Ein gebundenes Buch mit dem Titel „Weit über der smaragdgrünen See“ von Brandon Sanderson, auf einer Holzoberfläche platziert. Der Buchumschlag zeigt aufwendige grüne und blaue Illustrationen.

Weit über der smaragdgrünen See

von Brandon Sanderson


28.11.2023

  • Phantastik

Über ein Jahr ist es nun her, dass Brandon Sanderson mit seiner Kickstarter-Kampagne sämtliche Rekorde brach. Nun liegt mit Weit über der smaragdgrünen See der erste Teil dieses Erfolgsformats in deutscher Fassung vor. Doch waren die immensen Vorschusslorbeeren wirklich berechtigt?

Eine ganz gewöhnliche Heldin

Eigentlich könnte Tress zufrieden sein: Sie lebt ein einfaches Leben auf einer Insel im smaragdgrünen Ozean, ist materiell mit dem Nötigsten versorgt, hat eine gute Beziehung zu ihrer Familie und kann eine beeindruckende Tassensammlung ihr Eigen nennen. Da fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass – bis auf wenige Ausnahmen – niemand ihre Insel verlassen darf. Alles hat seinen Platz und jeder kennt seinen Platz.

Unglücklicherweise entwickelt sie jedoch Gefühle für Charlie, seines Zeichens Sohn des ortsansässigen Griesgrams und Herzogs in Personalunion. Dass er diese Gefühle auch noch erwidert, schmeckt dem Herzog natürlich überhaupt nicht, und so begibt sich der Adel auf eine Reise, um eine standesgemäße Braut für seinen Sohn aufzutreiben.

Dabei gerät Charlie jedoch in die Fänge der gefürchteten Zauberin im Mitternachtssee. Während jeder vernunftbegabte Mensch ihn aufgibt, ist Tress mit dem üblichen Verlauf der Dinge nicht einverstanden. Sie verlässt in einem waghalsigen Manöver die Insel, macht sich auf dem Weg zur Zauberin und muss sich dabei unter anderem einer ungewöhnlichen Piratencrew und einer Schar obligatorischer Monster stellen. Gelingt es ihr Charlie zu retten?

Der Erfolg der „Secret Projects“

Brandon Sanderson zählt schon seit Jahren zu den bekanntesten und produktivsten Autoren des phantastischen Genres. Internationale Bekanntheit wurde ihm zuteil, als er Das Rad der Zeit für den zwischenzeitlich verstorbenen Robert Jordan abschloss und danach erfolgreich Projekte ähnlich großen Ausmaßes lancierte.

Anfang letzten Jahres startete er dann eine Kickstarter-Kampagne („Secret Projects“) um vier Bücher in Eigenregie herauszugeben – und landete mit knapp 42 Millionen eingespielten US-Dollar einen aufsehenerregenden Erfolg. In Deutschland werden die vier Bücher in unterschiedlichen Verlagen veröffentlicht – unter anderem werden zwei Bände im Piper Verlag erscheinen (Das Handbuch für den genügsamen Zauberer: Überleben im mittelalterlichen England soll im Februar erscheinen).

Weit über der smaragdgrünen See kann dabei einen idealen Einstieg in Sandersons Werk bieten, bekommt man dadurch doch die rare Gelegenheit, in sein Schaffen zu schnuppern, ohne sich gleich für eine mehrbändige Reihe verpflichten zu müssen. Denn auch wenn der Roman im Kosmeer-Universum angesiedelt ist, lässt er sich problemlos als Einzelband lesen und genießen.

Bei dem Kosmeer-Universum handelt es sich um ein Romanuniversum mit verschiedenen Zeitebenen, in denen die meisten von Sandersons Werken angesiedelt sind. Die einzelnen Reihen sind dabei nur lose miteinander verbunden – vermutlich ähnlich wie bei Balzacs Menschlicher Komödie, nur in einem viel größeren Umfang. Fans der Reihe werden sich daher über einige „Easter Eggs“ freuen, Neuleser werden aber auch nichts vermissen.

Doch worum handelt es sich nun bei diesem Roman? Einen guten Anhaltspunkt bietet das Nachwort. Dort lässt uns Sanderson wissen, dass er insbesondere von William Goldings Brautprinzessin inspiriert wurde: So störten er und seine Frau sich daran, dass die weibliche Hauptfigur eine so untergeordnete Rolle spielte. Doch ist ihm mit diesem Roman eine Korrektur gelungen?

