Der Master von Ballantrae
von Robert Louis Stevenson
11.02.2022
- Klassiker
Robert Louis Stevenson dürfte den meisten Lesern in erster Linie als Autor der Schatzinsel und des Der Seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde bekannt sein. Der Master von Ballantrae erfreut sich zwar nicht derselben Bekanntheit, steht seinen großen Romanen aber um nichts nach.
Der Kampf zweier ungleicher Brüder
Als Charles Edward Stuart im Jahre 1745 in Schottland landet, um einen Krieg gegen England vorzubereiten, steht der alte Lord Durrisdeer vor der schwierigen Entscheidung, welcher Seite er sich anschließen soll. Notgedrungen entschließt er sich dazu, einen Sohn in den Krieg zu schicken und den anderen bei sich zu halten. Das Los soll entscheiden und fällt auf seinen älteren Sohn und Erben James Durie, während der jüngere Henry Durie zurückbleiben und den Besitz verwalten soll.
Nachdem Schloss Durrisdeer schon nach kurzer Zeit die Nachricht von James Tod erreicht, wird Henry mit dessen Verlobter verheiratet und als das Erbe des Hauses eingesetzt. Doch Jahre später kehrt James überraschend zurück und will Rache nehmen für den Verlust von Frau, Titel und Erbe. Es beginnt ein jahrelanger Kampf zwischen den ungleichen Brüdern, der beiden alles abverlangt…
Ein unzuverlässiger Erzähler
Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass es sich bei dem Master von Ballantrae um keinen klassischen Abenteuerroman handelt. Stevenson erzählt die Geschichte nämlich nicht aus der Perspektive der beiden Hauptpersonen, sondern aus der Perspektive des unscheinbaren Mackellar, dem Gutsverwalters der Duries. Es mag ungewöhnlich erscheinen, dass der Leser die beiden Hauptfiguren und die entscheidenden Konflikte aus der Perspektive anderer Figuren erlebt, und auf den ersten Seiten dieses Romans stellt dies durchaus ein Eingewöhnungshindernis dar.
Der Erzähler Mackellar denkt nämlich gar nicht erst daran, die Geschichte in all ihren Aspekten auszuleuchten. Vielmehr schildert er den Konflikt aus seiner Perspektive und schreckt nicht davor zurück, zu jeder Zeit parteiisch zu sein und gerne auch mal in der Handlung vorzugreifen. Der Erzähler Mackellar wirkt quasi als Filter und lässt einige Eindrücke an den Leser zu, während er andere Aspekte gerne mal unterschlägt.
Nun kann sich Mackellar nicht teilen und konnte insbesondere den Werdegang des älteren Bruders nur teilweise miterleben. Diese Lücken werden durch Berichte und Briefe von anderen Figuren gedenkt, die allerdings ebenfalls eine sehr subjektive Perspektive haben und nicht einmal ansatzweise alle Geschehnisse vollständig wiedergeben – nicht zuletzt auch, weil Mackellar auch dort seinen Einfluss geltend macht. Doch wenn man die ersten Seiten überwunden hat, gewöhnt man sich an diese Erzählperspektive – doch dazu später mehr.
Eine klassische Tragödie
Die Ausgangslage des Romans bietet alles, was eine klassische Tragödie ausmacht. Ein Bruder zieht in den Krieg, der andere muss zuhause bleiben. Als der Ältere vermeintlich stirbt, erbt der jüngere Frau und Titel. Doch dann kehrt der verschollene Bruder zurück und will Rache nehmen für seine Verluste.
Während in den meisten Fällen die Sympathien wohl bei dem älteren Bruder liegen würden, ist es hier genau umgekehrt. Henry ist ein schweigsamer junger Mann, dem sein Leben lang Anerkennung verweigert wird und stattdessen Unmengen an Leid ertragen muss. Weder Frau, noch Vater, noch Untertanen stehen auf seiner Seite. Wohl auch, weil er kein charismatischer Typ ist und seine Zeit lieber damit verbringt, die desaströse finanzielle Lage der Familie wieder aufzubessern, als die Herzen der Menschen zu gewinnen. Der Leser kann gar nicht anders, als zu diesem missverstandenen jungen Mann zu halten, der sein Leben lang gegen Windmühlen kämpfen muss.
So ist es auch kein Wunder, dass die Sympathien Mackellars zunächst auf seiner Seite liegen. Die biedere Beamtenseele und der introvertierte Erbe sind vom gleichen Schlag und so tut Mackellar sein Bestes, um ihn zu unterstützen, ob als Erzähler, oder auch als treuer Diener.
Ganz anders ist der ältere Bruder, der eine sehr ambivalente Persönlichkeit hat. Er ist ein höchst manipulativer Menschenfänger, der mit seinem Charisma die meisten Menschen auf seine Seite ziehen kann und durchaus auch einige einnehmende Eigenschaften besitzt: so scheint er nicht auf den Kopf gefallen zu sein und beweist bei seinen vielen Abenteuern Mut und Entschlossenheit. Wäre da nicht seine egozentrische Gesinnung und sein nicht enden wollender Geltungsdrang, dann könnte er fast schon sympathisch wirken. Wüsste man es nicht besser, dann könnte man auch beinahe seine Rachegedanken nachvollziehen. Schließlich war er es, der in den Krieg gezogen ist und als Dank sowohl Land als auch Frau verloren hat.
Kein gewöhnlicher Abenteuerroman
Auch wenn Robert Louis Stevenson seine Figuren in zahlreiche unterschiedliche Szenarien wirft – es gibt mehrere Episoden auf See, in Indien, New York und Schottland – so ergibt sich die Spannung nicht aus interessanten Abenteuern in eben diesen Schauplätzen, sondern aus dem Gesamtverlauf und damit auch aus dem jahrzehntelangen psychologischen Konflikt, der an beiden Brüdern nicht spurlos vorbeigeht und von beiden einen hohen Preis fordert. Auch Mackellar kann sich diesem Konflikt nicht entziehen und wird unweigerlich in den Kampf beider Brüder hineingezogen. Während er noch zu Beginn der Handlung James als eine Art Teufel ansieht, so erliegt auch er im Verlauf der Handlung zumindest teilweise seinem Einfluss.
Hier zeigt sich auch die Stärke dieser Erzählweise. Als Leser hat man nach wenigen Seiten verstanden, dass man sich auf den Erzähler nicht verlassen kann. Auf keiner Seite kann man sich sicher sein, dass sich die Geschehnisse wirklich genauso so zugetragen haben. Zweifel sind an jeder Stelle berechtigt und so muss man sich als Leser aktiv in die Figuren einfühlen und eine eigene Meinung bilden. Der Konflikt der Brüder wird uns nicht auf dem Präsentierteller serviert, vieles bleibt letzten Endes der eigenen Wertung überlassen.
Auch wenn es sich nicht um einen typischen Abenteuerroman handelt, weiß Der Master von Ballantrae nach einem holprigen Einstieg zu begeistern und unterhält den Leser für viele Stunden. Dabei hat der geneigte Leser die Wahl – vertraut er Mackellar und erlebt einen unterhaltsamen Abenteuerroman oder beschäftigt er sich aktiv mit den Figuren und ihren Motiven – beides scheint seine Berechtigung zu haben.
Die Übersetzerin Melanie Walz verzichtet glücklicherweise auf eine allzu moderne Sprache und bedient sich einer etwas in die Jahre gekommene Ausdrucksweise, die ausgesprochen gut zur Geschichte und ihrem Erzähler passt, aber niemals altbacken wirkt.
Ein wunderschöner Mare-Klassiker
Wie jedem Klassiker hat der Mare Verlag auch diesem Band eine Ausstattung angedeihen lassen, die jeden Liebhaber der Buchkunst glücklich machen dürfte. Der Schuber begeistert sowohl durch seine Stabilität, als auch durch sein minimalistisches und hochwertiges Design. Das Buch selbst ist in dunkelgrünen Leinen gebunden, die durch weiße und rote Prägungen verziert werden. Neben der Fadenheftung finden wir natürlich auch ein Leseband und auch wenn das Vorsatz bzw. Nachsatzpapier diesmal nur in einem schlichten rot gehalten ist, so passt dies immerhin farblich zur restlichen Buchgestaltung. Das Papier ist wieder recht dick und stabil und verzeiht dem Leser auch den einen oder anderen rohen Handgriff.
Auch der Anhang weiß zu überzeugen, so finden wir hier mehrere Vorworte, die Stevenson selbst anlässlich einer bevorstehenden Gesamtausgabe verfasst hat. Diese bieten aus erster Hand interessante Einblicke in seinen Schreibprozess und sind darüber hinaus noch überaus unterhaltsam. Darüber hinaus finden wir noch einen umfangreichen Abschnitt mit Anmerkungen, die ich immer wieder gerne lese, die aber bis auf wenige Ausnahmen zum Verständnis des Buches nicht unbedingt notwendig sind.
Das Nachwort der Übersetzerin Melanie Walz ist leider nur bedingt gelungen. Sie liefert zwar durchaus interessante Informationen und versucht spürbar, das Nachwort auch für Leser ohne Germanistik Studium lesbar zu machen. Doch ihre Bemühungen führen zu einem Ergebnis, dass weder das eine, noch das andere Extrem der Leserschaft wirklich zufriedenstellen kann.
Pro/Contra
Pro
- interessante Erzählperspektive
- unterhaltsame Hauptfiguren
- wunderschöne Buchgestaltung
Contra
- holpriger Einstieg
Fazit
Der Master von Ballantrae ist ein unterhaltsamer Abenteuerroman, der den Leser nach einem schwierigen Einstieg in seinen Bann ziehen kann. Zu Beginn ist allerdings etwas Geduld erforderlich.
autor: Robert Louis Stevenson
Titel: Der Master von Ballantrae
Seiten: 352
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Mare Verlag
ISBN: 9783866481206
übersetzerin: Melanie Walz
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