Der Hof der Rache
von Nick Martell
23.05.2023
- Fantasy
Mit Der Hof der Rache liegt der zweite Band der Söldnerkönig-Trilogie von Nick Martell vor. Wie schlägt sich der Autor nach seinem vielversprechenden Auftaktband?
Kessel droht zu zerbrechen
Nachdem Mikael Königsmann im letzten Moment dem Tod entronnen ist, muss er sich nun den Konsequenzen seines Handelns stellen: Zwar hat die Mitgliedschaft in der Söldnerkompanie Orbis ihn vor dem Zugriff der königlichen Truppen gesichert, doch gleichzeitig droht ihm damit auch der Verlust seiner Stellung innerhalb der Familie Königsmann.
Unterdessen streiten sich der Verdorbene Prinz und Prinzessin Serena um die Thronfolge – eine willkommene Ablenkung für die Rebellenkaiserin, die weiterhin aus dem Untergrund daran arbeitet, die Monarchie zu Fall zu bringen.
Zu allem Überfluss scheint noch der brutale Serienmörder Herzensbrecher zurückgekehrt zu sein. Mikael und die Orbis-Kompanie nehmen Ermittlungen auf, doch es scheint so, als ob der Mörder Mikael zum Mittelpunkt seiner grausamen Spiele gemacht hat…
Vielversprechender Auftaktband – und nun?
Der erste Band der Söldnerkönig-Trilogie, Das Königreich der Lügen, hat mich zwiegespalten zurückgelassen. Während die erste Hälfte mit blassen Hauptfiguren und einem holprigen Start zu kämpfen hatte, steuerte der Autor in der zweiten Hälfte deutlich nach und versprach somit eine gelungenere Fortsetzung.
Unglücklicherweise stellt Der Hof der Rache den Mittelband einer Trilogie dar, traditionell der schwächste Band eines solchen Konstrukts. Die großen Enthüllungen und Wendungen sind dem letzten Band vorbehalten, doch ohne diese droht der zweite Band zum bloßen „Übergangsband“ zu verkommen. Dieses Problem ist natürlich auch unter Schriftstellern bekannt – doch welchen Weg wählt Martell, um dieses Problem zu umschiffen?
Altbekannte Strukturen
Martells Lösung ist ebenso einfach wie effektiv: Er stellt ein völlig neues Problem in den Mittelpunkt und kommt so gar nicht erst in die Verlegenheit, das große Finale vorwegnehmen zu müssen.
Trotz aller Andeutungen im ersten Band verharren wir immer noch in der Stadt Kessel und an unserer grundlegenden Situation hat sich nicht wirklich viel verändert: Die Stadt selbst ist immer noch Schauplatz unzähliger offener und versteckter Machtkämpfe verschiedener Gruppierungen und versinkt in immer wieder aufbrodelnden Klassenkämpfen.
Und auch unser Protagonist Mikael Königsmann sieht sich – wenn auch nun aus anderen Gründen – zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt und muss wahlweise um sein Überleben und um die Wiederherstellung der Ehre seiner Familie kämpfen.
Doch anstatt an die offenen Handlungsstränge des ersten Bandes anzuknüpfen, stellt Nick Martell hier eine Art Kriminalgeschichte in den Mittelpunkt: ein stadtbekannter Serienmörder (von dem wir vorher natürlich nie etwas gehört haben) ist nach einer längeren Pause zurückgekehrt und setzt sein grausames Werk fort. Die Orbis-Kompanie und damit auch Mikael erhalten den Auftrag, ihn noch vor der Krönung des neuen Königs/der neuen Königin aufzuhalten. Kurzerhand gehen sie in bester Detektivmanier jeder noch so kleinen Spur nach und versuchen die Identität des Mörders zu enthüllen.
Dabei werden bereits auf dieser Ebene zwei Aspekte deutlich, die den Roman prägen sollen: Zum einen die beständige Wiederholung und das unermüdliche Festhalten an bestimmten Strukturen und zum anderen eine gewisse Planlosigkeit bei der Konzeption.
