Die Strugatzki Brüder im Golkonda Verlag
19.10.2021
- Schöne Bücher
Heute erwartet euch der dritte Beitrag in meiner Reihe Schöne Bücher und dieses Mal geht es um die gesammelten Werke der Brüder Strugatzki, die im Golkonda Verlag in einer limitierten Leinen- und (vergriffenen) Lederausgabe veröffentlicht wurden.
Leben und Werk
Über 50 Millionen verkaufte Exemplare – alleine in Russland
Die Brüder Arkadi (1925-1991) und Boris (1933-2012) Strugatzki zählen zu den erfolgreichsten russisch-sowjetischen Schriftstellern überhaupt, ihre Werke wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und alleine in Russland beträgt die Gesamtauflage über 50 Millionen Exemplare. Aber auch in der westlichen Welt erlangten sie nicht zuletzt durch den Film Stalker von Andrej Tarkowsky – die Verfilmung ihres Romans Picknick am Wegesrand – eine enorme Popularität.
Doch wie kam es dazu, dass ausgerechnet zwei Science Fiction Autoren heute zu den wichtigsten und meistgelesenen Literaten eines Landes zählen, das eine Vielzahl an literarischen Genies hervorgebracht hat?
Eine Jugend zwischen Stalin und Wells
Absehbar war diese Entwicklung jedenfalls lange Zeit nicht. Ihre Eltern waren glühende Anhänger der Sowjetunion: Die Mutter war prämierte Lehrerin, der Vater sogar General im russischen Bürgerkrieg. Später fiel er wohl politischen Machtspielen zum Opfer und entging nur durch Zufall Stalins Zorn. Danach arbeitete er als Chefredakteur einer Zeitung, eine Stellung, die wenig Geld einbrachte, den beiden Brüdern aber zu vielen Büchern verhalf. So kamen sie schon in jungen Jahren mit den Romane von Verne, London, Wells und unzähligen anderen Autoren in Kontakt und konnten sich ihr Leben lang nicht mehr von ihnen lösen.
Arkadi arbeitete später als Japanisch-Dolmetscher für die sowjetische Armee, während Boris die Leningrader Blockade überlebte und Physik studierte. In den Sechzigerjahren begannen sie dann gemeinsam Bücher zu schreiben. Ihre ersten Werke waren noch geprägt von der Euphorie nach den ersten Erfolgen der Kosmonauten, doch schon nach wenigen Jahren mehrten sie die kritischen Töne in ihren Werken und insbesondere der gewaltige Bürokratieapparat der Sowjetunion rückte in ihren Fokus.
Kritische Texte trotz stets bemühter Zensurbehörden
Natürlich unterlagen sie wie alle Schriftsteller der Sowjetunion einer strengen Zensur, nicht jedes Buch wurde zugelassen und an den übrigen mussten die beiden Brüder unzählige Änderungen vornehmen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Autoren wurden ihre Werke in der Sowjetunion nicht verboten. Die Strugatzkis profitierten davon, dass sich die phantastische Literatur in Russland aus dem Sagen- und Märchenschatz speiste und praktisch keine gesellschaftliche Relevanz hatte. Wie Erik Simon in einem Interview mit dem Deutschlandfunk darlegt, verstanden die zuständigen Behörden das Science Fiction Genre einfach nicht und so entgingen ihnen viele Anspielungen und Metaphern. Damit erklärt sich auch die Popularität der beiden Brüder. In einer Zeit, in der sich auch die Literatur der Parteidoktrin unterwerfen musste, war die Science Fiction das einzige Genre, das innerhalb gewisser Grenzen frei war und Eingeweihten Raum für kritische Äußerungen bot.
Das Werk der Strugatzkis in wenigen Sätzen zusammen zu fassen, würde den beiden Brüdern nicht gerecht werden, darum verweise ich an dieser Stelle auf meine eigenen Rezensionen zu Picknick am Wegesrand und Es ist schwer, ein Gott zu sein und insbesondere auch auf den Blog Life in the 22nd Century, der sich intensiv mit den Werken der Strugatzkis auseinandersetzt. Damit möchte ich auch meine kurzen Anmerkungen zum Leben und Werk der beiden Brüder beenden, es soll hier schließlich hauptsächlich um schöne Bücher gehen.
Gesammelte Werke im Golkonda Verlag
2010 begannen der Heyne Verlag und der Golkonda Verlag, eine Gesamtausgabe unter der Federführung von Erik Simon und Sascha Mamczak zu veröffentlichen. Im Heyne Verlag erschienen die Taschenbücher und die E-Book Ausgaben, während der Golkonda Verlag die hochwertigen Leinen- und Lederausgaben für Liebhaber veröffentlichte. Beide Sammlungen sind nicht vollständig, enthalten aber einen großen Teil aller Romane. Bei Heyne blieb es bei einer sechsbändigen Ausgabe, während Golkonda noch einen Supplementband mit den Werken von Boris Strugatzki und drei ergänzende Paperbacks nachlegte.
Wie ihr euch sicher denken könnt, habe ich mich für die Leinenausgabe entschieden. Es gibt nicht viele Verlage, die phantastische Bücher in hochwertiger Ausstattung verlegen und dieses Anliegen verdient in meinen Augen Unterstützung. Mit 69-79 Euro für die normalen Bände (222 Exemplare) und 98 Euro für den Supplementband (111 Exemplare) sind die Bücher wieder mal sehr teuer, das relativiert sich aber ganz schnell, wenn man die hohe Materialqualität, die Anzahl der enthaltenen Bücher und die Wiederlesbarkeit der Geschichten bedenkt.
Die Bücher sind in langlebigen roten Leinen gebunden und mit schwarzen Prägungen auf dem Einband versehen. Für mich persönlich ist die Gestaltung auf dem Einband einen Tick zu modern. Ich bevorzuge ein klassisches Design mit Titelschild und Goldprägung, dass es mir ermöglicht, den Schutzumschlag wegzuwerfen. In diesem Fall wäre es aber doch Schade um den Schutzumschlag, deshalb kann ich mit der Gestaltung leben. Der Einband selbst ist sehr stabil, das Format ein wenig größer als bei ein großer Mare Klassiker, dafür aber deutlich dicker und schwerer. Zur Papierqualität habe ich leider keine genaueren Informationen, mit der Dicke und Stabilität bin ich allerdings sehr zufrieden. Dankenswerterweise hat der Verlag allen Bänden zwei farblich passende Lesebänder (rot und schwarz) spendiert, die das Blättern in den Anmerkungen erleichtern. Selbstverständlich ist der Buchblock fadengeheftet und auch das schwarze Kapitelband passt zur gewählten Farbpalette.
Erstmals ungekürzt
Im Rahmen der Werkausgabe wurde die Übersetzungen von Erik Simon neu durchgesehen und von allen Kürzungen und Zensuren der alten Ausgaben befreit. Viele Leser haben so erstmals die Gelegenheit, die wichtigsten Werke der Strugatzkis ungekürzt zu entdecken. Die Werkausgabe ist auch mit dem Supplementband nicht vollständig, für weitere Supplementbände gab es wohl zu wenig Interesse. Dafür enthält die Golkonda Ausgabe die wichtigsten Werke in deutscher Sprache und darüber hinaus bietet der Verlag drei weitere Werke, die nicht in der Werksausgabe erschienen sind, als schöne Paperbacks an. Ich verwende wirklich die Begriffe schön und Paperback in einem Satz, weil der Golkonda Verlag dieses seltene Kunststück wirklich geschafft hat…
Gestaltet von BenSwerk
Schutzumschlag und die innere Gestaltung übernahm der talentierte BenSwerk, dessen Arbeiten ich schon seit Langem bewundere. Oft neigen seine Werke zu einer leichten Verspieltheit, im Falle dieser Gesamtausgabe hat er sich zumindest ein Stück weit zurückgehalten und hat den Spagat zwischen Klassik und Moderne geschafft. Das Innere des Buches wurde mit viel Liebe zum Detail gestaltet, großen Wert wurde auf eine lesbare und gleichzeitig schöne Typographie und eine graphische Gestaltung des Textblocks gelegt.
Umfangreiche Anhänge
Im Anhang finden wir in jedem Band umfangreiche Anmerkungen und Nachworte, etwa von Boris Strugatzki, Erik Simon, Karlheinz Steinmüller oder Dmitry Glukhovsky. Diese geben interessierten Leser weitere Einblicke in die Romane, ihre Entstehungsgeschichte und beleuchten auch die vielen Kämpfe mit den russischen Zensurbehörden.
Wo kann ich die Bücher kaufen?
