Der letzte Mohikaner
von James Fenimore Cooper
05.03.2021
- Abenteuer
- ·
- Klassiker
Der letzte Mohikaner von James Fenimore Cooper ist der in Deutschland wohl bekannteste Lederstrumpf-Roman und gleichzeitig Türöffner für den modernen amerikanischen Roman und somit einer näheren Betrachtung wert.
Kampf um die Vorherrschaft Amerikas
Im Jahre 1757 ist die Kolonisation des nordamerikanischen Kontinents im vollen Gange. Große Teile wurden bereits den Einheimischen entrissen und die verstreuten und zerstrittenen Stämme dienen als Handlager ihren europäischen Eroberern. Bereits seit 1754 tobt ein Kolonialkrieg (French and Indian War), in dem die Großmächte Großbritannien und Frankreich wieder einmal um die Vorherrschaft auf dem Kontinent kämpfen. Der Konflikt spitzt sich zu und das französische Heer unter Führung des Oberkommandierenden Montcalm marschiert in Richtung Fort William Henry, das unter dem Kommando des britischen Generals Monro steht.
Zeitgleich reisen dessen Töchter Cora und Alice in Begleitung des jungen Offiziers Duncan Heyward zu ihm und geraten beinahe in einen Hinterhalt des listigen Indianers Magua. Nur dank der Hilfe des Waldläufers Nathaniel Bumppo, auch bekannt als Falkenauge, und seinen zwei Begleitern, den Mohikanern Chingachgook und Uncas, gelingt ihnen die Flucht. Doch als die Briten kapitulieren, sieht Magua seine Chance und eine halsbrecherische Verfolgungsjagd beginnt.
Wegbereiter für den modernen Roman
Der letzte Mohikaner ist ein klassischer Abenteuerroman und war schon mit Veröffentlichung im Jahre 1826 ein großer Erfolg, der zu drei weiteren Lederstrumpf-Romane führte – The Pioneers erschien bereits drei Jahre zuvor. Er etablierte den amerikanischen Kontinent endgültig als Handlungsort für die Romanwelt und öffnete den Weg für zahlreiche (Abenteuer)Romane nach ihm. Cooper wurde mit seinem großen Werk von über 30 Romanen zu einem Vorbild für zahlreiche berühmte Schriftsteller wie Herman Melville oder Joseph Conrad.
Ein antiquiertes Menschenbild
Natürlich ist es in der Rückschau einfach, über Moral- und Menschenbilder der Vergangenheit zu urteilen und man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass Coopers Roman nun beinahe 200 Jahre alt ist und keine politische Schrift, sondern ein Abenteuerroman ist, aber dennoch darf man nicht über sein Menschenbild hinweg sehen.
Coopers Vater selbst war Großgrundbesitzer und maßgeblich an der Vertreibung der Indianer und der Neubesiedlung ihres Landes beteiligt – er selber dürfte als jüngster Sohn keine freien Indianer mehr kennengelernt haben. Seine Charaktere sind voller Stereotypen und der Begriff Rasse spielt eine übergeordnete Rolle in der Hierarchie der Figuren. An keiner Stelle wird das Anrecht der Kolonialisten auf das Land der Indianer angezweifelt, vielmehr wird es sogar durch die Reinheit ihres Blutes gerechtfertigt.
Dadurch sind alle europäischen Figuren dieses Romans grundsätzlich gut und moralisch überlegen, auch die Franzosen, die auf der Gegenseite stehen werden weitestgehend positiv beschrieben. Sogar Falkenauge, immerhin Grenzgänger zwischen den Indianern und den Kolonialisten, darf sich nicht von seinem Klassendenken frei machen und betont trotz zaghafter Sympathien immer wieder die Überlegenheit der Europäer.
Ungenutztes Potential
Die Indianer gehören in diesem Roman zwei Seiten an, entweder der guten Britischen oder der bösen Französischen. Weitere Unterscheidungen fehlen, dafür besitzen Sie alle ähnlich stereotype Eigenschaften und das gleiche Erscheinungsbild. Die guten britischen Wilden, allen voran Uncas und Chingachgook, werden oft väterlich stolz gelobt, die bösen französischen Wilden wie Magua werden für die gleichen Dinge verurteilt.
