Wem die Stunde schlägt
von Ernest Hemingway
01.09.2023
- Klassiker
Wem die Stunde schlägt gehört zu Ernest Hemingways erfolgreichsten Romanen und schildert eine kurze Episode innerhalb des spanischen Bürgerkrieges. Doch kann auch die neue Übersetzung von Werner Schmitz überzeugen?
**** Krieg
Wir schreiben das Jahr 1937 und der spanische Bürgerkrieg zwischen den Faschisten und den Republikanern ist im vollen Gange. Aufseiten der Republikaner steht der Amerikaner Robert Jordan. Eigentlich ist er Spanischlehrer an einer amerikanischen Universität, doch in diesem Krieg kämpft er als Sprengmeister an vorderster Front.
Er erhält den Auftrag während eines Angriffs eine bestimmte Brücke zu sprengen, um eine größere Offensive der republikanischen Truppen zu ermöglichen. Dazu dringt er bis weit hinter die feindlichen faschistischen Linien vor. Allerdings muss er zunächst eine Guerillatruppe rund um den desillusionierten Pablo und die impulsive Pilar davon überzeugen, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Ausgerechnet an diesem Ort verliebt er sich zudem noch in die traumatisierte Maria. Doch wie viel Zeit verbleibt der jungen Liebe?
An vorderster Front
Was lässt sich noch zu Ernest Hemingway erzählen, was nicht schon längst bekannt wäre? Er ist und bleibt eine polarisierende Figur, die kaum einen Leser kalt lässt. Und wie so oft ist die Geschichte des Romans mit der Geschichte des Autors verbunden. Nachdem er die republikanischen Truppen bereits finanziell unterstützt hatte, entschloss er sich 1937 dazu, als Berichterstatter aus nächster Nähe von den Kriegsgeschehnissen zu berichten.
Es dauerte nur gute 2 Jahre, bis Franco (der zweite Weltkrieg brach mit tatkräftiger deutscher und italienischer Unterstützung an) mit seinen Faschisten endgültig siegte und damit den spanischen Bürgerkrieg beendete. Dies war ohne Frage ein herber Schlag für unseren Schriftsteller, der sich kurz darauf an den Schreibtisch setzte und diesen Roman verfasste. Der Roman wurde innerhalb kürzester Zeit ein weltweiter Erfolg – nicht ohne Grund folgte bereits kurze Zeit später eine Verfilmung mit Gary Cooper und Ingrid Bergman in den Hauptrollen.
Ein verdammtes Meisterwerk
Und was für einen Roman Hemingway mit diesem Werk erschuf. An einer Stelle des Romans äußert Robert Jordan die Befürchtung, er müsse ein ganzes Leben in die 72 Stunden mit Maria pressen, da ihnen womöglich nicht viel mehr bleibe. Hemingway hat es hingegen geschafft, ein ganzes Leben in 600 Seiten zu pressen.
Starke Figuren
Dabei beginnt der Roman für ein solches Unterfangen recht gemächlich. Wie bereits geschildert erstreckt sich die gesamte Romanhandlung auf gute 72 Stunden. Dies ermöglicht es ihm, die Gedanken und Gefühle seiner Protagonisten ausführlich auszubreiten. Ob in Form von Monologen, Gedankenkonstruktionen oder zahlreichen Dialogen – spielerisch gelingt es Hemingway, uns eine Verbindung zu seinen Figuren aufbauen zu lassen.
Inhaltlich geht es um nicht weniger als das ganze Leben. Neben nahelegenden Fragen wie den Krieg und was er aus den Menschen macht, befassen wir uns auch mit existentiellen Fragen rund um Leben, Tod und Liebe, aber auch mit scheinbar banalen Themen wie Nahrung, Tiere oder mit den obligatorischen Stierkämpfen.
Vermutlich auch deswegen erinnern wir uns auch nach der Lektüre an die zahlreichen großartigen und starken Figuren dieses Romans zurück. Ob nun der Idealist Robert Jordan, der gebrochene Pablo, die pragmatische Pilar oder der eigentlich friedfertige alte Anselmo – jede Figur erhält ausreichend Raum zum Leben und wird für uns Leser greifbar. Die einzige Schwäche des Romans ist ausgerechnet Roberts Liebschaft Maria, der kaum mehr als die Rolle einer schmachtenden Statistin verbleibt – insbesondere im Vergleich zu einer so starken Frauenfigur wie Pilar.
Fulminantes Finale
Bei diesem gemächlichen Erzähltempo bleibt es jedoch nicht. Mit Beginn des dritten Tages zieht Hemingway das Tempo deutlich an. Die Spannung liegt greifbar in der Luft und steigert sich mit jeder Seite – ein falscher Handgriff, ein Fehler und alle unsere geliebten Figuren sind verloren. In diese Phase fällt auch eine der stärksten Szenen des Romans.
