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Der Schrecksenmeister

von Walter Moers


10.02.2023

  • Phantastik

Der Schrecksenmeister von Walter Moers verspricht deutsche Klassiker, gutes Essen und Märchen zu einem großen Ganzen zu verbinden. Geht das gut?

Ein Pakt mit dem Teufel

Ausgangspunkt unserer Erzählung ist die Stadt Sledwaya, die den zweifelhaften Ruf als kränklichste Stadt Zamoniens genießt. Die Kratze Echo hat kürzlich seine Besitzerin verloren und steht kurz vor dem Hungertod, als er dem Schrecksenmeister Succubius Eißpin in die Arme läuft. Dieser macht Echo ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann: Einen Monat wird er ihn mit den erlesensten Speisen verwöhnen – und zum Ausgleich dafür darf er ihn nächsten Vollmond töten, um sein Fett für seine alchemistischen Experimente nutzen zu können.

In seiner Not willigt Echo ein und zu seiner Überraschung erweist sich Eißpin als herausragender Gourmet und Koch, der ihn tagein, tagaus mit allerlei Leckereien verwöhnt und ihn darüber hinaus noch in die Geheimnisse der Alchemie einweist. Echo wähnt sich zunächst im Schlaraffenland, doch je näher sein Ende rückt, desto stärker wird sein Überlebensinstinkt …

Gottfried Keller als Vorbild

Walter Moers bedarf wohl keiner weitergehenden Vorstellung. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand im deutschsprachigen Raum nicht mit seinen Werken in Kontakt gekommen ist, sei es in Form seiner provokanten Comic-Figuren, Käpt´n Blaubär oder natürlich seiner Zamonien-Romane.

Für den Schrecksenmeister bedient er sich der Kurzgeschichte Spiegel, das Kätzchen von Gottfried Keller (Gofid Letterkerl), die das Grundgerüst dieser Erzählung bildet. Wie man es von Walter Moers erwarten kann, erschöpft sich seine Arbeit allerdings nicht in der Bildung von Anagrammen und Änderung von Namen. Ohne zu viel verraten zu wollen, verändert er die eine oder andere Schlüsselszene der Vorlage, sodass man auch als etwaiger Gottfried Keller Fan auf seine Kosten kommt.

Schräge und detailverliebte Welt

Wer schon einmal ein Werk von Walter Moers gelesen hat, weiß auch, was ihn in diesem Band erwarten wird: Sprachlich verspielte und ausgefeilte und inhaltlich spannende und schräge Geschichten.

Die Geschichte selbst begnügt sich mit einem kleinen Handlungsradius und beschränkt sich in weiten Teilen auf das Schloss des Schrecksenmeisters Eißpin. Dieses hält durch seine unzähligen und abwechslungsreichen Räumlichkeiten (Stichwort: Verlies der überflüssigen Küchengegenstände!) allerdings auch genügend Potential bereit, um den ganzen Roman über keine Langeweile aufkommen zu lassen. Kleinere Ausflüge in die Stadt Sledwaya oder in den Unkenwald, die ebenso grotesk und überraschend sind wie das Schloss, sorgen dabei für den notwendigen frischen Wind zwischen längeren Schloss-Abschnitten.

Charakteristisch für Moers ist, dass er seine Welten dabei bis ins kleinste Detail mit wunderbar schrägen und gleichzeitig liebenswerten Elementen anreichert, die ich hier unmöglich vollständig aufzählen könnte, man denke nur an gekochte Gespenster, goldene Eichhörnchen, grübelnde Eier, Schmerzenskerzen oder die Ledermäuse.

Liebevoll gezeichnetes Figurenensemble

Dasselbe lässt sich im Grunde auch über die Protagonisten des Romans sagen. Moers beschränkt sich dabei auf eine überschaubare Anzahl an Figuren und verleiht der Handlung damit ein Stück weit den Charakter eines Kammerspiels.

Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich Echo und Eißpin. Die Handlung selbst erleben wir aus der Perspektive der Kratze Echo (eine sprachbegabte Katze), die dem Leser nicht nur aufgrund seines drohenden tragischen Schicksals bald schon ans Herz wächst. Moers gelingt es, Echo mit allen Ecken und Kanten allzu menschlich darzustellen, sodass wir jedem bei jedem Konflikt gespannt den Atem anhalten und dem unvermeidlichen Endkampf entgegenfiebern.

Sein Gegenspieler ist der Schrecksenmeister Eißpin und mein persönlicher Favorit im Figurenensemble. Gerade hier gelingt es Moers, ein differenziertes Bild eines Antagonisten zu zeichnen. Natürlich wird er mit allen erdenklichen negativen Merkmalen ausgestattet – immerhin hält er eine ganze Stadt krank und möchte unsere Lieblingskratze auskochen – aber wir erhalten im gleichen Maße Einblicke in sein Leben und seine Entwicklungsschritte, sodass wir wenigstens ein Stück weit Sympathien für ihn aufbringen können.

