausgabe
Contra
- Weichgespülter Titelheld und bedeutungslose Nebenfiguren
Fazit
Seine Abschiedsvorstellung von Arthur Conan Doyle überrascht durch starke Geschichten und besinnt sich auf die Stärken der Vergangenheit zurück. Dieser Band sei jedem Holmes-Fan ans Herz gelegt, Neueinsteiger sollten allein der Chronologie willen mit einem früheren Band beginnen.
autor: Arthur Conan Doyle
Titel: Seine Abschiedsvorstellung
Seiten: 272
Erscheinungsdatum: 1893 – 1917
Verlag: Coppenrath Verlag
ISBN: 9783649646068
Übersetzerin: Claudia Pastors
illustratorin: Stefanie Bartsch
Reihe: Sherlock Holmes (7)











