
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus
von Mark Twain
29.11.2024
- Klassiker
- ·
- Science-Fiction
Mit Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus wagte sich Mark Twain an eine Mischung aus Science-Fiction, Ritterroman-Satire und Gesellschaftskritik – und das bereits im Jahre 1889. Doch hat sich dieses Wagnis auch gelohnt?
Plötzlich Mittelalter
Eben noch war Hank Morgan Vorarbeiter in einer Fabrik in Connecticut und stand vor einer glänzenden Zukunft. Doch dann erhält er bei einer Schlägerei einen Schlag auf den Kopf. Und erwacht in England am Hof von König Artus.
Nach einem holprigen Start wird er zu dessen rechter Hand. Als „Boss“ nutzt er seinen Wissensvorsprung, um das rückständige England nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Oder zumindest um Seife salonfähig zu machen. Wird es dem Yankee gelingen, seinen Plan umzusetzen, oder wird die Aber- und Leichtgläubigkeit der Bevölkerung seine Vorhaben vereiteln?
Einflussreicher Schriftsteller
Heutzutage unterschätzen wir den Einfluss, den Mark Twain bis heute auf unsere Kulturlandschaft hat. Natürlich kennt jedes Kind Tom Sawyer und Huckleberry Finn (zumindest die gekürzten Fassungen).
Doch auch Werke wie Prinz und Bettelknabe oder Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus (eine alte Aufbau-Ausgabe von mir trug noch den Titel „Ein Yankee an König Artus Hof“) hinterließen ihre Spuren. Der Roman inspirierte nicht nur eine Reihe von Verfilmungen. Auch Versatzstücke wie die Sonnenfinsternis-Szene lassen sich in allen möglichen Medien wiederfinden.
Bereits 1889 schuf Twain einen einflussreichen und lupenreinen Science-Fiction-Roman. Und damit sechs Jahre vor H. G. Wells (1895), wenn auch deutlich nach Louis-Sébastien Merciers Zeitreiseklassiker „Das Jahr 2440“ (1770). Doch funktioniert der Roman im 21. Jahrhundert?
Parodie der Ritterromane
„Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus“ arbeitet auf zwei Ebenen: Zum einen erwartet uns an der Oberfläche eine Parodie auf verklärte Ritterromane im Stile von Sir Walter Scott. Zum anderen nutzt Mark Twain dieses Setting, um Missstände im 19. Jahrhundert anzuprangern und seinen (amerikanischen) Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten.
Und glücklicherweise funktioniert der Roman auf beiden Ebenen hervorragend, ohne dass sich diese ihrer Wirksamkeit berauben. Die Parodie-Ebene räumt mit den verklärten Vorstellungen der Vergangenheit auf und stellt die Artus-Saga auf den Kopf: Artus ist ein gutgläubiger Trottel, Merlin ein Scharlatan, Ritter alles andere als edel und Seife ein Fremdwort.
Es kommt zu einer Aneinanderreihung von unterhaltsamen und teilweise geradezu absurden Szenen, die unzählige Lacher garantieren. Das fängt schon damit an, dass Hank Morgan in robinsonscher Manier von seinen Plänen und ihrer herausfordernden Umsetzung berichtet. Daneben dürfen wir uns beispielsweise über Werbung, Ritter auf Fahrrädern oder nicht ganz so bezaubernde Prinzessinnen in Not freuen.
Diese Szenen funktionieren nicht zuletzt, weil Hank mit seiner nüchternen Art einen urkomischen Kontrast zur leichtgläubigen Bevölkerung bildet. Und dies zu kommunizieren weiß.
Schonungslose Gesellschaftskritik
Doch dabei bleibt es nicht. Twain nutzt die Parodie-Kulisse, um das Verhalten seiner Zeitgenossen an den Pranger zu stellen. Er behandelt Themen wie Rassismus, Sklaverei, Ausgrenzung und soziale Missstände.
