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Das Königreich der Lügen

von Nick Martell


27.01.2023

  • Fantasy

Mit seinem Debüt Das Königreich der Lügen konnte sich Nick Martell innerhalb kürzester Zeit in der Fantasy-Szene etablieren. Nun liegt der erste Band seiner Söldnerkönig Trilogie auch hierzulande vor – doch kann er den Vorschusslorbeeren gerecht werden?

Lügen und Intrigen

Einst galt die Familie Königsmann als angesehenste Familie im Königreich Kessel: Ihre Heldentaten waren Gegenstand zahlreicher Legenden und als wichtiges Bindeglied zwischen Königshaus, Adel und einfacher Bevölkerung sorgten sie für die die notwendige Stabilität im zunehmend fragiler werdenden Königreich.

Das sollte sich ändern, als die Hand des Königs, David Königmann, den Thronfolger hinterrücks ermordet und damit seine Familie und das Königreich ins Chaos stürzt: Während er selbst hingerichtet wird, werden seine Kinder als Verräter gebrandmarkt und verstoßen. Das Reich Kessel selbst verliert sich hingegen in innere und äußere Konflikte und erinnert nur noch entfernt an die einst prächtige Handelsstadt.

Zehn Jahre später schlägt sich der jüngste Spross der Königmanns, Mikael, mit kleineren Gaunereien und kurzfristigen Beschäftigungen durchs Leben und verwendet seine raren Ersparnisse dazu, ein Heilmittel für seine demente Mutter zu suchen. Bei einem seiner Gelegenheitsjobs stößt er schließlich auf Ungereimtheiten, die die Schuld seines Vaters infrage stellen. Mikael tut alles in seiner Macht Stehende, um den Namen seiner Familie reinzuwaschen, doch je tiefer er das Netz aus Lügen und Intrigen durchdringt, desto mehr Gefahren tun sich auf. Bald schon geht es um mehr, als um einen angeblichen Mord…

Kein Brot, aber Spiele

Martell wirft uns in Das Königreich der Lügen in eine Welt, die sich in einer Übergangsphase befindet. Besonders zu spüren bekommt dies das Kriegs- und Sicherheitsgeschäft: Das klassische Schwert wird langsam, aber stetig durch pistolenähnliche Waffen verdrängt und lässt damit den alten Ritterstand in die Bedeutungslosigkeit verblassen. Stattdessen beherrschen Privatarmeen und wirtschaftlich agierende Söldnergruppierungen das Geschehen.

Auch gesellschaftlich stehen etablierte Konzepte auf dem Prüfstand. Die einfache Bevölkerung ist nicht mehr dazu bereit, die Privilegien des Adels zu akzeptieren und unterstützt in weiten Teilen eine kriegerische Rebellionsbewegung. Dem König ist dieses Problem durchaus bewusst und er versucht der Bewegung durch Zugeständnisse wie eine unabhängige Justiz und die Abschaffung der Sklaverei einerseits und durch die Inszenierung von Hinrichtungen als soziale Events andererseits den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Handlung spielt dabei in weiten Teilen in der Stadt Kessel, einem klassischen Fantasy-Moloch mit zahlreichen bekannten Elementen. Auch wenn Martell dem Genre diesbezüglich nichts Neues zufügt, gelingt es ihm, die Stadt immerhin abwechslungsreich und unterhaltsam zu inszenieren und damit über den räumlich beschränkten Schauplatz hinwegzuhelfen. Die zahlreichen Anspielungen auf andere Orte lassen zudem darauf hoffen, dass wir in Zukunft in den Genuss einer größeren Welt kommen werden.

Einen interessanten Nebenaspekt stellt der Mond Celona dar, der aus bislang ungeklärten Gründen zerbrochen ist und dessen Bruchstücke immer wieder auf die Stadt herabstürzen. Leider dient diese Idee bislang nur als Vehikel für andere Handlungsaspekte, doch auch hier bin ich guter Dinge, dass wir in Zukunft mehr erfahren werden.

Der Preis der Magie

Wirklich fasziniert hat mich hingegen das von Martell entworfene Magiesystem. Magische Fähigkeiten scheinen dabei vor allem dem Adel oder ihren unehelichen Abkömmlingen vorbehalten zu sein und zeigen sich in Form von einseitigen und nicht veränderbaren Fähigkeiten, die wir eigentlich schon zur Genüge aus anderen Büchern kennen. Neben den obligatorischen Element-Fähigkeiten (Eis, Feuer etc.) treffen wir auch auf exotischere Fähigkeiten wie Körperverhärtung oder Klangfähigkeiten.

In Martells Kosmos werden Magier als Fabrikatoren bezeichnet und dienen vor allem als Soldaten in unterschiedlichsten (Privat-)Armeen, doch in aller Regel halten sie sich mit dem Einsatz von Magie zurück. Hintergrund ist der hohe Preis, den die Fabrikatoren für den Einsatz von Magie zahlen müssen. So hat ein langfristiger ebenso wie ein unkontrollierter Gebrauch die Folge, dass die Anwender Erinnerungen verlieren und nicht wenige verfallen am Ende ihres Lebens in einen dementen Zustand.

Sie behelfen sich zwar damit, dass sie ihre wichtigsten Erinnerungen tätowieren lassen und ausführlich Tagebuch über ihr Leben führen, doch dies sind insgesamt nur kurzfristige Maßnahmen. Martell schafft es damit, ein gewisses Maß an „Waffengleichheit“ zwischen Magiern und Nicht-Magiern herzustellen und verhindert, dass übermächtige Magier das Geschehen zu stark dominieren.

Schwacher Einstieg

Das Erste, was dem Leser beim Aufschlagen des Buches ins Auge springt, ist die Wahl der Erzählperspektive. Martell hat sich für einen Ich-Erzähler entschieden – eine im Fantasy-Genre ungewöhnliche, aber durchaus nicht unübliche Entscheidung.

Ein Ich-Erzähler hat natürlich den Vorteil der Nähe zur Hauptfigur, birgt aber gerade im phantastischen Bereich die Gefahr, den Leser zu verwirren – schließlich gibt es damit für den Autor nur noch eingeschränkte Möglichkeiten, die Welt und ihre Hintergründe zu erläutern. An sich stellt dies kein Problem dar, schließlich verbleibt ja die Möglichkeit, mithilfe der Gedanken des Protagonisten an den entsprechenden Stellen für Aufklärung zu sorgen.

Leider bedient sich Martell dieses Mittels erst in den letzten beiden Dritteln des Romans. Im ersten Drittel greift er darauf zurück, dass andere Figuren in Dialogen völlig aus dem Zusammenhang gerissene Informationsschnipsel fallen lassen. Als Leser fühle ich mich an diesen Stellen vom Autor für dumm verkauft – die meisten Leser sollten durchaus in der Lage sein, sich die Hintergründe einer Welt/Geschichte zu erschließen, ohne dass jede Information auf dem Silbertablett serviert wird.

Hohes Erzähltempo

Die restliche Konzeption des Romans kann hingegen weitestgehend überzeugen. Die 600 gut gefüllten Seiten können dabei durch eine unterhaltsame Mischung verschiedenster Aspekte überzeugen. Neben vielen Dialogen (sie werden besser!) und in der Regel kurz gehaltenen Monologen sorgen zahlreiche abwechslungsreiche Action Szenen für Abwechslung und ein insgesamt hohes Erzähltempo.

Während Martell nicht zimperlich ist mit der Wahl seiner Szenen (Kinder werden ermordet, öffentliche Hinrichtungen und Folter sind auf der Tagesordnung) verzichtet er dabei weitestgehend auf die explizite Darstellung von Gewalt – ein netter Gegenentwurf zu so manchem effektheischenden Roman im Fahrwasser von Game of Thrones. Des Weiteren begegnen wir so gut wie keinem Cliffhanger und nur wenigen Rückblenden. Auch wenn dies wohl eher der Erzählperspektive als der bewussten Entscheidung des Schriftstellers geschuldet ist, trägt auch dieser Verzicht zur Geschwindigkeit des Romans bei.

Wie es sich für einen Roman um Hofintrigen gehört, ist der Roman gespickt mit zahlreichen Wendungen. Während einige recht vorhersehbar waren, trafen mich andere (darunter die Entscheidenden!) völlig unvorbereitet. Insgesamt gelingt es Martell nach einigen Anfangsschwierigkeiten, den Leser in die Handlung zu ziehen. Ich selber habe auf so manche Stunde Schlaf verzichten müssen, weil es mir einfach nicht gelungen ist, das Buch aus der Hand zu legen und das ist trotz einiger Schwächen (dazu sogleich) ein gutes Zeichen.

k(l)eine Logiklücken

Die eine oder andere Stelle hat bei mir dann aber doch für Stirnrunzeln gesorgt. So fand ich es seltsam, dass Mikaels Familie für das Verbrechen seines Vaters vom Hof verbannt und geächtet wurde, dann aber weitgehend unbehelligt in der Stadt leben durfte. Auch der Umstand, dass Mikael nach diesem Verbrechen noch einmal eine Chance am Königshof erhalten sollte, ist für den Leser nicht nachvollziehbar und steht zumindest auf wackligen Beinen. Ohne zu viel verraten zu wollen: die letzten Seiten lösen diese Situation auf. Ich empfehle also durchzuhalten und den inneren Logiker bis dahin zu beruhigen.

Polarisierende Hauptfigur

Im Mittelpunkt der Handlung steht naturgemäß unser Ich-Erzähler Mikael Königsmann. Der Autor hätte sich dabei wohl keine weniger polarisierende Figur als Erzähler aussuchen können. Dabei scheint er eigentlich eine recht sympathische Hauptfigur zu sein: Als Ausgestoßener versucht er sich mit kleineren Gaunereien über Wasser zu halten und verwendet einen Großteil seiner Beute dazu, nach einem Heilmittel für die Demenzerkrankung seiner Mutter zu suchen.

Positiv wirkt sich zudem aus, dass er gerade kein übermächtiger Held ist. Er verliert deutlich mehr Konflikte, als er gewinnt und oftmals sind seine Freunde die entscheidenden Akteure in brenzligen Situationen (man denke nur an die Lindwurmszene). Auch zeigt sich seine Fabrikation erst sehr spät, sodass er in den meisten Fällen nicht einmal auf Magie zurückgreifen kann. Zusammen mit seiner tragischen Hintergrundgeschichte scheint also der Weg in die Herzen der Leser offen zu sein.

Vater-Sohn-Konflikt

Problematisch ist, dass er gerade einmal achtzehn Jahre alt ist und aus einer Mischung aus Wut, Verzweiflung und Spätpubertät heraus am laufenden Band Entscheidungen trifft, die den Leser zur Verzweiflung bringen. Gerade im ersten Drittel verdreht man nur noch die Augen, wenn Mikael die nächste unüberlegte Entscheidung trifft, sein Umfeld in Gefahr bringt und dann wieder einmal in Selbstmitleid versinkt.

Was den Leser dann aber letztlich doch dazu bringt, weiter zu lesen, ist die Entwicklung, die er im Laufe des Romans durchläuft. Seine fragwürdigen und Kurzschlussreaktionen beruhen letztlich auf einer Identitätskrise. Seine Familie ist gespickt mit Helden, um die sich zahllose Legenden ranken und aufgrund der Tat seines Vaters ist seine Generation dazu bestimmt, als Lücke in die Geschichte einzugehen.

Erst nach der Aufarbeitung des Konflikts mit seinem Vater ist er dazu bereit, einen eigenständigen Weg einzuschlagen und zu einem erwachsenen Menschen zu reifen. Auch wenn es sich um keine tiefgehende Ausarbeitung eines Vater-Sohn-Konfliktes handelt, die jeden Aspekt bis ins letzte Detail auslotet, kann dieser wichtige Teil des Romans überzeugen und hilft über die anfänglichen Schwächen der Hauptfigur hinweg.

Geteiltes Bild bei den Nebenfiguren

Neben Mikael erwarten uns noch zahlreiche Nebenfiguren, die mit fortschreitender Handlung immer wichtigere Rollen einnehmen. Sie lassen sich in meinen Augen dabei grob in drei Kategorien einteilen: Einige Figuren können den Leser aufgrund ihrer differenzierten Darstellung oder interessanten Hintergrundgeschichte von Anfang an in ihren Bann ziehen, so etwa der geheimnisvolle Carl Domet oder der Söldner Schwartz. Leider gibt es auch einige Figuren, die einfach nur Abziehbilder darstellen. Der verdorbene Prinz etwa als altbekannter, verzogener Abkömmling eines Königs, könnte genauso gut in jedem beliebigen Historien- oder Fantasy-Roman auftauchen.

Daneben gibt es auch einige Figuren, bei denen ein abschließendes Bild nicht möglich ist. Viele Figuren kamen in der ersten Hälfte des Romans nicht über ihre Rolle als bloße Stichwortgeber hinaus und ließen mich ein wenig ratlos zurück. Martell ist aber ab der zweiten Hälfte eine Wendung gelungen, die allen Figuren neues Leben eingehaucht hat. Während etwa Mikaels Schwester Jenn am Anfang des Romans nicht mehr als die überbesorgte Schwester darstellte, entpuppt sie sich in den letzten hundert Seiten als vielversprechende und eigenständige Figur, die mit etwaigen weiteren Auftritten für viel Unterhaltung sorgen könnte. Dasselbe gilt für Mikaels Jugendfreunde Trey und Sirash, die zu Beginn nur bekannte Muster abspulten, in der zweiten Hälfte aber vielversprechende Entwicklungen durchlaufen haben.

Was bleibt?

Mit Das Königreich der Lügen ist Nick Martell ein solides und gleichzeitig vielversprechendes Debüt gelungen. Während man der ersten Hälfte das Debüt noch anmerkt und an den Entscheidungen der Hauptfigur, dem schwachen Einstieg und den blassen Nebenfiguren verzweifelt, nimmt die zweite Hälfte deutlich Fahrt auf, steuert in allen Aspekten nach und begeistert daneben mit einem hohen Erzähltempo und einem interessanten Setting. Die Konsequenz ist eine Mischung aus teilweise anspruchsvollen und teilweise anspruchslosen Aspekten, die Freunde beider Buchkategorien gleichermaßen abschrecken könnte. Setzt Martell den eingeschlagenen Weg in den weiteren Bänden fort, dann könnte es sich dennoch um eine der interessanteren Reihen der letzten Jahre handeln.

Schönes Paperback, fragwürdige Übersetzung

Meine Ausgabe stammt aus dem Blanvalet Verlag und entspricht den Anforderungen, die man an ein Paperback dieser Preisklasse stellen kann und muss. Die verwendeten Materialien sind für ein Paperback hochwertig und gerade der Buchrücken hält einiges an Belastung aus, ohne einzuknicken. Im Vorsatz finden wir eine Karte der Stadt Kessel, die zur Orientierung hilfreich, aber nicht unbedingt notwendig ist. Cover sind ja bekanntlich immer Geschmackssache, aber zumindest in meinen Augen hat der Verlag hier ein stimmiges Motiv gewählt.

Die Übersetzung stammt von Urban Hofstetter und stellt eine gewohnt souveräne Übersetzerarbeit dar. Irritiert hat mich lediglich die Entscheidung, einen Großteil der Namen der Protagonisten einzudeutschen. Das ist im Fantasy-Genre kein ungewöhnlicher Vorgang und die Beweggründe sind durchaus nachvollziehbar, aber musste man unbedingt aus Gwen Jenn und aus Michael Mikael machen? Zumindest an diesen Stellen hätte ich mir ein wenig Zurückhaltung gewünscht. Letztlich sind die Namen aber auch nicht kriegsentscheidend und zumindest nicht allzu weit entfernt vom Original, sodass ich mit den Entscheidungen gerade noch leben kann.

Weitere Bände?

Das Königreich der Lügen (The Kingdom of Liars) stellt den ersten Teil der Söldnerkönig-Trilogie dar und erschien in Übersee bereits im Jahre 2020. Die anderen beiden Bände liegen im Original bereits vor und erscheinen in deutschsprachiger Übersetzung im März (Der Hof der Rache) und Mai (Der Weg der Vergessenen) dieses Jahres. Soweit ich die englischsprachigen Reaktionen überblicken kann, handelt es sich bei dem letzten Band auch tatsächlich um den Abschluss der Reihe (auch wenn der Autor eine Rückkehr in seine Welt natürlich nicht ausschließt…), sodass wir innerhalb kürzester Zeit in den Genuss der kompletten Reihe kommen werden und nicht die Befürchtung hegen müssen, eine weitere möglicherweise unabgeschlossene Reihe ins Regal stellen zu müssen.

Pro/Contra

Pro
  • hohes Erzähltempo
  • erfrischendes Magiesystem
  • vielversprechende Nebenfiguren ab der zweiten Romanhälfte
Contra
  • holpriger Einstieg
  • polarisierende Hauptfigur

Fazit


Das Königreich der Lügen stellt einen soliden Fantasy-Roman mit kleineren Schwächen dar, der vor allem durch eine starke zweite Hälfte überzeugen kann. Setzt Nick Martell den eingeschlagenen Weg in den Folgebänden konsequent fort, dann dürfte es sich um eine der interessanteren Reihen der letzten Jahre handeln.

autor: Nick Martell

Titel: Das Königreich der Lügen

Seiten: 640

Erscheinungsdatum: 2020

Verlag: Blanvalet Verlag

ISBN: 9783734162092

übersetzer: Urban Hofstetter

illustratorIn: –

Reihe: Die Söldnerkönig-Saga (1)

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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