
Das Blut der Herzlosen
von Lee Young-Do
13.05.2024
- Fantasy
Mit Das Blut der Herzlosen veröffentlichte der Koreaner Lee Young-Do im Jahre 2003 den ersten Band einer ungewöhnlichen Fantasy-Reihe, die in seiner Heimat ein Millionenpublikum fand. Nun liegt der Auftakt auch hierzulande vor – doch hat sich das Warten gelohnt?
Ein geteiltes Königreich
Das Königreich Kiboren besteht seit Jahrhunderten aus zwei Teilen: Während im südlichen Dschungel die reptilienartigen Nagas dominieren, teilen sich die restlichen Völker den wesentlich kleineren Norden.
Beide Teile des Reiches ignorieren sich geflissentlich und leben in friedlicher Koexistenz. Doch dann erhält der Waldläufer Kaygon Draka einen ungewöhnlichen Auftrag: Zusammen mit einer kleinen Gruppe soll er in das Herz des Reiches der (verhassten) Nagas eindringen und einen Außenseiter zum Großtempel begleiten – ein Unterfangen, das noch nie jemandem gelungen ist …
Moderne koreanische Fantasy
Die Karriere von Lee Young-Do begann, als er 1998 auf der Internetplattform Hitel seinen ersten Fantasy-Roman Dragon Raja veröffentlichte. Und mit der anschließenden Druckausgabe ein Millionenpublikum erreichte.
2003 folgte mit dem ersten Band (von insgesamt vier Bänden) der Legende vom Tränenvogel sein Hauptwerk. Die Popularität dieser Romane steht in seiner Heimat auf einer Stufe mit Genre-Klassikern wie Game of Thrones. Unter anderem ist dort eine Videospiel-Umsetzung geplant.
Hierzulande scheint man erproben zu wollen, ob seine Werke für den europäischen Markt geeignet sind. Doch was macht diesen Roman aus?
Bekannter Plot
Die Handlung selbst ist (bislang) nicht sonderlich innovativ: Unterschiedliche Charaktere bilden eine heterogene Gruppe, die einen klar umrissenen Auftrag hat, viel unterwegs ist und eine Reihe von Problemen lösen muss – so weit, so bekannt.
Faszinierendes Setting
Was dieses Buch von anderen Genre-Werken hervorhebt, ist das Setting. Young-Do gelingt es, bekannte westliche Motive mit der koranischen und asiatischen Mythologie zu verweben. Er kann den Leser dadurch mit vielen außergewöhnlichen Ideen begeistern.
Dies beginnt bereits mit den verschiedenen Völkern: Anstatt auf Zwerge, Elfen und Co. zu treffen, dürfen wir uns mit Lekons, Nagas und Dokebis herumschlagen. Während es sich bei Lekons um drei Meter große, überaus starke und gefiederte Wesen handelt, kann man sich Dokebis als magisch begabte Goblins vorstellen, die zu allerlei Späßen neigen.
Im Mittelpunkt dieses Bandes steht das Volk der Nagas: reptilienartige Wesen, die als Kaltblüter im Dschungel dominieren, außerhalb dessen jedoch kaum überlebensfähig sind. Wir dürfen relativ tief in ihr Leben eintauchen und Kultur, Politik, Religionen und Wirtschaft in allen Spielarten kennenlernen. Interessant sind insbesondere die „vertauschten“ Geschlechterrollen: Frauen stellen das starke Geschlecht dar, während Männer kaum Rechte besitzen und lediglich der Fortpflanzung dienen.
Anlass zur Kritik gibt es dennoch: Die Verteilung von Schwächen wirkt stellenweise künstlich. Während die panische Angst der Dokebis vor Wasser zumindest teilweise nachvollziehbar ist, wirkt die („bloße“) psychische Angst eines ganzen Volkes vor Blut nicht besonders glaubwürdig.