Dazu wechseln wir kurzzeitig unseren Erzähler von Jordan auf den Partisanen Andres. Dieser wird mit einem wichtigen Auftrag zu General Golz geschickt und wir erleben aus erster Hand, wie bürokratisch der Krieg hinter der Front wirklich abläuft. Selten wurde die Illusion eines glorreichen Freiheitskampfes nüchterner zerstört.
Nüchtern-minimalistisch
Dabei können wir uns natürlich an jeder Stelle auf Hemingways typisch kargen Erzählstil verlassen. Lange Nebensätze oder komplizierte Satzstrukturen sucht man hier vergebens. Stattdessen versucht Hemingway in möglichst kurzen Sätzen die Essenz einer Aussage einzufangen – ein Unterfangen, das er meisterhaft beherrscht.
Man muss es Hemingway hoch anrechnen, wie er über diesen Krieg schreibt. Sein Leben als Macho und Lebemann würde zwar anderes vermuten lassen, aber man wird wohl kaum einen Schriftsteller finden, der einen Krieg respektvoller und nüchterner darstellen kann als Hemingway.
Er schildert die animalische Brutalität und pure Entmenschlichung, die sowohl aufseiten der Faschisten als auch aufseiten der Republikaner in diversen Ereignissen ihren Ausdruck findet. Eine eindeutige Position bezieht er dabei nicht – sein Protagonist Jordan kämpft zwar an der Seite der Republikaner, aber eigentlich doch gegen sich selbst. Hemingway trennt dabei haarscharf zwischen Krieg und Kampf. Kampf ist etwas Großartiges, an dem Man(n) wachsen kann, Krieg etwas Ernüchterndes und Dreckiges, das es auf keinen Fall zu glorifizieren gilt.
Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes. Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso als wenn’s eine Landzunge wäre, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir selbst.
– John Donne, Meditation XVII
Parallelen zum Ukraine-Krieg
Die Parallelen zum Ukraine-Krieg sind dabei unübersehbar und sicherlich auch ein Hauptgrund für die Neuauflage – mehr möchte ich ob der offensichtlichen Überschneidungen nicht dazu sagen.
Was bleibt?
Wem die Stunde schlägt von Ernest Hemingway ist ein Meisterwerk, dass das Leben, den Tod und alles dazwischen auf 600 Seiten presst. Stilistisch überragend, inhaltlich bewegend und auch heute noch relevant – Lest dieses Buch!
Solides Hardcover – abscheuliche Übersetzung
Die mir vorliegende Ausgabe aus dem Rowohlt Verlag entspricht rein äußerlich dem recht hohen Kaufpreis. Das Buch – ein wahrer Ziegelstein – ist mit einem gewöhnlichen Pappeinband ausgestattet, der mit einer Klebebindung aufwarten kann. Der Schutzumschlag ist im Stile der letzten Neuauflagen von Hemingways Werken gestaltet und ist von solider Qualität. Auch wenn das Papier für meinen Geschmack ein Stück weit zu dick ist, dürfen wir uns immerhin über ein Leseband freuen.
Dennoch würde ich jedem interessierten Leser von dieser Neuauflage abraten – und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wie kann ein Verlag es wagen, derart in den Text eines so großen Autors einzugreifen? Statt einer etwaigen Beleidigung steht an den entsprechenden Stellen einfach nur (unaussprechlich). Nicht dass das Buch von seinen Schimpfwörtern lebt – aber sind wir jetzt schon so weit, dass wir amerikanische Maßstäbe auf unsere Literatur anwenden Werner Schmitz?
Gruppenvergewaltigungen und Hinrichtungen mehr oder weniger explizit zu beschreiben ist okay, aber wehe ein Protagonist nimmt das Wort Hure in den Mund? In bestimmten Bereichen kann ich eine Textbearbeitung nachvollziehen, insbesondere im Zusammenhang mit dem N-Wort und bei entsprechender Kennzeichnung kann ich das verstehen. Aber Schimpfwörter? Wirklich? Was soll als nächstes kommen? Darum: Bitte kauft diese Ausgabe höchstens nur noch gebraucht, wenn ihr nicht gleich zu älteren Ausgaben greift.
Nachtrag: Dank eines freundlichen Hinweises von Jean Fritz gibt es nun etwas Klarheit bezüglich der Übersetzung. Damit möchte ich jedenfalls den Übersetzer Werner Schmitz von meiner Kritik ausnehmen.
Werke von Ernest Hemingway
Pro/Contra
Pro
- Sprachlich ein Meisterwerk
- Hemingway behandelt das ganze Leben auf sechshundert Seiten
Contra
- Die Liebesgeschichte mit Maria wirkt gestelzt und blass
- Werner Schmitz Neuübersetzung ist eine Schande
Fazit
Wem die Stunde schlägt von Ernest Hemingway ist auch heute noch ein Meisterwerk, dass in weiten Teilen überzeugen kann und auf gut sechshundert Seiten alle wesentlichen Aspekte des Lebens behandelt. Die Neuausgabe des Rowohlt-Verlages ist hingegen ihr Papier nicht wert – greift bitte zu einer anderen Ausgabe.
autor: Ernest Hemingway
Titel: Wem die Stunde schlägt
Seiten: 622
Erscheinungsdatum: 1940
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN: 9783498001957
übersetzer: Werner Schmitz
illustratorIn: –
Lieber Eugen,
das Buch umkreise ich auch schon lange. Hemingway konnte mich bisher nicht begeistern. Aber dieses Buch überlege ich mir schon länger (seit ich zuletzt in Cyberpunk in Jackies Garage darüber gestolpert bin) und hab es auf meine Wunschliste gesetzt. Vor gar nicht langer Zeit habe ich mir eine hervorragend gemachte Arte Dokumentation über Hemingway angeschaut, die auch echt interessant war und sehr empfehlenswert ist.
Dann habe ich auch das mit der vermeintlichen Zensur gelesen. Wie sich dann herausgestellt hat, hat das tatsächlich Hemingway selbst zensiert und um sicher zu gehen, habe ich mir im Internet den Originaltext gesucht und die Textpassagen verglichen. Nach Deiner Buchbesprechung bin ich wieder eher geneigt es mir zu holen. Aber ich denke ich werde noch ein bisschen warten und mir diese Ausgabe dann gebraucht holen.
Vielen Dank für die interessante Rezension.
Herzliche Grüße
Tobi
Hallo Tobi,
Freut mich, dass meine Rezension deine Aufmerksamkeit wieder mehr in Richtung Hemingway geneigt hat! Und natürlich hoffe ich, dass die Lektüre dich dieses Mal von Hemingway überzeugen wird 😀
Ich habe auch nach der Dokumentation gesucht, aber ich fürchte, die von dir angesprochene Dokumentation ist leider nicht mehr verfügbar – aber vielleicht taucht sie ja in den Weiten des Internets irgendwann wieder auf!
Hallo Eugen,
danke für Deine gelungene Rezension! Ein toller Roman, aber der Umgang des Verlages (oder des Uebersetzers?) mit dem Original-Text ist wirklich eine Katastrophe und absolut nicht nachvollziehbar.
So steht zum Beispiel einerseits auf der Seite 159 mehrfach der Begriff „Neger“ (dankenswerterweise beibehalten). Andererseits findet man folgendes…
Seite 177: „Und was für eine nicht druckreif Kletterei ist das hier oben.“
Seite 279: „Nicht druckreif dich selber“, sagt Agustin. „Wo sind wir denn hier?“
Da steht wirklich mitten im Text plötzlich nicht druckreif !!!. Da könnte man als Leser vor Frust laut ausrufen: Fick dich selber, Rowohlt Verlag! Ich kann mir nicht vorstellen, dass diesen Unsinn freiwilllig der Uebersetzer Werner Schmitz verzapft hat, sondern dass das dann ein Eingriff des Verlags war. Schade drum…
Hallo Jean,
Ich verstehe deinen Frust vollkommen und frage mich schon seit einer Weile, was dahinter stehen könnte.
Ich vermute – oder fürchte – dass es sich dabei um eine missglückte Marketing-Aktion handelt – in welche Richtung man auch immer zielen wollte.
Schade um den Autor und das Werk. Hoffentlich wird das kein langfristiger Trend, von welcher Seite auch immer die Idee ausging!
Hallo Eugen,
der Hemingway-Übersetzer Werner Schmitz hat mir nun dazu folgendes geantwortet:
„…tatsächlich ist es so, dass die von Ihnen beanstandeten Formulierungen von Hemingway selbst stammen. Vermutlich wollte er damit der Zensur zuvorkommen. Allerdings hat er Wörter wie „unprintable“ oder „obscenity“ nur dann verwendet, wenn es um die „Verschleierung“ englischer Flüche ging. Spanische Flüche hingegen hat er entweder in der Originalsprache belassen, oder als eine Art „Verfremdungseffekt“ wörtlich ins Englische übersetzt. All dem bin ich als Übersetzer gefolgt.“
Über so eine wichtige Tatsache, die man als normaler Leser ja nicht vermuten kann, wäre m. E. aber eine editorische Notiz im Buch zwingend notwendig gewesen. Auch schwach vom renommierten Rowohlt Verlag.
Also das ändert die Situation natürlich – da werde ich meine Kritik selbstverständlich entschärfen müssen. Aber du hast schon Recht, auf so etwas hätte der Verlag unbedingt hinweisen müssen. Danke, dass du diesbezüglich für Aufklärung gesorgt hast!