
Die Farbe der Rache
von Cornelia Funke
14.03.2025
- Fantasy
Mit Die Farbe der Rache kehrt Cornelia Funke nach 16 Jahren in ihre Tintenwelt zurück. Gelingt es ihr, an den Erfolg der Vorgängerbände anzuknüpfen?
Kunst gegen Literatur
5 Jahre nach den Ereignissen in Tintentod ist Ruhe und Stabilität in die Tintenwelt eingekehrt. Doch der Schein trügt. Im Verborgenen schmiedet der verbitterte Orpheus einen grausamen Racheplan.
Staubfinger und der schwarze Prinz können ihm als Einzige entkommen und begeben sich auf eine gefährliche Reise, um sich der ebenso ungewöhnlichen wie grausamen Bedrohung zu stellen. Wird es ihnen gelingen, ihre Freunde zu retten? Und was wird ihnen zum Sieg verhelfen – das Wort, das Bild oder doch das Schwert?
Gewagtes Unterfangen
16 Jahre nach dem Abschluss der Tintenwelt-Trilogie setzte Cornelia Funke mit Die Farbe der Rache ihre Erfolgsreihe fort. Ein gewagtes Unterfangen, schließlich ist es beinahe unmöglich, die Erwartungshaltung eines Millionen-Publikums zu erfüllen. Gelingt es ihr dennoch, ihre Leserschaft erneut zu verzaubern?
Kunstmäzenin zerstört Denkmal
Der Erfolg der Vorgänger-Romane erklärt sich vor allem mit den vielfältigen intertextuellen Bezügen und der allgegenwärtigen literarischen Verbeugung vor dem Medium Buch und der Kunst des Erzählens. Je weiter sich die Romane von diesen Kernthemen entfernten, desto mehr nahm auch ihre Qualität ab.
Die Farbe der Rache geht nun einen Schritt weiter und entfernt beinahe alle Bezüge zum Thema Literatur. Prägte einst die Kunst des (Vor-)Lesens die Tintenwelt, so kämpfen nun Illustrationen, Gemälde, Gesang und eine esoterisch angehauchte Naturbewegung um die Vorherrschaft.
Dabei hat Cornelia Funke einige schöne Einfälle und nette Ideen. Und ich muss zugeben, ihr gelingen einige malerische (Sprach-)Bilder. Doch leider werden diese Einfälle lieblos aneinandergereiht, ohne den bisherigen Kanon zu berücksichtigen. Im Ergebnis haben wir es dann nicht mehr mit der Tintenwelt zu tun, sondern mit einer generisch-anmutenden Mittelalter-Fantasy-Welt, wie man sie viel zu oft antrifft.
Unspektakuläre Handlung
Nichts anderes lässt sich auch über die Handlung sagen. Der Ausgangspunkt ist stimmig und passt zu den bisherigen Romanen. Die Probleme lassen jedoch nicht allzu lange auf sich warten. Dass wir auf einen Großteil der bisherigen Figuren (einschließlich Mo und Meggie) verzichten müssen? Geschenkt. Dass unseren Figuren alles ein bisschen zu leicht von der Hand geht, Hindernisse problemlos überwunden werden und das Ende nicht wirklich spektakulär ist? Kann ich mit leben. Ein deutlich düsterer Erzählansatz? Meinetwegen.
Aber wenn Grundpfeiler der bisherigen Bände auf den Kopf gestellt oder bedeutungslos gemacht werden, dann stellt das nicht weniger als eine Täuschung der bisherigen Leserschaft dar. Frau Funke kann ja gerne Geschichten aller Art ersinnen und als Kunstmäzenin die schönen Künste fördern. Nur dann in Zukunft bitte nicht unter dem Label Tintenwelt.
Handwerkliche Steigerung
Immerhin muss man ihr zugutehalten, dass sie ihre nur knapp 300 Seiten umfassende Geschichte handwerklich deutlich besser im Griff hat. Es gibt weder sinnlose Handlungsschleifen noch unnötige Längen wie noch in den Vorgängerbänden. Die kurzen Kapitel sorgen zudem in Verbindung mit vielen Perspektivwechsel für ein hohes Erzähltempo.
