Der zerstreute Zeitreisende
von Terry Pratchett
22.08.2022
- Fantasy
- ·
- Phantastik
Der zerstreute Zeitreisende versammelt achtzehn bislang unveröffentlichte Kurzgeschichten aus dem Frühwerk des berühmten phantastischen Schriftstellers Terry Pratchett. Doch können diese Geschichten mit seinen späteren Meisterwerken mithalten?
Aus dem Frühwerk des Meisters
Der 2015 verstorbene Brite Terry Pratchett gehört ohne Zweifel zu den bekanntesten phantastischen Autoren aller Zeiten und ist weit über die Genregrenzen hinaus bekannt. Legendär ist seine Scheibenweltreihe, die einundvierzig Romane, diverse Kurzgeschichten und allerlei Sekundärliteratur umfasst. Dass es sich bei einem Prozent aller in Großbritannien verkauften Romane um einen Scheibenwelt-Roman handelt, dürfte verdeutlichen, wie populär seine Romane heute noch sind.
Die hier vorliegenden achtzehn Geschichten (wobei es sich um siebzehn deutsche Erstveröffentlichungen handeln soll) entstanden lange vor dieser Zeit, um genau zu sein war Pratchett siebzehn Jahre alt. Er stand noch am Anfang seines Schaffens und war als Lokalreporter für kleinere Zeitungen tätig, die seine Geschichten glücklicherweise veröffentlichten.
Mehr als nur Zeitreisende
Die Geschichten sind inhaltlich zu heterogen und so kurz, dass eine Inhaltsangabe einfach keinen Sinn macht. Die meisten Geschichten spielen in der fiktiven (?) Kleinstadt Blackbury, die wohl so etwas wie eine idealisierte Version von Großbritannien darstellt. Wichtig ist dies allerdings nicht, da der Ort sowieso keine große Rolle spielt. Gemeinsam haben sie nur die sprudelnde Fantasie des Schriftstellers, der uns unter anderem von Zeitreisenden Höhlenmenschen, diverse Invasionen, die wahre erste Mondlandung oder auch von einem Computer, der eine Sinnkrise durchläuft, berichtet. Daneben dürfen wir auch dem Kampf der Wettergötter beiwohnen und erfahren endlich, wo Witze wirklich entstehen.
Keine posthume Veröffentlichung
Bei posthumen Veröffentlichungen eines Schriftstellers ist immer ein gewisses Maß an Vorsicht geboten. Groß ist die Gefahr, dass möglichst viel Kapital geschlagen werden soll aus Geschichten, die womöglich sogar gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.
Vorliegend besteht diese Gefahr nicht, da es sich zwar um deutsche Erstveröffentlichungen handelt, diese allerdings schon in jungen Jahren von Pratchett publiziert wurden. Im englischsprachigen Raum existiert sogar eine vierbändige Reihe mit diesen Geschichten, Der zerstreute Zeitreisende entspricht dabei dem vierten und letzten Band dieser Reihe (The Time-travelling Cavemen).
Das Alter lässt sich nicht verleugnen
Dass Pratchett mit siebzehn Jahren noch nicht das Niveau seiner späteren Klassiker erreicht, sollte sich wohl von selbst verstehen. Ich möchte damit natürlich nicht sagen, dass Geschichten eines siebzehnjährigen Schriftstellers zwangsläufig schlecht sind, aber in den meisten Fällen schadet etwas Erfahrung nicht.
Von der Originalität seiner Scheibenwelt Romane ist Pratchett zu diesem Zeitpunkt noch ein gutes Stück entfernt. Die Ansätze sind zwar durchaus vorhanden, so entwirft Pratchett immer wieder interessante Szenarien, die dann allerdings ein Stück weit im Sande verlaufen. So haben wir es im Grunde genommen mit etwas ausgereifteren Skizzen zu tun, die jeweils nur kurze Momente aufgreifen und den (erwachsenen) Leser ein Stück weit unbefriedigt zurücklassen.
Der Humor ist dennoch vorhanden
Sein Humor war allerdings bereits in jungen Jahren schon ausgeprägt und wir erkennen hier bereits viele Elemente wieder, die seine späteren Werke kennzeichnen. So bediente er sich damals schon zahlreicher Fußnoten und die Geschichten sind von einem leichten positiv-zynischen (wirklich!) Unterton durchzogen, der natürlich noch nicht die Tiefe und Ausmaße seiner reiferen Werke erreicht. Über seine Figuren lässt sich ähnliches sagen. Auch wenn Kurzgeschichten dieses Umfangs natürlich nicht den Raum bieten, um die Charaktere vollständig entfalten zu können, so spüren wir bereits hier die Leichtfüßigkeit und Schrulligkeit, die seine Figuren auch sonst auszeichnet.
Ich war dennoch positiv überrascht, wie gut diese Geschichten trotz seiner jungen Jahre sind. Um Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Ein ähnlich alter Christopher Paolini hat mit Eragon in meinen Augen ein in allen Aspekten schwächeres Werk geschrieben, als Pratchett in den hier vorliegenden Erzählungen.