Die Taschenbücher lassen sich wie gewohnt entweder beim Lieblingsbuchhändler oder großen Internetversandhändlern bestellen, die Liebhaber Ausgaben des Golkonda Verlages hingegen können nur beim Verlag selbst bestellt werden.
Titelübersicht
Fazit
Werkausgaben haben ihren Preis, bieten dafür aber auch einiges. Bibliophile können bedenkenlos zu den Liebhaberausgaben aus dem Golkonda Verlag greifen. Wer sich hingegen nur für den Inhalt interessiert, der macht mit den identischen Heyne Ausgaben nichts falsch.
Sehr interessanter Artikel. Ich hätte da dennoch die Frage nach den Textfassungen.
Welche Fassungen sind in der Ausgabe enthalten?
Denn mir sind sehr starke Unterschiede zwischen den Textfassungen aus DDR-Zeit und den aktuellen von Heyne Verlag. Dabei beziehe ich mich nicht auf die Unterschiede aufgrund von Zensur in Vergangenheit, sondern auf die Sprache und die Wortwahl. Wobei stets Erik Simon als Übersetzter stand. Die neuen Ausgaben von Heyne haben imho, eine stark vereinfachte Sprache. Dabei Leben die Strugatzki-Werke vor allem durch die Sprache nicht nur den Inhalt.
Als Beispiel: Käfer im Ameisenhaufen
Das Neue Berlin 1987:
„»Du mußt einen Menschen ausfindig machen«, sagte er und verstummte plötzlich. Er schwieg lange. Zog ärgerlich die Stirn in Falten. Schnaufte. Man hätte meinen können, daß ihm seine eigenen Worte nicht gefielen. Vielleicht die Form, vielleicht der Inhalt. Seine Exzellenz hat ein Faible für absolut exakte Formulierungen.
»Wen?« fragte ich, um ihn aus dem philologischen Stupor zu befreien.“
Heyne 2010:
„»Du musst jemanden ausfindig machen«, sagte er, verstummte dann aber plötzlich und schwieg eine Weile. Mürrisch zog er die Stirn in Falten. Fast hätte man meinen können, ihm gefielen die eigenen Worte nicht – ihre Form vielleicht oder der Inhalt? Seine Exzellenz legte nämlich größten Wert auf absolut exakte Formulierungen.
»Wen denn?«, fragte ich, um ihn aus seiner Erstarrung zu befreien.“
Ist zwar Geschmakssache, jedoch empfand ich die ältere Fassung etwas näher am Original. (Bin auch Muttersprachler)
Hallo MagicFuchs,
Vielen Dank für deine Frage, das hat mich nochmal gezwungen mich ein wenig mit der Übersetzung auseinanderzusetzen.
Ich kenne die alten DDR-Ausgaben nicht und kann auch kein Russisch, deswegen kann ich bezüglich der Übersetzung keine fachlichen Aussagen treffen. Allerdings hast du schon Recht, deine Beispiele weisen ja recht deutliche Unterschiede auf.
Die Golkonda und die Heyne Werkausgaben sind weitestgehend identisch, auch wenn noch einige Änderungen vorgenommen worden sein sollen (http://www.temporamores.de/anews225.htm).
Ich habe jetzt mal meine Ausgabe aufgeschlagen und zumindest in diesem Fall ist die Übersetzung identisch mit der von dir zitierten Heyne Variante. In den Golkonda Ausgaben gibt es zu einigen Textstellen noch Anmerkungen, leider nicht zu dieser Stelle.
Ich hoffe meine recht dürftigen Informationen helfen dir ein wenig, mehr konnte ich leider nicht herausfinden. An dieser Stelle habe ich noch ein Interview mit Erik Simon gefunden, vielleicht bringt dich das ja etwas weiter.
Liebe Grüße,
Eugen
PS: Vor dem ersten Beitrag mit einer E-Mail Adresse muss ich den Beitrag immer freischalten, ab jetzt sollten deine Kommentare sofort veröffentlicht werden
Hallo Eugen,
Danke für die schnelle Antwort. Es ist leider so, dass eine Übersetzung nie wirklich, die Sprache des Originals wiedergeben kann.
Ich habe jedoch die Vermutung, dass die „Vereinfachungen“ gemacht werden, um ein Breiteres Auditorium zu erreichen, weil komplizierte und archaisch klingende Wörter die heutigen Leser ja abschrecken könnten.