Das Verhältnis der beiden Figuren kann man dabei bestenfalls als ambivalent bezeichnen. So ist ihre Beziehung in erster Linie zweckmäßig: Echo will nicht verhungern, Eißpin will sein Fett. Und während dieser Schatten immer über den beiden hängt, können beide nicht verleugnen, dass sie gewisse Sympathien füreinander entwickeln und unter anderen Umständen sogar Freunde geworden wären.

Aber auch die restlichen Charaktere brauchen sich dahinter nicht zu verstecken. So sorgt der Schuhu Fjodor (ein einäugiger Uhu mit Sprachfehler) bei jedem Auftauchen für zahlreiche Lacher, während die Schreckse Izanuela Anazazi mit ihrer Liebesgeschichte die ohnehin schon bizarre Handlung noch ein Stück weit schräger macht.

Literarisch-kulinarischer Genuss

Auch sprachlich braucht sich der Roman nicht zu verstecken, erweist sich Moers doch als Meister seines Fachs. Neben den bereits erwähnten häufigen und oft auch gelungenen Wortspielen glänzt er vor allem mit einem präzisen Gefühl für Tempo und Handlung. Zu Beginn steigen wir geradezu filmisch in die Geschichte ein und bekommen die notwendigen Hintergründe erläutert, bevor sich der Fokus auf Echo und Eißpin richtet.

Gerade am Anfang des Geschehens glänzt die Erzählung durch opulente Beschreibungen, insbesondere die Darstellungen der von Eißpin zubereiteten kulinarischen Genüsse stellen regelmäßig Höhepunkte der jeweiligen Kapitel dar und lassen den Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen. Und auch wenn der Vergleich hinten und vorne hinkt: Moers Beschreibungen sind den Schilderungen von Tania Blixen in Babettes Gastmahl hinsichtlich Plastizität und Authentizität meilenweit voraus.

Doch der Erzählton der Geschichte ändert sich, je näher das Ende rückt. Die ohnehin schon düstere Handlung wird immer bedrohlicher, die Schrecken nehmen zu und die Beschreibungen werden karger. Deutlich wird dies auch an den metamorphosen Mahlzeiten, die Echo zu Beginn noch positive Halluzinationen bescheren und am Ende geradezu bedrohliche Züge annehmen. Das Ende glänzt dabei mit einigen überraschenden Wendungen, die dem Roman zu einem runden Abschluss verhelfen – mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Was bleibt?

Mit Der Schrecksenmeister ist Walter Moers ein hervorragender Fantasy-Roman gelungen, der weit über die Genre-Grenzen hinaus seine Anhänger gefunden hat und auch weiterhin finden wird. Inhaltlich haben wir es mit einer Art Kammerspiel zu tun, dass durch schräge und gleichzeitig liebenswerte Figuren in einer fantasievollen Umgebung zu begeistern weiß. Sprachlich erweist sich Moers als Meister seines Faches, der sämtliche Aspekte des Erzählerhandwerks beherrscht. Lesenswert!

Nettes Hardcover – wunderbare Illustrationen

Meine Ausgabe stammt aus dem Penguin Verlag und kann durch seine solide Verarbeitung überzeugen. Das Buch hat ein größeres Format als üblich, was die wunderbaren Illustrationen von Walter Moers hervorragend zur Geltung bringt. Daneben begeistern der beschichtete Schutzumschlag und der bedruckte Einband. Leider müssen wir eine Fadenheftung verzichten, aber das ist in dieser Preisklasse auch nicht anders zu erwarten gewesen.

Dafür werden wir immerhin mit einem Leseband und bedrucktem Vor- sowie Nachsatzpapier entschädigt. Alles in allem ist der Preis für das Hardcover mehr als nur gerechtfertigt. Im Anhang dürfen wir uns immerhin noch über zwei Nachworte von Walter Moers freuen, die die Lektüre abrunden.

Pro/Contra

Pro
  • sprachlich ausgefeilt und abwechslungsreich
  • spannendes „Kammerspiel“
  • schräge und liebenswerte Welt
Contra
  • gerne hätte ich noch mehr von Moers wunderbaren Illustrationen bewundert

Fazit


Der Schrecksenmeister von Walter Moers ist ein hervorragender Fantasy-Roman, der sowohl sprachlich als auch inhaltlich begeistern kann. Lesenswert!

autor: Walter Moers

Titel: Der Schrecksenmeister

Seiten: 383

Erscheinungsdatum: 2007

Verlag: Penguin Verlag

ISBN: 9783328601654

übersetzer: –

illustrator: Walter Moers

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