Prinz und Bettelknabe
von Mark Twain
04.10.2024
- Klassiker
Mit seinem Roman Prinz und Bettelknabe prägte Mark Twain sämtliche nachfolgenden Verwechslungsgeschichten. Aber kann die Lektüre auch heute noch überzeugen?
Kleider machen Leute
Edward Tudor und Tom Canty wurden am selben Tag geboren, doch unterschiedlicher hätten ihre Leben nicht verlaufen können. Während Prinz Edward als künftiger König von England im Überfluss aufwächst, muss Tom jeden Tag als Bettler um sein Überleben kämpfen.
Im Rahmen einer zufälligen Begegnung tauschen sie ihre Kleidung und stellen fest, dass sie einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führt schließlich dazu, dass die beiden getrennt werden, noch bevor sie den Tausch aufdecken können.
Während Edward nun jedem Tag um seine Existenz ringen muss, begeht Tom am Hof einen Fauxpas nach dem anderen. Als dann auch noch Edwards Vater stirbt und Tom zum König gekrönt werden soll, ist Eile geboten …
Kultroman eines Kultautors
Was soll man zu Mark Twain noch schreiben, was nicht längst schon jemand anders zu Papier gebracht hat? Seine Romane haben Kultstatus erreicht und ich persönlich halte Tom Sawyer und Huckleberry Finn immer noch für die zwei besten Romane, die jemals geschrieben wurden. Nur wenigen Menschen gelingt es, Witz und Verstand so zu verbinden wie dem ehemaligen Mississippi-Lotsen.
Twain schrieb The Prince and the Pauper bereits 1881, die erste deutsche Fassung sollte allerdings erst 1956 folgen. Grundlage seiner Arbeit bildete die ebenso kurze wie interessante Regentschaft von Eduard VI., Sohn Heinrichs VIII., die tatsächlich einige Doppelgänger-Betrüger inspirierte.
Etabliertes Motiv
Das dem Roman innewohnende Verwechslungsmotiv ist dabei so alt wie der moderne Roman selbst. In der Literatur versuchten sich bereits Jahrzehnte vor Twain einige berühmte Kollegen wie Keller oder Gogol daran. Kein Versuch erlangte aber so eine Popularität wie der vorliegende Roman. Nicht ohne Grund orientieren sich Funk und Fernsehen bis heute an diesem Klassiker, wenn es um Verwechslungsgeschichten geht.
Der Plot bietet keinen Anlass für Überraschungen: Zwei Menschen aus extrem unterschiedlichen sozialen Verhältnissen werden in das jeweils andere Umfeld gepackt und stehen vor zahlreichen größeren und kleineren Herausforderungen. Vorher gibt es noch eine Videobotschaft, in der die Tauschmutter … ach ne, das war eine andere Geschichte …
Die Richtung stimmt dennoch: Das klingt alles nach dem Stoff für eine waschechte Komödie. Und in der Tat sorgt so manche Szene für ausgelassene Lacher. Die geneigte Leserin mag sich einen beliebigen Umstand vorstellen – er wird in diesem Buch zu finden sein. Dass Twain als Meister des Humors in allen Facetten auf allen denkbaren Ebenen zu unterhalten weiß, dürfte wohl für keine großen Überraschungen sorgen.
Humor und Gesellschaftskritik
Darauf ruht sich Twain jedoch nicht aus. Unser Autor hatte schon immer ein Händchen dafür, den Finger in die Wunde zu legen und gesellschaftliche Missstände schonungslos aufzuzeigen. So ist unsere märchenhafte Geschichte durchzogen von recht harten Szenen, in denen Menschen geschlagen, ausgeraubt, ermordet, bedroht oder betrogen werden – in jedem vorstellbaren gesellschaftlichen Verhältnis.
Quasi nebenbei zeigt er Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten auf und macht klar, dass werteorientiertes und moralisches Handeln keine Frage des Geldbeutels ist. Und wer glaubt, dass Twain mit seiner Kritik möglicherweise auch seine Zeitgenossen miteinschloss, der dürfte gar nicht mal so daneben liegen.
Im Laufe der Geschichte begegnen wir einer Reihe von unterhaltsamen Figuren, die wir schnell in unser Herz schließen. Natürlich ist nicht jede Figur bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Aber jede erfüllt ihre klar umrissene Rolle mit Bravour. Insbesondere Miles Hendson hat sich dabei das Recht, neben dem englischen König sitzen zu dürfen, redlich verdient!
Was bleibt?
Der Prinz und Bettelknabe von Mark Twain sorgt auch heute noch für einige Stunden kurzweiliger Unterhaltung und überzeugt mit einer Mischung aus Humor und bissiger Gesellschaftskritik. Nicht umsonst prägte der Roman diese kleine Nische der Unterhaltung nachhaltig. Eine ebenso unterhaltsame wie geistreiche Lektüre!
Preiswertes Hardcover
Die Bücher des Anaconda Verlages konnten schon immer mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen, doch in Zeiten immer weiter steigender Preise hat sich das Verhältnis deutlich zugunsten des Verlages gewendet. Auch wenn wir auf ein Leseband verzichten und mit einer Klebebindung vorliebnehmen müssen, handelt es sich um ein solide verarbeitetes Stück Buch. Im Inneren erwarten uns 36 Illustrationen von Willy Planck, die sicherlich so manchem Leser bekannt sein dürften. Die Übersetzung fertigte Helene Lobedan an.
Pro/Contra
Pro
- Zeitloser Humor
- Beißende Gesellschaftskritik
Contra
- Mittlerweile angestaubtes Motiv
Fazit
Mark Twains Prinz und Bettelknabe kann auch heute noch mit Humor und Gesellschaftskritik überzeugen. Ein kurzweiliges Lesevergnügen!
autor: Mark Twain
Titel: Prinz und Bettelknabe
Seiten: 288
Erscheinungsdatum: 2024 (1881)
Verlag: Anaconda Verlag
ISBN: 9783730614549
übersetzerin: Helene Lobedan
illustrator: Willy Planck
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt
„Was soll man zu Mark Twain noch schreiben, was nicht längst schon jemand anders zu Papier gebracht hat?“ – das ging mir neulich auch durch den Kopf als ich „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ gelesen habe. Aber ich finde du hast das großartig gemacht 😉 Denn ich wusste beispielsweise nicht, dass dieses berühmte Verwechslungsmotiv auch durch ihn so bekannt wurde. Man hat ja immer von Prinz und Bettelknabe gehört, aber ich hätte nicht den Finger drauf legen können, wer es geschrieben hat.
Trotzdem bin ich scheinbar nicht so ganz die Tom Sawyer Leserin und weiß daher auch noch nicht, ob ich dem hier eine Chance gebe. Trotzdem danke fürs mitnehmen!
Sehr gerne! Ich würde vorsichtig darauf tippen, dass in diesem Falle auch dieser Roman nichts für dich sein dürfte. Hast du es mal mit Huckleberry Finn versucht? Im Zweifel würde ich da nochmal ansetzen, wenn du Twain noch nicht völlig aufgegeben hast 🤔