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Meister Floh

von E.T.A. Hoffmann


22.04.2023

  • Klassiker

Meister Floh zählt zu E.T.A. Hoffmanns letzten und umstrittensten Werken. Bereits vor seinem Erscheinen wurde es Opfer von unbarmherzigen Zensurbemühungen und nur der Tod konnte den Autor vor der Justiz retten. Doch wie viel Kraft hat dieses Werk seit 1822 eingebüßt?

Wer ist Meister Floh?

Unsere sieben Kapitel umfassende Handlung spielt in der Handelsstadt Frankfurt am Main und führt uns zunächst zum Kaufmann Tyß. Dieser hatte sich im Laufe der Zeit einen gewissen Wohlstand erarbeitet und sah sich bereits als Stammvater eine Kaufmannsdynastie. Sein Sohn Peregrinus hingegen hing – sehr zu seinem Missfallen – anderen Plänen nach und frönte dem – vom Elternhaus finanzierten – Studentenleben.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ihn auf den richtigen Pfad zu führen, ergriff er schließlich die Gelegenheit zur Flucht und verschwand in ferne Länder. Erst viele Jahre später sollte er wiederkehren und sein Elternhaus verschieden vorfinden. Allein die treue Haushälterin Aline blieb als einzige Konstante in seinem Leben übrig. Peregrinus zog sich daraufhin in seiner großen Frankfurter Wohnung zurück und wechselte fortan vereinsamt zwischen manischen und depressiven Zuständen hin und her.

Das sollte sich ändern, als er eines Weihnachtsabends auf die wunderschöne Dörtje trifft. Unter einem Vorwand erlangt sie Zugang zu seinem Haus und verlangt von ihm einen gewissen Meister Floh heraus: ein Wunsch, dem Peregrinus nur allzu gern nachgekommen wäre – wenn er denn eine solche Person kennen würde.

Doch diese Begegnung soll nur der Auftakt für eine Reihe von skurrilen Ereignissen darstellen, in die unter anderem eine Flohrepublik, magische Flohbändiger und das Märchenland Famagusta involviert sind…

Bekannter Fantasy-Autor

E.T.A. Hoffmann gehört ohne Frage zu den bekanntesten deutschen Schriftstellern der Romantik, und – noch zutreffender – zu den ersten (bekannten) deutschen Fantasy/Phantastik-Autoren. Dabei erschien es zunächst unwahrscheinlich, dass aus ihm einmal ein Schriftsteller werden würde. In jungen Jahren folgte er den Ruf der Familie und studierte – durchaus erfolgreich – Rechtswissenschaften. Doch auch während dieser Ochsentour konnte er sich der aufkeimenden allgemeinen Begeisterung für die Romantik nicht verschließen und widmete sich schließlich – mit bescheidenem Erfolg – sogar selbst dem geschriebenen Wort.

Als die Franzosen 1806 in Warschau – dorthin wurde er einige Jahre zuvor versetzt – einmarschierten, zog er lieber ab, anstatt sich Napoleon anzuschließen und versuchte sich – abermals mit überschaubarem Erfolg – als Komponist durchzuschlagen. Es folgte einige Jahre später die unvermeidliche Rückkehr in den Staatsdienst.

Doch dort sollten schon bald weitere Probleme auf ihn warten. Wir befinden uns mittlerweile im Jahre 1816, also kurz Zeit nach dem Wiener Kongress und damit in einer Zeit, in der Metternich mehr als nur Sekt war.

Hat man erst den Verbrecher, dann findet sich das Verbrechen von selbst

Hoffmanns Arbeit – er sollte vermeintliche Feinde des Staates beurteilen – war führenden Kräften zunehmend ein Dorn im Auge. Das Problem: Hoffmann war zu weich und ließ oft genug vermeintliche Staatsfeinde davonkommen. In einer Zeit, in der der Tagebucheintrag „mordfaul“ eines jungen Studenten ein unwiderlegliches Zeichen für einen Mörder sein konnte, war das natürlich zu wenig.

Dieser Zeit widmete Hoffmann in seinem Meister Floh sogar zwei ganze Kapitel und verunglimpfte damit mehr oder weniger offen den Ministerialdirektor im Polizeiministerium, Karl Albert von Kamptz. Dieser ließ das Manuskript kurzerhand beschlagnahmen, die betreffenden Kapitel zensieren und dem Autor den Prozess machen. Dessen Ausgang erlebte Hoffmann jedoch nicht mehr, er verstarb einige Jahre später an den Folgen einer Atemlähmung. Die fehlenden Kapitel des Manuskripts sollten in diesem Jahrhundert nicht mehr erscheinen.

Diese auch als Knarrpanti-Szenen bekannten Episode sollten eine entscheidende Rolle für die spätere Bekanntheit dieses Romans spielen. Nicht nur, dass es sich um die mit Abstand stärksten Abschnitte der ganzen Erzählung handelt – besser kann man Machtgier und Bürokratieapparate nicht parodieren – eine bessere Publicity kann man sich für einen Roman nicht vorstellen.