Und wieder einmal haben wir es mit einer bildgewaltigen Sprache und lebendigen Formulierungen zu tun, die das Kopfkino direkt anspringen lassen und die Ereignisse vor unseren Augen zum Leben erwecken. Gefühlt haben wir es mit tendenziell kürzeren Beschreibungen zu tun, meine Wahrnehmung könnte aber auch durch das hohe Erzähltempo verzerrt sein.
Figuren mit neuen Facetten
Cornelia Funke hat es schon immer verstanden, ein sympathisches Figurenensemble aufzubauen, dass aus liebenswerten, aber oft auch schablonenhaften Figuren besteht. Dieses Mal gibt sie sich aber spürbar Mühe, ihren Figuren mehr Facetten zu verleihen.
Im Mittelpunkt stehen die noch aus den Vorgängerbänden bekannten (ehemaligen Nebenfiguren) Staubfinger (Nardo) und der schwarze Prinz (Nyame). Wir erfahren recht viel über ihre Vergangenheit und ihre früher oft betonte, aber selten ersichtliche Freundschaft wird nun endlich ausgeleuchtet.
Aber auch eigentlich unbedeutende Nebenfiguren wie der Muskelberg Grappa erhalten eine kleine Hintergrundgeschichte und werten damit die Handlung deutlich auf. Das gilt nicht zuletzt auch für Orpheus, der damit als Bösewicht die wohl mit Abstand am besten ausgeleuchtete Figur der Reihe verkörpert.
Was bleibt?
Die Farbe der Rache von Cornelia Funke hinterlässt bei mir gemischte Gefühle. Die Autorin ist immer noch eine begnadete Erzählerin mit einer lebendigen und wortgewaltigen Sprache. Auch hat sie ihren Plot viel besser im Griff als in jedem Vorgängerband.
Leider hat diese Geschichte nicht mehr viel mit der Tintenwelt zu tun. Bis auf wenige Figuren – Orpheus, Staubfinger, der schwarze Prinz – erinnert nur wenig an die vorherigen Geschichten. Noch schlimmer: Funke reißt tragende Fundamente ihrer Welt ein und überflutet sie mit neuen Ideen, die so gar nicht zu den bisherigen Elementen passen wollen.
Nur noch wenig erinnert an die wundervolle Liebeserklärung an das Lesen und das Medium Buch, das Tintenherz seinerzeit darstellte. Leider nur etwas für Hardcore-Fans.
Kein Leseband!
Auch der vierte Band der Tintenwelt-Reihe wurde im Dressler Verlag veröffentlicht und entspricht grundsätzlich der Gestaltung der Vorgängerbände. So haben wir es wieder mit einem Cover zu tun, dass durch viele kleine Details begeistert. Leider wurde dieses Mal auf ein Leseband verzichtet – eigentlich ein Unding für eine Reihe, die wie keine zweite für die Liebe zur Literatur steht.
Jedes Kapitel beginnt mit einem passenden Zitat aus anderen Büchern und zum Abschluss erwartet uns oft noch eine kleine liebevolle Illustration der Autorin höchstselbst. Im Anhang finden wir noch ein kurzes Personenverzeichnis, ein Interview mit der Autorin und eine stimmungsvolle Rückblende aus der Perspektive von Orpheus.
Pro/Contra
Pro
- Brillanter Stil
- Funke hat ihren Plot im Griff
- Facettenreichere Figuren
Contra
- Hat nicht mehr viel mit der Tintenwelt zu tun
- Verwässert die Original-Trilogie
- Unspektakuläre und viel zu glatte Handlung
Fazit
Die Farbe der Rache von Cornelia Funke kann trotz stilistischer Brillanz nicht an seine erfolgreichen Vorgänger anknüpfen. Die Leserschaft erwartet eine beliebige Geschichte in einer farblosen Welt. Schade.
autorin: Cornelia Funke
Titel: Die Farbe der Rache
Seiten: 346
Erscheinungsdatum: 2023
Verlag: Dressler Verlag
ISBN: 9783751300070
übersetzerIn: –
illustratorin: Cornelia Funke
Reihe: Tintenwelt (4)
Ahoi Eugen und danke für diese sehr differenzierte und schöne Besprechung!
Ich hab die Reihe ja damals geliebt und war sehr zwiegespalten bezüglich eines weiteren Bandes; die Meinungen sind ja auch eher verhalten bisher… schade!
Schönes Wochenende
Ronja von oceanloveR