Memoiren eines Irren
von Gustave Flaubert
10.12.2021
- Klassiker
Mit den Memoiren eines Irren veröffentlicht der Hanser Verlag bereits das vierte Werk des großartigen Gustave Flaubert und gewährt uns dabei Einblicke in dessen Frühwerk.
Der Sommer und die Jugend
Ein fünfzehnjähriger Junge verbringt seinen Urlaub im französischen Seebad Trouville und verliebt sich dort in eine Frau, die dort mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter ihren Urlaub verbringt. Wie der werte Leser sich denken kann, bleiben seine leidenschaftlichen Gefühle für sie unerwidert und er soll ihr nie wieder begegnen. Doch die Erinnerungen an diese Frau lassen ihn nicht los und sollen sein zukünftiges Leben bestimmen …
Ein Frühwerk – vom Autor unter Verschluss gehalten
Vor dem Kauf der Memoiren eines Irren wusste ich zwar, dass es sich dabei um ein Frühwerk von Gustave Flaubert handelt, ich war mir aber nicht darüber im Klaren, dass es sich hierbei nur um eine seiner ersten Fingerübungen als Autor handelt und diese von ihm aus gutem Grund unter Verschluss gehalten wurde.
Bei dieser Erzählung wird deutlich, dass der Malocher Flaubert kein literarisches Wunderkind war, sondern dass es Tausende Seiten bedurfte, bis er Meisterwerke wie Lehrjahre der Männlichkeit oder Madame Bovary hervorbringen konnte.
Denkbar mangelhafte literarische Qualität
Untypisch für Flaubert erzählt er die Geschichte aus der Ich-Perspektive und schildert mit allen damit einhergehenden Unannehmlichkeiten das Innenleben eines Jugendlichen, der von Liebeskummer und Weltenschmerz überwältigt ist. Noch ist wenig zu sehen von Flauberts späterem Sprachgefühl und seiner beinahe schon unheimlichen Präzision, stattdessen probiert sich der junge Flaubert noch aus. So muss der Leser elend lange, stilistisch unausgereifte Sätze und belanglosen Pathos über sich ergehen lassen.
Im Grunde ist jedes Wort über diese Novelle – um einen Roman handelt es sich bei 90 überaus großzügig gesetzten Seiten zweifellos nicht – zu viel. Flaubert verarbeitet hier seinen eigenen Liebeskummer, einige Jahre vor dem Schreiben dieses Textes erlebte er eine ähnliche Situation. Mit viel Wohlwollen lässt sich diese frühe Erzählung bereits als Keimzelle für Flauberts späteres Werk interpretieren, die Motive des Ehebruchs und der unglücklichen Liebe finden wir in späteren Werken Flauberts schließlich prominent vertreten.
Fragwürdige Veröffentlichung
Die Nähe der Motive zu seinen späteren Werken war wohl auch der Hauptgrund, warum sich der Hanser Verlag zu einer Veröffentlichung entschlossen hat, doch in Anbetracht der mangelhaften literarischen Qualität der Erzählung halte ich dieses Vorgehen zumindest aus Lesersicht für fragwürdig.
Ein Flaubert Anhänger wird der Erzählung durchaus etwas abgewinnen können, doch jemand, der kein anderes Werk von ihm gelesen hat, könnte leicht in die Irre geführt werden und sich womöglich enttäuscht von Flaubert abwenden. Ich hätte mir eine deutlichere Kennzeichnung gewünscht, gerne auch in Kombination mit seinen anderen beiden Frühwerken Novembre und der ersten Fassung der Education sentimentale. Dann wären die Verhältnisse von Anfang an geklärt gewesen, aber vermutlich hatte man Angst, dass die Bezeichnung Frühwerke zu viele Käufer verschreckt hätte.
Großartige Ausstattung …
Bei aller Kritik am Vorgehen des Hanser Verlag bleibt die Ausstattung des Bandes über alle Zweifel erhaben und reiht sich nahtlos in die Reihe der aufwendig produzierten Klassiker Bände ein. Ob Leineneinband, Fadenheftung oder ein geprägtes Titelschild – der schmale Band lässt das Herz jedes bibliophilen Lesers höherschlagen.
Obwohl die eigentliche Erzählung eine Enttäuschung darstellt, so ist der Band kein Fehlkauf. Das liegt in erster Linie an dem umfangreichen und vorbildlichen Anhang, der die unterirdische literarische Fingerübung vergessen macht und so manchen Leckerbissen für Flaubert Liebhaber aufzuweisen hat.
… die vieles wieder wettmacht
So sind zahlreiche Briefe Flauberts aus den Jahren 1830 bis 1852 enthalten, die zumindest einen gewissen Unterhaltungswert besitzen und Einblicke in die Selbstdarstellung des jungen Flaubert bieten. Darüber hinaus glänzt der Band mit zahlreichen Anmerkungen der Übersetzerin Elisabeth Edl, deren Namen man im deutschsprachigen Raum wohl synonym mit Gustave Flaubert verwenden muss und die es wieder einmal schafft, so etwas Langweiliges wie Anmerkungen unterhaltsam zu gestalten.
Insbesondere das umfangreiche Nachwort von Wolfgang Metz, dass sich im Schwerpunkt mit Flauberts Frühwerk beschäftigt, aber auch einen Blick auf seine späteren Werke wagt, kann überzeugen.
Werke von Gustave Flaubert
Pro/Contra
Pro
- der umfangreiche Anhang gleicht die schwache Geschichte in weiten Teilen wieder aus
Contra
- eine Geschichte aus dem Frühwerk von Flaubert: sprachlich und inhaltlich unausgereift
Fazit
Die Memoiren eines Irren sind nicht viel mehr als eine Fingerübung eines großartigen Schriftstellers, die er nicht umsonst zu Lebzeiten unter Verschluss hielt. Anhänger Flauberts werden durch den vorbildlichen Anhang mehr als nur entschädigt, alle anderen sollten mit Madame Bovary und Lehrjahre der Männlichkeit beginnen.
autor: Gustave Flaubert
Titel: Memoiren eines Irren
Seiten: 240
Erscheinungsdatum: 1838 (Nachlass)
Verlag: Hanser Verlag
ISBN: 9783446268456
übersetzerin: Elisabeth Edl
illustratorIn: –
Reihe: Hanser Klassiker