(K)ein Fest für Freunde der deutschen Sprache

Handwerklich ist die Erzählung ein Kind seiner Zeit und geprägt durch schnörkelhafte und barocke Bandwurmsätze, die kein Ende zu finden scheinen. Für jeden Leser mit Freude an der deutschen Sprache ist dies sicherlich ein Fest, denn zweifellos kann man mit diesem Werk seinen Wortschatz gehörig erweitern.

Heutzutage wird so ein Stil ob seiner Seltenheit wohl ambivalente Gefühle hervorrufen: so selbstverständliche Dinge wie ein angepasstes Erzähltempo oder eine lebendige oder gar realistische Sprache wird man hier vergebens suchen, stattdessen steht die Sprache als Kunstform im Vordergrund. Das kann und darf man gut finden, muss man jedoch auch vorher berücksichtigen – darum empfehle ich jedem Leser eine kurze Stichprobe, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen.

Moderne Urban Fantasy

Im Grunde genommen handelt es sich bei dieser Erzählung um eine Urban Fantasy-Erzählung mit einem starken Märcheneinschlag und einem heute unüblichen Stil. Mehr als einmal verwischt Hoffmann die Grenzen zwischen Realität und Fantasie und lässt biederes Beamtentum auf Märchenfiguren treffen.

Seine besten Szenen hat dieser Roman dabei dann, wenn die Grenzen zwischen beiden Welten hauchdünn sind. So erhält Peregrinus von Meister Floh im Lauf der Handlung eine Apparatur, mit der er die Gedanken der Menschen hören kann. Dabei muss er feststellen, dass Gedanken und gesprochene Worte nicht zwangsläufig zusammenhängen – eine für ihn schwerwiegende, für uns Leser aber umso unterhaltsamere Erfahrung. Es ist auch kein Zufall, dass die besten Kapitel des Romans (die zensierten Abschnitte), damit zusammenfallen.

Das Problem: Besser als dort wird es nicht mehr. Hoffmann verliert sich in seiner Erzählung und fügt mit jedem neuen Kapitel Wendungen und Figuren hinzu, ohne das vorherige zu einem befriedigenden Ende zu führen. Wahllos eröffnet er Nebenschauplätze, die die Handlung überhaupt nicht voranbringen und so ist es kein Wunder, dass auch das Ende den Leser ein Stück weit unbefriedigt zurücklässt.

Hintergrund dessen ist, dass Hoffmann wohl beendete Kapitel direkt an seinen Verlag geschickt haben soll, ohne eine Kopie einzubehalten und damit die Handlung ohne Detailkenntnisse der vorherigen Abschnitte fortführen musste.

Was bleibt?

Meister Floh von E.T.A. Hoffmann lässt mich als Leser zwiegespalten zurück. Während die Struktur- und Planlosigkeit des Autors im Laufe des Romans immer stärker ins Auge fällt und der Stil ohne Frage polarisiert, kann der Roman auch durch einige Aspekte begeistern.

So gibt es zahlreiche unterhaltsame wie auch geistreiche Abschnitte, die diese kleinen Fehler mehr als nur ausbügeln, man denke nur an die Kritik am Justiz-Apparat seiner Zeit oder die Gedanken-Maschine von Meister Floh. Wer also Klassikern und einem blumigen Schreibstil etwas abgewinnen kann, könnte mit diesem Werk hervorragend unterhalten werden.

Schöner Klassiker

Die mir vorliegende Ausgabe stammt aus der Edition Faust, einem ambitionierten Kleinverlag, der bereits einige Klassiker veröffentlicht hat. Rein äußerlich erwartet uns ein einfacher Pappeinband, der ohne Schutzumschlag auskommen muss. Auch fehlt es an einem Leseband. Dafür dürfen wir uns über eine recht minimalistische Gestaltung freuen, auch wenn zumindest rein gefühlsmäßig ein Farbton zu viel verwendet wurde.

Während wir uns im Inneren mit einer Klebebindung begnügen müssen – angesichts des Preises verkraftbar – können wir uns immerhin über reißfestes und dickes Papier freuen. Für Begeisterung sorgen hingegen die Illustrationen von Alexander Pavlenko, der in den letzten Jahren unter anderen durch seine Graphic Novel-Version von Goethes Faust einen gewissen Grad an Bekanntheit erlangt hat. Grundlage seiner Illustrationen ist die im 19. Jahrhundert verbreitete Scherenschnitttechnik, die die Doppeldeutigkeit der Handlung recht gut wiedergibt.

Schade finde ich, dass der Umfang des Anhangs sehr kurz ausfällt, hier hätte ich mir angesichts Hoffmanns Status zumindest ein kurzes Nachwort gewünscht.

Pro/Contra

Pro
  • wunderschöne Sprache …
  • starke kritische Passagen
  • passende Illustrationen
Contra
  • … aber nicht mehr zeitgemäß
  • verworrene Handlung

Fazit


Meister Floh von E.T.A. Hoffmann polarisiert damals wie heute – heutzutage jedoch stärker auf einer sprachlichen, als auf einer inhaltlichen Ebene. Für Freunde einer gewählten Ausdrucksweise und einer klugen Geschichte sicherlich eine gute Wahl!

autor: E.T.A. Hoffmann

Titel: Meister Floh

Seiten: 224

Erscheinungsdatum:

Verlag: Edition Faust

ISBN: 9783949774157

übersetzerIn: –

illustrator: Alexander Pavlenko

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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