(Auch wenn es sich hier bei um ein Teufelskreis handle, wenn die Werke immer einfachere Sprach nutzen, weil die Leute es sonst nicht versehen und die Leute verstehen nur einfache Sprache weil sie mit keiner anderen Konfrontiert werden.)
Ein Weiteres Beispiel: Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang 1. Kapitel 2. Absatz:
Original Text aus dem russischen von mir so gut es geht übersetzt (Also so wortwörtlich wie es nur geht)
Volk und Welt 1980: von Welta Ehlert
Heyne 2010: (theoretisch auch von Welta Ehlert aber angepasst)
werde wohl weiterhin, versuchen unterschiedliche Übersetzungen zu finden. Wer weiß ob ich selbst mich daran versuchen werde. ^^
Grüße,
ein Lese-Fuchs
Hallo MagicFuchs,
Natürlich kann sich eine Übersetzung immer nur dem Original annähern. Und bei deinem Beispiel (übrigens stimmt die Heyne Variante wieder mit der Golkonda Variante überein) finde ich es nicht einmal schlimm, wenn einzelne Begriffe durch sinngleiche Wörter ausgetauscht werden, das kann durchaus Sinn machen. Schlimmer finde ich es, wenn ganze Sätze neu gebildet werden, ohne dass dies begründet wird.
Da lobe ich mir etwa die „neuen“ Hanser Klassiker, in denen die Übersetzer Raum für Erläuterungen zu ihrem Vorgehen bekommen.
Ich glaube auch nicht, dass dabei der Text absichtlich einfacher gemacht wird – zumindest nicht bei seriösen Verlagen. Ich denke, dass eine neue Übersetzung immer auch ein Stück weit dem Zeitgeist und Sprachgebrauch der jeweiligen Epoche angepasst werden muss/soll und uns diese Varianten „einfacher“ weil natürlicher vorkommen als das Original oder die alten Übersetzungen.
Vielleicht ist ja die neue „Stalker“ Übersetzung etwas für dich? (Auch wenn ich die zugegebenermaßen noch nicht in den Händen gehalten habe…)
Und was spricht denn dagegen, dich an einer eigenen Übersetzung zu versuchen, vielleicht findest du ja einen Verlag, der daran Interesse hätte!
Liebe Grüße,
Eugen
Hallo Eugen,
ich gebe dir da absolut Recht, dass es an sehr vielen Stellen Erläuterungen oder Fußnoten bei Übersetzungen aber auch bei älteren Büchern gut wären, was leider nicht immer der Fall ist. (oder sogar sehr selten gemacht wird. Hatte z.b. massive Probleme beim lesen von Buddenbrocks ^^)
Die Frage ist dann aber, ob die Übersetzter auch alle Anspielungen oder Teile des Originals verstehen. Dies ist mir sehr stark bei der deutschen Übersetzung von Metro 2033 aufgefallen.
z.B. An einer Stelle im Original sagt ein Charakter dem Anderen: „Die Königin ist beeindruckt, Wir sind beeindruckt!“ Dies ist eine direkte Anspielung auf Bulgakows Meister und Margarita. Was steht in deutscher Übersetzung? (Übrigens von David Drevs, der anscheinend aus dem Englischen ins deutsche übersetzt) „Wir sind begeistert. Die Queen
ist begeistert“ ohne irgendwelche Erläuterungen im Anhang oder verweise. Denn im russischen Sprachraum geht man davon aus, dass jeder der die Schule besucht hat, diese Anspielung mitbekommt, hierzulande eher nicht.
Aus diesem Grund habe ich gewisse Vorurteile vor seiner Übersetung des Picknicks am Wegesrand, den er ja gleich als „Stalker“ übersetzt hat, wobei das Wort hierzulande was ganz anderes bedeutet…
Ich habe mir übringens die Leseprobe Angeschaut, zum Vergleich habe ich wieder Original, DDR Fassung und Heyne von Aljonna Möckel.
Die Unterschiede fangen ja schon bei dem Epigraph an ^^ (Aber hier ist der David näher an dem englischen Zitat Original)
Dennoch weil ich gerade Zeit habe, das erste Kapitel nach der Einleitung:
Meine „Übersetzung“:
Aljonna Möckel Das Neue Berlin • 1979
Aljonna Möckel Heyne Band 2
David Drevs Stalker ^^