Ein Buch mit dem Titel „Artifact Space“ von Miles Cameron liegt auf einer Holzoberfläche.

Artifact Space

von Miles Cameron


28.04.2024

  • Science-Fiction

Mit Artifact Space wagt sich der vorwiegend für seine historischen Werke bekannte Schriftsteller Miles (Christian) Cameron erstmals an einen Science-Fiction-Roman. Doch kann das gut gehen?

Vom Waisenkind zum Offizier

Marca Nbara hat das Unmögliche vollbracht: Aufgewachsen in einem zwielichtigen Waisenhaus, hat sie es aus eigener Kraft als Offiziersanwärterin auf die „Athen“ geschafft. Ein gewaltiges Handelsschiff, das die Weiten der Galaxis durchquert und die weit verstreuten besiedelten Planeten miteinander verbindet. Wichtigster Punkt jeder Reise: die Station Trade Point, Umschlagplatz für das begehrte Xenoglas, welches unabdingbar für die Überbrückung großer Entfernungen ist.

Was niemand weiß: Marca hat ihre Unterlagen gefälscht und droht jeden Moment aufzufliegen. Und zu allem Überfluss scheint es eine unbekannte Macht auf die Großschiff-Flotte abgesehen zu haben …

Mutiger Schriftsteller

Christian Gordon Cameron ist in der Literaturwelt längst kein unbekannter Name mehr. Nachdem er 1998 zusammen mit seinem Vater seinen ersten Roman herausbrachte (noch unter dem Pseudonym Gordon Kent), sollten bis heute gut sechzig weitere Romane folgen.

Schrieb er als Gordon Kent vornehmlich Spionagethriller, folgten unter dem Namen Christian Cameron unzählige historische Werke. Und unter dem Pseudonym Miles Cameron einige Fantasy-Romane, bis 2021 mit Artifact Space sein erster Science-Fiction-Roman erschien. Doch kann ein so häufiger Genrewechsel gut gehen?

Bekanntes Setting

Der Hintergrund unserer Erzählung unterscheidet sich zunächst nicht grundlegend von dem anderer Science-Fiction-Romane: Einige Jahrhunderte in der Zukunft ist die Erde zu klein für die Menschheit geworden. Zwangsläufig hat sie sich im Weltraum ausgebreitet und unzählige Planeten besiedelt. Den Kitt dieser verstreuten Gesellschaft stellt der nach wie vor florierende Handel dar. Dieser wird vor allem durch die Großschiffe ermöglicht, die dazu mehrere Jahre am Stück unterwegs sind.

Als Kiste an Bord

Auf solch ein Großschiff – in unserem Fall die „Athen“ – wirft uns Cameron zusammen mit unserer Protagonistin Nbara. Er nimmt sich dabei sehr viel Zeit, um uns in die Eigenheiten des Bordalltags einzuführen. Neben relativ aufregenden Tätigkeiten wie dem Kampftraining oder ersten Flugstunden erhalten auch eher banalere Angelegenheiten wie Probleme mit der Wäscherei, die Wahl der richtigen Kantine oder der Versuch, Langeweile auf einer langen Fahrt zu vermeiden, ausreichend Raum. Die Beschreibungen erinnern an die eines Schiffes – kein Wunder, war der Autor doch selbst Offizier bei der amerikanischen Marine.

Während der gemächliche Einstieg den Plot zunächst nur wenig voranbringt, sorgt er dafür, dass wir das Schiff und die Crew in unser Herz schließen. Und damit letztlich wirklich an ihrem Schicksal interessiert sind.

Militärischer Einschlag

Auffällig ist zudem die starke militärische Prägung des Handelsschiffes. Auch wenn es sich bei der „Athen“ offiziell um ein Handelsschiff handelt, tragen die Crewmitglieder militärische Dienstgrade, sind in hierarchische Strukturen eingebunden und ganz grundsätzlich verfügt das Schiff über ein breites Waffenarsenal. Der Begriff „Handelsschiff“ stellt also letztlich eine Mogelpackung dar. Natürlich werden Waren umgeschlagen, aber davon bekommen wir als Leser nur am Rande etwas mit. Zum Glück möchte ich hinzufügen, bleibt uns so zumindest ein zweiter Robinson Crusoe erspart.

Fokus auf das Wesentliche

Doch wie gelingt es Cameron, diese verschiedenen Aspekte auf lediglich 650 Seiten unterzubringen? Er wählt eine einfache und elegante Lösung, indem er sich nur auf bestimmte Aspekte fokussiert: So baut er zwar eine äußerst große und vielfältige Welt auf, lässt die Athen jedoch nur in bestimmte Regionen vordringen. Und auch wenn die „Athen“ unvorstellbar große Ausmaße hat, spielt seine Handlung in einer überschaubaren Anzahl an wiederkehrenden Plätzen.

Oberflächliche Hauptfigur

Leider gelingt es dem Autor nicht, aus diesem vielversprechenden Setting Kapital für seine Figuren und die Charakterentwicklung zu schlagen. So ist etwa bei unserer Hauptfigur Marca Nbara Potential für eine tiefgründige Figur vorhanden, die eine interessante Entwicklung verspricht. Bedauerlicherweise spielt ihre Vergangenheit abgesehen von den ersten Seiten keine wirkliche Rolle. Keiner ihrer Fehler hat Konsequenzen für sie als Person (allenfalls für ihr Umfeld) und sämtliche Herausforderungen gehen ihr ein Stück weit zu leicht von der Hand.

Darin liegt auch mein Hauptkritikpunkt: Natürlich ergibt es Sinn, dass die alleinige Erzählerin in alle relevanten Entwicklungen involviert ist. Aber wirklich glaubwürdig ist es nicht, wenn ein Frischling an Bord eines Schiffes innerhalb eines Jahres zur besten Pilotin, Teilzeit-Logistikerin, Spionageagentin, erfahrenen Kampfmitglied, Leiterin der Flugraumüberwachung, Sprachexpertin für außerirdische Rassen und Ausbildungsleiterin wird.

Kein zweiter Horatio

In einem begrenzten Rahmen kann man über diese Schwächen hinwegsehen. Leider handelt es sich bei ihr aber um keinen Sci-Fi-Horatio-Hornblower, diesen Weg hat der erste Band nachhaltig verbaut.

Darüber hinaus gibt es noch eine überschaubare Anzahl von Nebenfiguren mit wiederkehrenden Auftritten. Auch diese sind nicht sonderlich gut ausgearbeitet. Sie erwecken gleichwohl nicht den Eindruck, dass mehr als eine klar umgrenzte Aufgabe hinter ihnen steckt. Wenigstens sorgen Figuren wie eine eigenwillige Schiffs-KI und ein Spionageoffizier, der eine Parodie sämtlicher männlicher Klischees darstellt, für viele unterhaltsame Momente.

Handwerklich solide

Rein handwerklich profitiert der Roman von der jahrzehntelangen Erfahrung des Autors. Cameron weiß, wie man einen Roman und die dazugehörigen Spannungskurven aufbauen muss. Keine Selbstverständlichkeit für einen Roman mit einer einzigen Erzählfigur. Er weiß, an welchen Stellen er das Tempo anziehen muss und wann wir Leser Zeit zum Durchatmen brauchen. So ist es kein Wunder, dass man den Roman – trotz der schwachen Hauptfigur – kaum aus den Händen legen kann.

Die Action-Szenen verlaufen routiniert und dynamisch, stehen aber eindeutig nicht im Mittelpunkt des Geschehens und sind insgesamt rar gesät. Die für einen Science-Fiction-Roman beinahe schon obligatorischen technischen und physikalischen Beschreibungen tauchen auch hier auf. Mangels Kenntnissen und Ambitionen schenke ich diesen Abschnitten zugegebenermaßen nur wenig Aufmerksamkeit und lasse sie als notwendiges Übel über mich ergehen.

Positiv hervorheben möchte ich noch die ungezwungene und natürliche (teilweise) Verwendung von Neopronomen, die sich nahtlos in das restliche Geschehen eingliedert und niemals wie ein Fremdkörper wirkt.

Was bleibt?

Artifact Space von Miles Cameron erfindet das Genre nicht, weiß aber durchgängig zu unterhalten. Das Setting mag nicht neu sein. Dafür sorgen die Einblicke in den Alltag eines Schiffes aus der Perspektive eines Neulings für ausreichend Abwechslung. Einen Horatio Hornblower im Science-Fiction-Gewand darf man angesichts des unrealistischen Werdegangs der Hauptfigur leider auch nicht erwarten. Damit handelt es sich um einen unterhaltsamen Science-Fiction-Roman für zwischendurch, bei dem Genre-Fans nichts falsch machen können.

Der zweite und (hoffentlich) abschließende Band Deep Black erscheint im August 2024 und wird – angesichts des Cliffhangers am Ende des ersten Bandes – hoffentlich alle offenen Fragen beantworten. Der Autor hat zudem verlauten lassen, dass er weitere Romane im selben Universum ansiedeln möchte, sollten die Verkaufszahlen stimmen.

Handelsübliches Paperback

Äußerlich handelt es sich um ein gewöhnliches Paperback aus dem Heyne Verlag, das weder positiv noch negativ hervorzustechen vermag. Das Material ist in Ordnung, die Schriftgröße angemessen und das Covermotiv inhaltlich zutreffend, aber nicht wirklich schön. Ein Glossar wäre an der einen oder anderen Stelle hilfreich gewesen, das Fehlen ist aber verschmerzbar. Die Übersetzung von Bernhard Kempen liest sich flüssig und weist keine (offensichtlichen) Fehler auf.

Pro/Contra

Pro
  • Handwerklich solide
  • Erfrischende Perspektive
  • Gelungene Beschreibungen des Bordalltags
Contra
  • Schwache Hauptfigur
  • Bekanntes Setting

Fazit


Artifact Space von Miles Cameron ist ein unterhaltsamer Roman, der nicht wirklich innovativ ist, dafür aber in der Umsetzung zu weiten Teilen zu überzeugen vermag. Fans von kurzweiligen Space-Operas kommen hier auf ihre Kosten.

autor: Miles Cameron

Titel: Artifact Space

Seiten: 668

Erscheinungsdatum: 2024 (2021)

Verlag: Heyne Verlag

ISBN: 9783453323063

Übersetzer: Bernhard Kempen

illustratoren: –

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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