Zum ersten Punkt habe ich bereits oben genug ausgeführt: Im Grunde hält Martell am Konzept des ersten Romans und den wichtigsten Strukturen fest und tauscht lediglich einige wenige Akteure aus – anstatt hinter das Geheimnis des Königsmordes zu gelangen, müssen wir nun eben einen gewöhnlichen Mörder jagen – aber sonst ähneln sich beide Bände im Aufbau sogar bis hin zur Verteilung des Erzähltempos.
Das Konzept fehlt
Erschwerend hinzu kommt die von mir unterstellte Planlosigkeit des Autors. Mit Planlosigkeit meine ich, dass Martell mit seiner Reihe kein übergreifendes Konzept verfolgt und weder auf eine ausgefeilte Hintergrundwelt, noch auf einen wirklichen roten Faden zurückgreifen kann. Meine These ist, dass Martell seine Welt Stück für Stück beim Schreiben entwickelt und dabei einfach ein neues Element an das andere anhaftet.
Ist das überhaupt ein Problem? Immerhin wäre es wohl wahrlich zu viel verlangt, wenn wir von jedem Autor die Akribie und Planungssicherheit eines J. R. R. Tolkien oder eines Steven Erikson verlangen würden. Und bei genauerer Betrachtung sind Martells Romane sicherlich auch nicht besser oder schlechter durchdacht als vergleichbare Werke.
Allerdings bin ich ein wenig enttäuscht ob des ungenutzten Potentials: Der Autor hat jede Menge faszinierender und interessanter Ideen, die frischen Wind ins Genre bringen. Egal ob es sich um das recht innovative Magiesystem oder die Hintergrundwelt handelt – immer wieder lässt Martell durch kleine Kniffe altbekanntes im neuen Licht erscheinen.
Diese Erfahrung wird jedoch durch weitere angehängte Ideen (die für sich genommen wieder sehr spannend sind) verwässert, die oftmals im Widerspruch zu bisherigen Elementen stehen und sich im besten Fall nicht reibungslos in das Gesamtkonstrukt fügen.
Viel Bewegung an der Oberfläche
Ähnliches lässt sich leider auch über die Charaktere berichten. Unser Hauptprotagonist und Ich-Erzähler Mikael steht natürlich im Mittelpunkt der Handlung und zumindest in dieser Hinsicht lässt sich positives berichten: Glücklicherweise hat er seine Entwicklung aus dem ersten Teil fortgesetzt und erinnert nur noch selten an den quengligen Jugendlichen aus dem ersten Teil – auch wenn er immer noch gerne überhastete Entscheidungen trifft.
Dafür fehlt in seinem Handlungsstrang der große und überspannende Konflikt. Während im ersten Teil noch der Vater-Sohn Konflikt weite Teile seiner Entwicklung bestimmte, lässt sich im zweiten Band kein vergleichbares Leitmotiv finden. Martell versucht zwar, einen Konflikt zwischen seiner neuen Rolle als Söldner und Repräsentant eines Adelsgeschlechts aufzubauen. Da daraus allerdings keine spürbaren Konsequenzen für ihn erwachsen, lässt dieser vermeintliche Konflikt den Leser weitestgehend kalt.
Ernüchternd war für mich auch die Erfahrung, dass ehemals wichtige Figuren wie Carl Domet, immerhin die einflussreichste Persönlichkeit der Stadt Kessel, oder der Verdorbene Prinz so gut wie keine Rolle mehr spielen und mit wenigen Sätzen abgespeist werden.
Stattdessen begegnen wir zahlreichen neuen Figuren, die zwar unser Interesse wecken, sich aber ebenfalls mit wenigen Seiten begnügen müssen. Oftmals hatte ich das Gefühl, dass Martell auf diesem Wege das Finale vorbereiten wollte, sodass eine abschließende Beurteilung erst mit dem dritten Band erfolgen kann.
Sehr bedauerlich ist auch, dass der äußerst vielversprechende Handlungsstrang mit Trey quasi im Keim erstickt wurde. Wurde er im ersten Teil noch als interessanter Gegenspieler aufgebaut, so ist mit den Geschehnissen des zweiten Bandes jegliche Spannung verloren gegangen.
