Eine deutsche Ausgabe von Fjodor Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" liegt auf einer Holzfläche.

Die Brüder Karamasow

von Fjodor M. Dostojewski


04.12.2025

  • Klassiker

Die Brüder Karamasow stellt den letzten Roman dar, den der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski noch kurz vor seinem Tod veröffentlichte.

Väter und Söhne

Fjodor Pawlowitsch Karamasow hat es als Gutsbesitzer im Laufe seines Lebens zu einem beachtlichen Vermögen gebracht. In der Gesellschaft fällt er aber vornehmlich durch seinen Geiz und sein ungehobeltes Verhalten auf. Seine zwei Ehefrauen trieb er in den Tod, seine drei Kinder vernachlässigte er und ließ sie von anderen aufziehen.

Als seine nunmehr erwachsenen Kinder nach Hause zurückkehren, häufen sich die Konflikte und drohen, die Familie in den Abgrund zu ziehen. Dann wird der alte Karamasow ermordet. Der Verdacht fällt auf den ältesten Bruder …

Der letzte Elefant

Der zwischen 1879 und 1880 als Fortsetzungsgeschichte veröffentlichte Roman Die Brüder Karamasow vervollständigte die Hauptwerke Fjodor M. Dostojewskis. Diese erhielten viele Jahre später im deutschsprachigen Raum mit den „fünf Elefanten“ eine griffige Bezeichnung.

Bereits der Entstehungsprozess des Romans stand unter keinem guten Stern und wurde von mehreren tragischen Ereignissen überschattet. Der Gesundheitszustand unseres Autors verschlechterte sich ohnehin schon seit vielen Jahren immer weiter. Nur wenige Monate nach der Vollendung seines Romans starb er an Lungenblutungen. Wenige Jahre zuvor – 1878 – starb überraschend sein dreijähriger Sohn Aljoscha. Dieses tragische Ereignis stürzte Dostojewski in eine tiefe Existenzkrise. Seine Versuche der Trauerverarbeitung flossen an mehreren Stellen in den Roman ein.

„Die Brüder Karamasow“ zählt nach Verbrechen und Strafe zu seinen bekanntesten Werken. Und unter nicht wenigen Lesern zu seinen besten. Doch was macht die Lektüre auch heute noch so lohnenswert?

Polarisierender Schriftsteller

Wie so oft fällt es mir schwer, eine Rezension zu einem Werk Dostojewskis zu verfassen, die dem Roman auch nur annähernd gerecht wird. Und gleichzeitig einen erträglichen Umfang aufweist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Dostojewski seinen Lesern viel abverlangt und viele zentrale Elemente seiner Kunst polarisieren. Man kann ihn wegen seines ausschweifenden Stils, seiner zahlreichen Abzweigungen und seiner lebendigen Figuren lieben. Ihn aber genauso nachvollziehbar wegen fehlender klarer Linien und zahlloser Ungereimtheiten und Widersprüche verschmähen.

Was diesen Roman aus meiner Sicht auszeichnet, ist die unglaubliche Lust am Erzählen, die in jedem einzelnen Satz mitschwingt. Eigentlich bevorzuge ich ja minimalistischere Erzählansätze und sehe Autoren mit einem blumigen Stil in der Bringschuld. Aber Dostojewski hat – nicht nur, aber insbesondere – hier einen verdammt guten Roman abgeliefert. Wenn jemand so ersichtlich Spaß am Erzählen hat und an den entscheidenden Stellen so gute Arbeit abliefert, dann bin ich gerne bereit, mich aus meiner Komfortzone zu bewegen.

Nicht ohne Fehler

Natürlich könnte man hier einiges kritisieren: Die Perspektivwechsel sind oft unsauber ausgestaltet. Figuren werden mit Hintergrundgeschichte und allem, was dazugehört, eingeführt. Nur um dann ohne Erklärung wieder zu verschwinden oder in den Hintergrund zu geraten. Unzählige Nebenschauplätze werden eröffnet, dann umfangreich ausgebreitet, um letztlich bestenfalls mit einem kleinen Nebensatz zum Abschluss gebracht zu werden. Und von den religiösen Ergüssen möchte ich gar nicht erst anfangen.

Ehrliche Literatur

Schwamm drüber. Was Dostojewski hier abliefert, ist besser als vieles, was gegenwärtig unsere Buchhandlungen bevölkert. Nehmt das, ihr nichtssagenden 250-Seiten-Schreibschul-Retorten! Dostojewski beschäftigt mehr als die verdammte Schulaufführung in der achten Klasse, die eure Eltern mal verpasst haben. Er kümmert sich nicht um Eltern, die euer Drittstudium nicht bezahlen wollen.

Aus seinen Worten strömt das pralle Leben. Und er unternimmt nicht einmal den Versuch, seine Kräfte in kontrollierte Bahnen zu lenken. Dostojewski schreibt mit dem Wahn und der Intensität eines Menschen, der haarscharf am Abgrund tanzt. Er lädt uns ein, einen Blick auf das menschliche Dasein zu werfen. Mit all den Höhen und Tiefen, Widersprüchen und Redundanzen, die damit nun mal einhergehen. Was für eine Rolle spielen da geschickt verborgene Motive, Symbole oder andere erzählerische Kleinigkeiten?

Ausufernd und kaum greifbar

Der Roman weist so viele Aspekte auf, dass man unmöglich alle greifen kann. Auf der reinen Handlungsebene werden zunächst viele hundert Seiten lang die zerrütteten Familienverhältnisse der Karamasows geschildert. Bevor es in der zweiten Hälfte um den Mord am Familienoberhaupt und den anschließenden Gerichtsprozess geht. Garniert wird die Handlung von zahlreichen Nebensträngen. Religion und Glaube stellen dabei wichtige und aus verschiedenen Perspektiven geschilderte Themen dar. Man merkt hier deutlich, wie sehr der Autor nach dem Tod seines Sohnes mit seinen religiösen Gefühlen hadert.

Die Stimmung ist bedrückend und es kommt zu einer Reihe von harten Ereignissen. Wenn auch nicht mit einer Intensität und Häufigkeit wie etwa in Verbrechen und Strafe. Aber auch abseits davon finden wir viele denkwürdige Szenen, deren Aufzählung den Umfang dieser Rezension sprengen würde. Man denke nur an die Großinquisitor-Szene oder Iwans Teufelsbegegnung. Auch der spätere Gerichtsprozess hat seine Momente. Zwar erfahren wir recht schnell, wer der wahre Mörder ist. Dennoch ist es interessant mit anzusehen, wie Fakten zugunsten der eigenen Absichten verdreht werden. Und wie unstrukturiert und willkürlich Gerichtsprozesse damals scheinbar abliefen.

Lebendige Figuren

Zu den Figuren und ihren Beziehungen und Handlungsweisen ließen sich sicherlich mehrere wissenschaftliche Abhandlungen verfassen. Ob Dostojewskis Ausarbeitungen wirklich belastbare und realistische Einblicke in die menschliche Psyche liefern, muss jeder selbst beurteilen. Zumindest im Rahmen des Gerichtsprozesses war mir das ein wenig zu viel Küchenpsychologie. Das ist letztlich aber auch nicht wichtig.

Entscheidend ist, dass Dostojewski bis zur kleinsten Nebenfigur jede Figur vor unseren Augen zum Leben erweckt. Jedes Schicksal weckt zumindest unser Interesse und oft auch unsere Anteilnahme. Hilfreich sind vor allem die großartigen Dialoge – die zugegebenermaßen stellenweise auch in seitenlange Monologe ausarten können. Jede Figur erhält dabei eine eigene Stimme, die sich deutlich von den anderen Figuren unterscheidet.

Im deutlichen Unterschied zur sonstigen Weitläufigkeit stehen die kargen bis nicht vorhandenen Beschreibungen der Außenwelt. Der Fokus liegt ganz klar auf der Handlung und den Figuren.

Unbeständige Erzählperspektive

Die Erzählperspektive zeichnet sich vor allem durch ihre Unbeständigkeit aus: Vordergründig werden wir aus der Rückschau von einem unbeteiligten Ich-Erzähler durch das Geschehen geleitet. Letztlich werden dann aber doch weite Teile der Handlung chronologisch aus der Perspektive der drei Brüder geschildert. Der eigentliche Ich-Erzähler wird eher als Stilmittel genutzt, um einige Stellen elegant abzukürzen oder um durch Auslassungen und Andeutungen Spannung zu erzeugen.

Was bleibt?

Die Brüder Karamasow von Fjodor M. Dostojewski stellt eine gleichermaßen herausfordernde wie lohnenswerte Lektüre dar. Natürlich könnte man den ausschweifenden Erzählstil und die vielen letztlich unbedeutenden Nebenschauplätze kritisieren. Dafür wird man aber mit einem lebendigen und ehrlichen Buch belohnt, das mit jeder Zeile von der Erzählkunst eines wahren Meisters zeugt und zeigt, was große Literatur letztlich ausmacht.

Bibliophile Ausgabe

Meine Ausgabe stammt aus dem Ammann Verlag und erfüllt alle Anforderungen, die eine bibliophile Leserin an ein Buch stellen kann. Ob nun der dunkelblaue Leineneinband samt Titelschild, farblich abgestimmte Komponenten, Pappschuber, Leseband oder Fadenheftung – hier bleibt kein Wunsch offen. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um keine Dünndruckausgabe – zumindest diese Version ist also nur bedingt reisetauglich.

Im Anhang erwartet uns ein Anmerkungsapparat und ein hilfreiches Personenverzeichnis. Die Übersetzung fertigte abermals die legendäre Swetlana Geier an.

Pro/Contra

Pro
  • Wahrhaftige Literatur
  • Lebendige Dialoge
  • Faszinierende Figuren
  • Spannende Haupt- und Nebenhandlungen
Contra
  • Viele Widersprüche und Ungereimtheiten
  • Womöglich etwas zu viele religiöse Ausführungen

Fazit


Die Brüder Karamasow von Fjodor M. Dostojewski stellt eine herausfordernde, aber lohnenswerte Lektüre dar. Ganz große Kunst!

autor: Fjodor M. Dostojewski

Titel: Die Brüder Karamasow

Seiten: 1250

Erscheinungsdatum: 1897 – 1880

Verlag: Ammann Verlag

ISBN: 9783250102595

Übersetzer: Swetlana Geier

illustratoren: –

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