Nicht vergessen darf man, dass sich die Geschichten vor allem an Kinder gerichtet haben und aus dieser Perspektive fallen wahrscheinlich einige Aspekte nicht so sehr ins Gewicht, wie es bei mir der Fall war. Auch wenn man keinen feinsinnigen Humor erwarten darf, überraschen seine Geschichten mit netten Ideen und bringen durchaus auch den erwachsenen Leser zum Schmunzeln.
Was bleibt?
Die ganze Buchgestaltung, die an ein Kinderbuch erinnert, deutet schon an, an wen sich das Buch richtet: die jüngere Leserschaft und mit Abstrichen auch eingefleischte Pratchett-Fans. Für einen Erwachsenen stellen diese Bücher keinen angemessenen Einstieg in Pratchetts Welt dar, da würde ich zu einem beliebigen Scheibenwelt Roman greifen. Jüngere Leser können hingegen mit diesem Band behutsam an die Werke dieses großartigen Schriftstellers herangeführt werden. Als eingefleischter Pratchett Fan kann man mit diesem Band ohne Zweifel auf seine Kosten kommen, man muss sich nur die Ursprünge dieser Geschichten bewusst machen.
Liebevolles Innenleben, gewöhnliches Äußeres
Äußerlich handelt es sich um ein schlichtes und handwerklich solide verarbeitetes Hardcover aus dem Hause Piper. Wir haben es mit einem einfachen Pappeinband mitsamt Klebebindung zu tun, was für den Preis absolut angemessen ist. Vermisst habe ich ein Leseband, welches für mich immer zu einem Hardcover dazu gehört. Den Erzählungen ist ein kurzes und wenig aussagekräftiges Vorwort vorangestellt, dessen Urheber nicht einmal namentlich erwähnt wird – schade, hier hätte man angesichts Pratchetts Status in der Literatur mehr machen können. In Sachen Übersetzung können deutsche Pratchett Fans aufatmen – die Übersetzung stammt von seinem Stammübersetzer Andreas Brandhorst.
Das eigentliche Highlight stellen für mich die Illustrationen von Mark Beech und ihre Einbettung in den Text dar. Ja, die Schriftgröße ist echt großzügig gewählt und oft haben wir es mit mehr Bildern als Text zu tun. Und Mark Beechs comichafter Stil ist sicherlich nichts für jeden – mit den Illustrationen eines Paul Kidby lassen sie sich jedenfalls nicht vergleichen. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass es sich in erster Linie um Kindergeschichten handelt und in dem Kontext sind beide Aspekte absolut angemessen umgesetzt worden.
Bibliographie
Pro/Contra
Pro
- liebevolle Buchgestaltung
- Perfekt für junge Leser geeignet
- Pratchetts Talent ist schon in jungen Jahren sichtbar
Contra
- es handelt sich um Pratchetts Frühwerk, die Genialität seiner Scheibenwelt Romane hat er hier noch nicht erreicht
Fazit
Der zerstreute Zeitreisende stellt eine unterhaltsame Sammlung von Kurzgeschichten dar, die Pratchetts Talent erahnen lässt, allerdings nicht das Niveau seiner späteren Werke erreicht. Für Pratchett-Fans und Kinder dennoch empfehlenswert!
autor: Terry Pratchett
Titel: Der zerstreute Zeitreisende
Seiten: 325
Erscheinungsdatum: 1965
Verlag: Piper Verlag
ISBN: 9783492706258
übersetzer: Andreas Brandhorst
illustrator: Mark Beech
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt
Schönen guten Morgen!
Vielen Dank für diese ausführliche Rezension! Da ich ein großer Pratchett Fan bin hab ich das Buch natürlich sofort auf meine Merkliste gesetzt und jetzt durch deine Beschreibung hab ich einen guten Eindruck gewonnen. Ich bin sehr gespannt und freu mich drauf 🙂
Liebste Grüße, Aleshanee
Guten Abend Aleshanee,
Um ehrlich zu sein habe ich damit gerechnet, bei dir als Erstes eine Rezension zu diesem Buch zu sehen – dein Blog verrät dich schließlich schon als großen Pratchett-Fan 😀
Aber vielen Dank für das Lob, es freut mich, wenn ich dir bei deiner Entscheidung helfen konnte. Wie gesagt, an die Scheibenwelt Romane kommen diese Geschichten nicht ran, aber das spricht dann wohl er für die Romane als gegen diese Sammlung 😅
Das Buch ist mir natürlich schon aufgefallen – aber ich hatte es mir tatsächlich bisher noch gar nicht näher angeschaut.
Wenn ein Autor verstorben ist, wird ja oft gerne „irgendwas“ veröffentlicht – und oftmals steht nur der Name drauf, während der Inhalt von ganz wem anders ist… weißt du was ich meine?
Deshalb bin ich da immer etwas zurückhaltend und ich bin einfach noch nicht dazu gekommen, mir das Buch näher anzuschauen, um was es da geht 🙂
Ich verstehe dich da, meist werden ja noch Texte aus der Schublade veröffentlicht und die sind ja in der Regel nicht ohne Grund vom Autor unter Verschluss gehalten worden.
Wenn Pratchett die Texte nicht schon in frühen Jahren veröffentlicht hätte, dann wäre ich da auch deutlich zurückhaltender herangegangen 🤔
Ja, genau so meinte ich es 🙂
Ich hab deine Rezension übrigens heute auch gerne in meiner Stöberrunde verlinkt!
Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag!
Aleshanee