Interessante Charaktere
Nicht sonderlich überraschend besteht unsere Heldentruppe jeweils aus einem Vertreter eines Volkes. Die Gruppe gewinnt nach anfänglichen Schwierigkeiten schnell unsere Sympathien. Begeistern kann speziell der beinahe schon unglaubwürdig starke Kaygon Draka, dessen dunkle Seite viel Spannung verspricht. Aber auch der Naga Ryun Pey, der vom Kampf zwischen Tradition und Moderne zerrissen wird.
Klare Prosa
Sprachlich handelt es sich um ein solides Werk. Der Autor verwendet eine klare und präzise – niemals zu komplizierte – Prosa und schafft es, Passagen sprachlich zu verdichten oder auszudehnen. Action-Szenen bilden einen festen Bestandteil des Romans, sind abwechslungsreich ausgearbeitet und werden dynamisch und wendungsreich beschrieben. Gewalt steht niemals im Mittelpunkt, wird aber explizit beschrieben.
Langsames Erzähltempo
Das Erzähltempo ist – wie es sich für den Auftakt einer vierbändigen Reihe gehört – insgesamt behäbig. Zwar sorgen zahlreiche Dialoge für einen schnellen Lesefluss. Allerdings nimmt sich der Autor viel Zeit, um uns seine Welt vorzustellen. Bis es zu einem Treffen der Gefährten kommt, ist bereits die Hälfte des Romans vergangen. Und auch danach wird das eigentliche Hauptziel immer wieder durch kurzweilige und unterhaltsame Abenteuer aufgelockert.
Apropos auflockern: Humor ist ein entscheidender Faktor innerhalb der Reihe. So sorgen allein schon die kulturellen Unterschiede innerhalb unserer Hauptgruppe für zahlreiche unterhaltsame Missverständnisse. Hinzu kommen noch einige skurrile Situationen (z. B. die Königs-Begegnungen).
Kritisieren muss man die suboptimale Aufteilung des Bandes: Die Geschichte ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Innerhalb eines Abschnittes wechseln wir häufig Figuren und Orte, ohne dass uns dies optisch deutlich gemacht wird.
Was bleibt?
Das Blut der Herzlosen von Lee Young-Do bildet den erfreulich unterhaltsamen Auftakt einer Fantasy-Reihe, die frischen Wind ins Genre bringt. Die Handlung mag nicht sonderlich innovativ erscheinen, und optisch hätte man das Buch leserfreundlicher gestalten können.
Doch dafür wird man mit einem unverbrauchten und von asiatischer und koreanischer Mythologie geprägten Setting belohnt. Ob der Autor das Niveau über vier Bände halten kann, bleibt abzuwarten – zuzutrauen ist ihm dies. Eine der interessanteren Neuerscheinungen des Jahres.
Solides Hardcover
Rein äußerlich handelt es sich um ein handwerklich solides Hardcover aus dem Heyne Verlag. Das Buch wurde insgesamt liebevoll gestaltet. Das Covermotiv von Yi Suyeon macht neugierig und hebt sich wohltuend von anderen Genre-Werken ab.
Daneben finden wir im Anhang des Buches noch ein leserfreundliches Glossar samt Personenverzeichnis. Die Übersetzung stammt von Kim Hyok-Sook und Manfred Selzer, die auch das informative und lesenswerte Nachwort beigesteuert haben.
Werke von Lee Young-Do
Pro/Contra
Pro
- Faszinierendes und unverbrauchtes Setting
- Klare Prosa
- Sympathische Heldentruppe
Contra
- Optisch unglückliche Kapitelaufteilung
- Kein innovativer Plot
Fazit
Das Blut der Herzlosen von Lee Young-Do begeistert trotz Einheitsplot durch ein farbenprächtiges und innovatives Setting und kann damit gleichermaßen alte Hasen wie Neueinsteiger begeistern.
autor: Lee Young-Do
Titel: Das Blut der Herzlosen
Seiten: 558
Erscheinungsdatum: 2024 (2003)
Verlag: Heyne Verlag
ISBN: 9783453274419
Übersetzer: Manfred Selzer
illustratoren: –
Reihe: Die Legende vom Tränenvogel (1)
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt











