
Überredung
von Jane Austen
15.12.2023
- Klassiker
Überredung (Anne Elliot) stellt Jane Austens letzten fertiggestellten Roman dar und wurde 1818 kurz nach ihrem Tod veröffentlicht. Doch kann man hier wirklich von einem Spätwerk sprechen?
Zweite Chance oder ewige Einsamkeit?
Bereits in jungen Jahren war Anne Elliot mit dem einfachen Seemann Frederick Wentworth verlobt. Allerdings war er mittellos und dazu noch von einfacher Herkunft – und damit einer Adligen wie Elliot nicht würdig. Freunde und Familie drängten daher auf die Auflösung der Verlobung.
Acht Jahre später haben sich die Vorzeichen geändert: Die Elliots sind aufgrund exorbitanter Ausgaben hoch verschuldet. Um Kosten zu sparen, verpachten sie ihren Wohnsitz in Kellynch Hall und beziehen ein Stadthaus im Badeort Bath.
Wentworth hat es hingegen als Kapitän zu einem beachtlichen Vermögen und als Kriegsheld zu breitem gesellschaftlichem Ansehen gebracht. Als sich ausgerechnet sein Schwager Admiral Croft als Pächter des Landguts der Elliots herausstellt – und Wentworth damit wieder in Annes Leben tritt –, hat diese sich mit einem Leben als ewige Jungfer abgefunden.
Erhält die Liebe der beiden noch einmal eine zweite Chance oder ist Anne zum Leben in ewiger Einsamkeit verdammt?
Das letzte Werk der Autorin
Als Jane Austen Überredung zwischen 1815 und 1816 verfasste, hatte sie anonym vier ihrer insgesamt sechs vollständigen Romane veröffentlicht. Ihre Werke wurden bereits damals gut angenommen und noch zu Lebzeiten folgten erste Übersetzungen.
Leider erkrankte sie aus bis heute nicht abschließend geklärten Umständen und starb 1817 im Alter von gerade einmal 41 Jahren. Überredung erschien erst ein Jahr später, zusammen mit Northanger Abbey und kann damit guten Gewissens ihrem Spätwerk zugeordnet werden. Doch handelt es sich auch um ein mit diesem Status impliziertes reiferes Werk?
Nur wenig Neues unter der Sonne?
Betrachten wir zunächst die Ausgangslage, dann drängt sich dies nicht gerade auf: Wieder geht es um das Leben der britischen Oberschicht, starke Frauenfiguren, skurrile Charaktere und um eine alles andere als einfache Liebesgeschichte.
Doch der Schein trügt. Auch wenn viele Aspekte letztlich Variationen von Altbekanntem sind. Austen schafft es, durch kluge Entscheidungen ausreichend Abwechslung und ein selbstständiges Werk zu präsentieren. Ein prägendes Element finden wir bereits im Buchtitel wieder.
Ausgangspunkt und Leitmotiv
Überredung (Persuasion) ist nicht nur der Titel dieses Buches. Sondern zugleich Ausgangspunkt und tragendes Leitmotiv, das sich in sämtlichen Aspekten des Romans wiederfinden lässt. Zum Offensichtlichen: Anne Elliot löste ihre Verlobung mit Frederick Wentworth, weil sie von ihrem Umfeld überredet wurde.
Seitdem hat sie jeden Tag damit zu kämpfen. Dies ist nicht der einzige Manipulationsversuch. Unter Zuhilfenahme mehr oder weniger subtiler Methoden versuchen die Figuren einander ihre Meinungen aufzuzwingen und in bestimmte Richtungen zu lenken.
Erzählerisch vielseitig
Dies hat sogar Auswirkungen auf handwerkliche Aspekte. Zunächst scheinen wir uns in gewohnten Fahrwassern zu bewegen: So scheut Austen keinen noch so langen Satz und schreckt nicht davor zurück, Nebensatz an Nebensatz zu reihen. Durch die Erzählung führt uns ein auktorialer Erzähler, doch nach einigen Seiten merken wir: Er ist erstaunlich still.
Anstatt mithilfe des Erzählers gesellschaftliche Missstände direkt aufzuzeigen und scharfzüngige Kommentare zu hinterlassen, beschränkt sich Austen zumeist auf das Beschreiben von Handlungen. Sie überlässt es den Lesern, die richtigen Schlüsse zu ziehen und herauszufinden, wer hier wen manipulieren möchte.
Mit einer Einschränkung: Handelt es sich um eine Figur, die von Haus aus nicht in der Lage ist, ihr Umfeld zu manipulieren (Walter Elliot), dann bleibt Austen bei ihren direkten Beschreibungen.
Behutsame Erzählung
Eine zweite Besonderheit ist der äußerst behutsame und beinahe schon zarte Aufbau dieser Erzählung. Nicht dass Austen sonst mit brachialen Actionszenen aufwartet. Aber hier erweist sich jeder Dialog, jede Wendung, jede Begegnung als äußerst fragil. Beinahe so, als ob jede unbedachte Bewegung alles zerstören würde.
Gesellschaftliche Konflikte
Aber natürlich müssen wir nicht ganz auf ebenso unterhaltsame wie kritische Spitzen gegenüber gesellschaftlichen Missständen verzichten. Austen verdeutlicht, wie abhängig Frauen von der Wahl des richtigen Gemahls waren.
Annes Geschichte verdeutlicht dies aus einer neuen Perspektive. Sie befindet sich am falschen Ende des Heiratsspektrums und kann sich kaum noch Hoffnungen auf einen Mann machen. Stattdessen muss sie sich mit ihren Verwandten arrangieren und gutstellen – ihr weiteres Leben hängt davon ab. Ihr Umfeld weiß das und lässt sie das spüren.
Viel Raum nimmt auch der Konflikt zwischen den Marineoffizieren und dem alten Adel ein. Während letzterer beständig an Geld und Macht verliert, stehen die Marineoffiziere für eine neue aufsteigende Klasse. Der Adel blickte verächtlich auf sie herab, schließlich reichen dort bereits Fleiß und Tapferkeit aus, um aufzusteigen.
Starke Hauptfigur
Im Mittelpunkt des Romans steht Anne Elliot, unsere Protagonistin und mit 27 Jahren eine der älteren Austen-Figuren. Während dies heutzutage keiner Erwähnung wert wäre, galt sie zu ihrer Zeit schon als alte Jungfer.
Anne Elliot ist zurückhaltend und schüchtern, stets darauf bedacht, andere mit ihrem Verhalten nicht zu verletzen. Nur wenig erinnert bei ihr an eine selbstbestimmte und selbstbewusste junge Frau wie Elisabeth Bennet. Und genau deswegen ist sie die Hauptfigur, die dieser Roman braucht. Eine extrovertierte und aufbrausende Figur würde die fragilen Strukturen des Romans zerstören.
Das heißt nicht, dass in ihr keine Rebellin steckt. Anne rebelliert nicht mit der Axt, ihre Rebellion ist eine innere. Wir erleben hautnah mit, wie sich Anne in einem langsamen Prozess von den Beeinflussungsversuchen ihres Umfelds befreien kann. Und schließlich in der Lage ist, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Angesichts dieses Aspektes versteht man, warum dieser Roman zu ihren reiferen Werken gezählt wird.
Skurriles und unterhaltsames Figurenensemble
Ihr Frederick Wentworth spielt keine so große Rolle, wie man zuerst denken mag. Natürlich ist er in verschiedenste Konstellationen involviert. Aber bis auf die letzten Seiten nimmt er keine aktive Rolle ein – das ist auch nicht nötig.
Dafür wissen die restlichen Figuren umso mehr zu begeistern. Es sind zu viele Charaktere, um sie einzeln angemessen würdigen zu können. Man denke etwa an den wunderbar eingebildeten und selbstgefälligen Pfau Walter Elliot oder den Hypochonder Mary. Nichtstuer wie Lady Russel, Lady Dalrymple und Miss Carteret oder das liebenswerte Admiralspaar Croft. Und nicht zuletzt an William Elliot, die einzige ehrliche Figur im gesamten Roman.
Letztlich handelt es sich um ein Sammelsurium an bizarren und skurrilen Charakteren. Großartige Charakterentwicklungen darf man nicht erwarten. Ihre Funktion beschränkt sich darauf, andere zu beeinflussen, beeinflusst zu werden oder uns zu unterhalten. Und das machen sie ziemlich gut.
Was bleibt?
Überredung von Jane Austen ist ein Roman, der sich nur oberflächlich auf altbekannten Pfaden bewegt und durch seine ruhige und reife Konzeption zu überzeugen vermag.
Austen setzt weder auf Drama noch auf Show. Sie überzeugt mit einer feinfühligen Charakterstudie, ohne auf einen ordentlichen Schuss Gesellschaftskritik und Humor zu verzichten. Eine wundervolle Geschichte über Manipulationen, Macht und zweite Chancen im Leben. Lesenswert!
Wunderschöne Schmuckausgabe
Die großformatige Schmuckausgabe aus dem Coppenrath-Verlag reiht sich nahtlos in die Riege der bisherigen Schmuckausgaben ein. Neben einer Fadenheftung und einem Leseband dürfen wir uns über wunderschöne Illustrationen von Marjolein Bastin freuen.
Daneben finden wir zahlreiche Extras zwischen den Seiten, die entweder zur Stimmung beitragen oder die Handlung inhaltlich voranbringen. Schön sehen sie ja aus – keine Frage. Probleme gibt es nur, wenn sie – was häufiger passiert – herausfallen.
Die Übersetzung fertigte Gisela Reichel im Jahre 1968 an und aus der gleichen Zeit stammt ihr umfangreiches und lesenswertes Nachwort.
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Pro/Contra
Pro
- subtile Liebesgeschichte
- feinfühlige Charakterstudie
- Humor
Contra
- Nichts für Fans von Drama und Action
Fazit
Überredung von Jane Austen ist ein Roman, der in der Tradition von Jane Austen steht und insbesondere als einfühlsame Charakterstudie zu überzeugen vermag. Ein würdiges Spätwerk!
autorin: Jane Austen
Titel: Überredung
Seiten: 238
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Coppenrath Verlag
ISBN: 9783649642411
Übersetzerin: Gisela Reichel
illustratorin: Marjolein Bastin