Modernes Märchen

Hat man diesen Punkt im Hinterkopf, so überrascht einem zunächst nicht, dass in der Tat vieles an Goldings berühmten Roman erinnert:

Auch hier führt uns im Duktus eines engagierten Geschichtenerzählers eine Figur (Hoid) durch das Geschehen, die selbst Bestandteil der Handlung ist. Der Erzähler weiß dabei in etwa so viel wie ein allwissender Erzähler – und er scheut sich auch nicht davor, uns diesen Umstand immer wieder vor Augen zu führen. Beständig würzt er das Geschehen mit bissigen Kommentaren, greift vor, zieht dann wieder zurück und glänzt insbesondere durch seinen trockenen Humor.

Dies ist oft unterhaltsam, könnte aber auch ob der ungewöhnlichen Erzählform und einiger zu moderner Aussagen einige Leser abschrecken. Jedenfalls muss man dieser Erzählerwahl zugutehalten, dass dadurch elegante Verknappungen ermöglicht werden, die das Erzähltempo insgesamt sehr hochhalten. Verstärkt wird dieser Effekt durch den einfachen Satzbau und das Fehlen umfangreicher (Landschafts-)Beschreibungen. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass relativ wenigen Dialoge vorhanden und erzählerbedingt nur wenige Monologe möglich sind.

Auch sonst erinnert viel an ein (modernes) Märchen: Der Roman ist humorvoll und herzerwärmend zugleich, weist aber auch immer wieder bedrohliche und dunkle Aspekte auf. Unsere Figuren stehen vor kleineren oder größeren Herausforderungen, lösen diese aber mit den üblichen wertevermittelnden Werkzeugen (Freundschaft, Familie, Selbstüberwindung etc.).

Wenig innovative Handlung

Die Handlung an sich dürfte dabei für die meisten Leser nur wenig Neues bereithalten: Es handelt sich um eine weitestgehend klassisch verlaufende Heldenreise. Die Hauptfigur bricht zu einer Reise mit einem klar definierten Ziel auf, muss sich auf ihrem Weg vielen Herausforderungen stellen an denen sie wachsen kann und vollendet schließlich ihre Reise mitsamt Reifeprozess mit einer schwierigen Entscheidung.

Oft passieren genau die Dinge, die man auch erwartet und die Ergebnisse der großen Handlungsstränge und „Mysterien“ dürften den meisten Lesern nach wenigen Seiten klar sein. Allerdings gilt dies wirklich nur für die großen Aspekte. Gerade in Detailfragen schlägt Sanderson so manches Mal einen so ungewöhnlichen und trockenen Weg ein, dass man als Leser einfach nur laut loslachen muss. Beispielhaft und filmreif sind etwa die Flucht von der Insel, die nur gelingt, weil ihre Eltern sie unterstützen oder das Lösen von Problemen durch Nachdenken.

Spannende Welt

Die Welt, in der wir uns dabei bewegen, ist dabei alles andere als gewöhnlich und das Besondere sind nicht etwa Drachen oder Zauberer, sondern vielmehr Sporen. Unsere Welt ist von zwölf Monden umgeben, die beständig verschiedene Sporen auf die Erde absondern. So besteht das Meer nicht aus Wasser, sondern eben aus den unterschiedlichen Sporen.

Jede Sporenart reagiert dabei auf ihre Umwelt auf unterschiedliche Art und Weise. Während eine Art bei Feuchtigkeit etwa zu Ranken wird, werden andere plötzlich tödliche Gebilde. Sie stellen damit sowohl Bedrohung als auch Werkzeug dar. Sie sind auch Grundlage für das Magiesystem auf diesem Planeten, gilt doch als Magier, wer sich der Kraft dieser geheimnisvollen Elemente einigermaßen sicher bedienen kann.

Sanderson wirft uns zu Beginn kopfüber in diese verrückte Welt und nicht von ungefähr erinnert vieles an das chaotische und kreative Worldbuilding eines Jack Vance. Idee folgt auf Idee und es bleibt dem Leser überlassen, diese Ideen weiterzuspinnen. Später folgen (leider) zu viele Erklärungen, die zwar in sich stimmig sind, der ganzen Erzählung aber ein Stück weit von ihrem märchenhaften Charme nehmen.