Schonungslos, konsequent und in einem harten Kontrast zum humorvollen Überbau schildert er Unrecht. Sowohl Leser als auch Figuren müssen hilflos ansehen, wie Familien verhungern, Hexen verbrannt werden, Adelige mit Ungerechtigkeiten ungestraft davonkommen und vieles mehr. Die Kommentare des Erzählers machen deutlich, dass es Twain nicht um eine Verherrlichung der amerikanischen Lebensweise ging. Im Gegenteil.
Sprachliche Kontraste
Das Thema Kontraste setzt sich sprachlich fort. Während unsere Hauptfigur in Twain-typischer Alltagssprache und bisweilen salopp kommuniziert, bedient sich der gemeine Engländer einer barocken Sprache. Nachvollziehbarerweise entstehen dadurch einige erheiternde Szenen. Was das für eine Arbeit für die Übersetzerin bedeutet haben muss, kann man nur erahnen.
Die Charaktere sind – wie so oft – nicht mehr als Mittel zum Zweck. Sie stellen letztlich nur ein Stilmittel dar. Ausgefeilte Figuren dürfen wir nicht erwarten, aber ihre Aufgaben erfüllen sie zur vollen Zufriedenheit.
Was bleibt?
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus von Mark Twain überzeugt heute noch auf mehreren Ebenen. Es handelt sich bei Twain um einen unterschätzten Schriftsteller, der handwerklich zu den Großen seiner Zunft zählt.
Inhaltlich gelingt ihm das Kunststück, Humor, Satire und Gesellschaftskritik so zu verbinden, dass jede Ebene glänzen kann. Ohne der anderen die Wirkung zu nehmen. Unterhaltsam und lehrreich zugleich, eine in vielfacher Hinsicht lohnende Lektüre.
Gelungene Klassikerausgabe
Die mir vorliegende Ausgabe wurde im Manesse Verlag in der Reihe „Bibliothek der Weltliteratur“ veröffentlicht. Eine Reihe, die bis heute für qualitativ hochwertige Bücher steht.
Neben dem ikonischen Kleinformat erwarten uns abermals eine Fadenheftung, ein Leseband und bedruckte Vor- und Nachsätze. Insgesamt eine Kombination hochwertiger Materialien mit einem Auge fürs Detail. Wieder einmal wurden die einzelnen Buchkomponenten sorgfältig aufeinander abgestimmt: Hier stimmt vom Cover bis zum Satz einfach alles.
Die Übersetzung stammt von Viola Siegemund. Diese überzeugt insbesondere dadurch, dass im Anhang unübersetzbare Wortspiele im angemessenen Umfang erklärt werden. Den Band schließt das lesenswerte Nachwort von Philipp Haibach ab, der die Lektüre im angemessenen Umfang und Tonfall einordnet.
Werke von Mark Twain
Pro/Contra
Pro
- Scharfsinnige Gesellschaftskritik
- Humorvolle Erzählweise
- Funktioniert auf mehreren Ebenen
Contra
- Grenze zwischen Humor und Zynismus verläuft fließend
Fazit
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus von Mark Twain ist ein ebenso tiefgründiger wie unterhaltsamer Roman, der stilistisch und inhaltlich auf mehreren Ebenen überzeugen kann. Eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre.
autor: Mark Twain
Titel: Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus
Seiten: 640
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Manesse Verlag
ISBN: 9783717524922
Übersetzerin: Viola Siegemund
illustratoren: –
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt












Toller Beitrag! Ich habe ihn gleich auf meinem Blog in einem Beitrag zu einer zwölfteiligen Fantasy-Reihe, die dieses Buch von Mark Twain enthält, verlinkt.
Hallo Michael,
Vielen Dank, auch für die Verlinkung! Eine schöne Reihe und eine gute Auswahl, das hätte ich hinter diesen Schutzumschlägen gar nicht vermutet 🙂