Dabei würde gerade eine Figur wie Magua Potenzial für mehr bieten, doch das sein Zorn aus Vertreibung und Folter durch die Briten stammt, wird in zwei Nebensätzen verschluckt. Das gesamte Figurenensemble leidet unter diesem starren System, die Rollen und Eigenschaften sind klar unterteilt und Überraschungen oder Figurenentwicklungen bleiben leider aus.
Brillante gemächliche Passagen, schwache Actionszenen
Durch den Roman führt Cooper uns als auktorialer Erzähler, mit einem Stil, der den Leser zwiegespalten zurücklässt. Er schreibt sehr detailreich, in einem geradezu gemächlichen Tempo und insbesondere seine grandiosen Landschafts- und Naturbeschreibungen des noch zu besiedelnden Amerikas und verzückten völlig zurecht berühmte Autorenkollegen wie Goethe oder Balzac. Leider fehlt Cooper sämtliches Gespür für Erzähltempo und Spannungskurven.
Was in Landschaftsbeschreibungen noch funktioniert, wirkt sich in anderen Szenen geradezu verheerend aus. Gerade ein Roman wie der letzte Mohikaner wimmelt nur so vor potenziellen Actionszenen, doch diese werden zuverlässig durch nicht enden wollende Beschreibungen und ein unglaublich langsames Erzähltempo unterbunden. Natürlich hat auch ein entschleunigter Roman seine Berechtigung, gerade in der heutigen Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Menschen immer weiter sinkt, aber hier muss man dem Autor mangelndes Verständnis für Spannung vorwerfen.
Die äußere Gestaltung und der Anhang gewohnt überragend
Die Ausgabe des Hanser Verlages entspricht wieder einmal den gewohnt hohen Ansprüchen und lässt kaum einen Wunsch offen. Gebunden ist die Ausgabe in dunkelroten Leinen. Die Fadenheftung, ein Titelschild mit Silberprägung, Dünndruckpapier und ein Lesebändchen runden den Eindruck ab. Der Anhang glänzt wie immer mit einem sehr umfangreichen Nachwort, vielen Anmerkungen zur Übersetzung und zwei vorangestellten Vorworten Coopers aus den Jahren 1826 und 1831.
Die Übersetzung von Karen Lauer umfasst 553 Seiten und ist die umfangreichste und erste vollständige Übersetzung ihrer Art. Der Text liest sich sehr flüssig und die Chronologie der alten Übersetzungen entlarvt beinahe schon jahrhundertelange eklatante Schwächen, gerade das stark schwankende Sprachniveau der Protagonisten wird von Laue sehr anschaulich übersetzt.
Pro/Contra
Pro
- Grandiose Naturbeschreibungen
- Die umfangreichste Übersetzung dieses Werks
- Vorbildliche Klassikerausgabe
Contra
- Das antiquierte Menschenbild von Cooper beeinflusst im negativen Sinne die Handlung
- Das langsame Erzähltempo schlägt sich auch in Action-Szenen nieder
Fazit
Der letzte Mohikaner ist ein Buch, das bei mir gemischte Gefühle hinterlässt. Stilistisch besitzt Cooper große Fähigkeiten, weiß Sie aber nicht immer richtig zu dosieren. Als Abenteuerroman lebt das Buch mehr von Jugenderinnerungen, als von einer überzeugenden Handlung. Wer allerdings in seiner Jugend Vergnügen an den Lederstrumpf Romanen hatte, wird mit der Übersetzung von Karen Lauer nun erstmals die ungekürzte Fassung genießen können.
autor: James Fenimore Cooper
Titel: Der letzte Mohikaner
Seiten: 656
Erscheinungsdatum: 1826
Verlag: Hanser Verlag
ISBN: 9783446241350
übersetzerin: Karen Lauer
illustrator: –
Reihe: Hanser Klassiker