Natürlich ist auch hier nicht alles bis ins letzte Detail durchdacht und wer es wirklich darauf anlegt, der findet auch hier noch das eine oder andere Haar in der Suppe – man kann aber auch ein Märchen einfach nur Märchen sein lassen und die Geschichte genießen.

Überzeugende Charaktere

Eine große Stärke des Romans ist das gesamte Figurenensemble – soweit man sich vor Augen hält, dass der Märchenaspekt im Vordergrund steht. Der Band ist einfach zu kurz, als dass eine angemessene Charakterisierung der vielen Figuren erfolgen könnte.

Am ehesten ist dies noch bei der Hauptfigur Tress der Fall, die so gar nicht ins Märchenschema passt. Sie ist von Beginn der Erzählung an kein Mauerblümchen, sondern eine starke Frauenfigur, die mit Verstand, Entschlossenheit und Einfühlsamkeit agiert. Besonders sympathisch macht sie, dass sie selbst keine übernatürlichen Kräfte besitzt, sondern oft einfach durch Nachdenken und Teamwork (denkt an den Märchencharakter!) an ihr Ziel gelangt.

Die Nebenfiguren stehen lange nicht so stark im Vordergrund, können aber durch skurrile oder liebenswerte Charakterzüge die ihnen zugedachten Rollen hervorragend ausfüllen, man denke nur an den Zombie als Schiffsarzt, eine sprechende Ratte (Huck) oder die energische Steuerfrau Salay.

Die Antagonisten bilden wiederum den schwächsten Teil des Romans. Sie sind weder sonderlich ausgearbeitet, noch besonders sympathisch noch verachtenswert – aber auch das passt um ehrlich zu sein ein Stück weit in eine Märchengeschichte.

Was bleibt?

Brandon Sanderson hat mit Weit über der smaragdgrünen See ein herzerwärmendes und humorvolles modernes Märchen verfasst. Auch wenn nicht jeder Leser mit der Erzählform zurechtkommen dürfte und nicht jeder Aspekt bis ins letzte Detail ausgearbeitet wurde, begeistert der Roman mit skurrilen und liebenswerten Figuren, wichtigen Botschaften, kreativen Einfällen und einer spannenden und innovativen Welt. Die perfekte Lektüre, um unsere Herzen in kalten Zeiten zu erwärmen!

Liebevoll gestaltete Ausgabe

Die mir vorliegende Ausgabe stammt aus dem Piper-Verlag und bietet erstaunlich viel Buch für relativ wenig Geld. Rein äußerlich handelt es sich um einen einfachen Pappeinband mitsamt Klebebindung, bei dem auf einen Schutzumschlag verzichtet wurde. Dafür besticht der Einband durch Goldfolien-Akzente und eine insgesamt stimmige farbliche Gestaltung.

Neben einem Leseband erwarten uns bedrucktes Vorsatz- bzw Nachsatzpapier, eine liebevolle Gestaltung der Kapitelanfänge und einige tolle Illustrationen von Howard Lyon, die eindeutig nur für dieses Buch angefertigt wurden. Die gesamte Buchgestaltung kann also nur als äußerst gelungen bezeichnet werden.

Des Weiteren wurde der Band vom Autor mit kurzen, aber dafür nicht weniger informativen Vor- und Nachworten bedacht. Die Übersetzung stammt von Simon Weinert und bietet keinen Anlass zur Kritik.

Pro/Contra

Pro
  • innovative Welt
  • märchenhafte und zauberhafte Erzählung
  • starke Hauptfigur
Contra
  • stellenweise zu viele Erklärungen
  • oft vorhersehbar

Fazit


Weit über der smaragdgrünen See von Brandon Sanderson ist das passende Märchen, um unsere Herzen in kalten Zeiten zu erwärmen. Perfekt für Leser, die einfach mal in einer Geschichte versinken möchten!

autor: Brandon Sanderson

Titel: Weit über der smaragdgrünen See

Seiten: 544

Erscheinungsdatum: 2023 (2022)

Verlag: Piper Verlag

ISBN: 9783492706681

übersetzer: Simon Weinert

illustrator: Howard Lyon

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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Sonja
16.10.2024 20:01

Oh, das klingt nach einem sehr lesenswerten Buch. Danke für die Vorstellung.
Liebe Grüße
Sonja