Insgesamt erinnern die Interaktionen zwischen den Figuren an eine bessere Soap. Immer wieder tauchen überraschend neue Figuren, aus dem Nichts heraus erhalten die Figuren Informationen, die ihre Beziehungen untereinander auf den Kopf stellen und die daraus resultierenden Konflikte verlaufen letztlich ergebnislos im Nirvana.
Martell beherrscht sein Handwerk
Das ist besonders schade, weil Martell an sich ein guter Schriftsteller ist. Er versteht es, das Erzähltempo anzupassen, schafft es eine richtige Mischung aus actionreichen und ruhigen Szenen herzustellen und ihm gelingt es mühelos, den Leser in die Handlung zu ziehen.
In diesem Band variiert er auch ein Stück weit die Erzählperspektive und versucht mit einem neuen Erzähler ein Stück weit Abwechslung in die Handlung zu bringen.
Was bleibt?
Der Hof der Rache von Nick Martell lässt mich wieder einmal zwiegespalten zurück. Auf der einen Seite beherrscht der Autor sein Handwerk und überzeugt durch ein hohes Erzähltempo und einen unterhaltsamen Schreibstil. Dazu kommen jede Menge interessanter Ideen, die den Leser bei Laune halten.
Leider scheint er beim Schreiben aber kein Konzept zu verfolgen, sondern Seite an Seite zu reihen, sodass er niemals über eine oberflächliche Geschichte hinauskommt. Das Ergebnis ist ein unterhaltsames Buch, das man auch gerne liest – aber da wäre deutlich mehr Potential vorhanden gewesen.
Ich bin auf jeden Fall gespannt wie es mit dem Autor weitergeht – im Fantasy-Olymp ist Martell sicherlich noch nicht angekommen – aber ganz abwegig scheint diese Vorstellung nicht zu sein.
Schönes Paperback – Lektorat mit Schwächen
Wie es der Zufall so will stammt auch der zweite Band der Söldnerkönig-Trilogie aus dem Blanvalet Verlag. Zur äußeren Gestaltung könnte ich eins zu eins den Abschnitt aus der Rezension zum ersten Teil übernehmen: Die Materialien entsprechen genau dem, was man angesichts des Preises auch erwarten kann und das Cover macht neugierig.
Die Übersetzung stammt abermals von Urban Hofstetter und leidet am altbekannten Problem der unnötigen Eindeutschungen von Protagonisten-Namen. Daran kann und sollte man nun nichts mehr ändern – umso ärgerlicher ist es allerdings dann auch noch, wenn kleine Flüchtigkeitsfehler auf mangelnde Sorgfalt hinweisen – bei einem Verlag von diesem Format eigentlich ein Unding (so wird aus Schwartz regelmäßig Dark). Immerhin scheint man sich dessen im Verlag bewusst zu sein, der dritte und abschließende Band (Der Weg der Vergessenen) soll nun erst im Juli erscheinen, sodass man genug Zeit haben sollte, um solche Fehler künftig zu vermeiden.
Werke von Nick Martell
Pro/Contra
Pro
- hohes Erzähltempo
- erfrischendes Magiesystem
- hoher Unterhaltungswert
Contra
- Autor scheint keinen wirlichen Plan zu verfolgen
- Charakterkonflikte haben stellenweise Soap-Charakter
Fazit
Der Hof der Rache von Nick Martell kann durch solides Handwerk und viele interessante Ideen überzeugen, schafft es aber nie über eine oberflächliche Geschichte hinaus. Gute Unterhaltung für zwischendurch – mehr aber auch nicht.
autor: Nick Martell
Titel: Der Hof der Rache
Seiten: 784
Erscheinungsdatum: 2023
Verlag: Blanvalet Verlag
ISBN: 9783734162206
übersetzer: Urban Hofstetter
illustratorIn: –
Reihe: Die Söldnerkönig-Saga (2)
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt