
Things from the Flood
von Simon Stalenhag
08.09.2023
- Phantastik
- ·
- Science-Fiction
Seit einigen Jahren gehört Simon Stålenhag mit seinen visionären, illustrierten Romanen zu den etablierten zeitgenössischen phantastischen Künstlern (und Schriftstellern). Als im Jahre 2016 mit Things from the Flood sein zweites Werk erschien, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen.
Die Flut
Things from the Flood setzt kurze Zeit nach den Ereignissen aus Tales from the Loop ein. Wir erinnern uns: Stalenhag führte uns auf die schwedischen Mälarinseln. Dort wurde in den späten 60er-Jahren der Loop, ein gigantischer Teilchenbeschleuniger mitsamt unterirdischer Forschungsstation, in Betrieb genommen. Währenddessen ging das Leben auf der Oberfläche der Insel wie gewohnt weiter.
Mit den Jahren häuften sich unerklärliche Ereignisse in unmittelbarer Umgebung. Nachdem das Gelände vollständig überflutet worden war, gab man das Projekt in den neunziger Jahren endgültig auf. Die Bewohner waren gezwungen, die Insel zu verlassen. Doch als sie einige Jahre später zurückkehren, ist nichts mehr, wie es war…
Kometenhafter Aufstieg
Als Stålenhag 2015 sein erstes Projekt auf Kickstarter bewarb, war noch nicht abzusehen, was für eine Entwicklung seine Karriere nehmen sollte. Seine ersten beiden Werke wurden zwar mit soliden 300.000 Dollar gefördert. Die Nachfolgebände sollten diese Summe verdoppeln.
Doch niemand konnte ahnen, dass aus ihm mehr als ein Nischenprodukt werden würde. Kein Wunder, gibt es nur wenige Werke, die sich an der Schnittstelle zwischen Kunstbuch und Graphic-Novel bewegen. Jedenfalls bildete sich eine engagierte Community, die seine Werke sogar in Form von Tabletop-Spielen weiterentwickeln sollte. Die Verfilmung des ersten Bandes in Gestalt einer Amazon-Serie war nur konsequent.
Und auch wenn in unserer sensationslüsternen Zeit die Aufmerksamkeit für ein Thema genauso schnell wieder in der Versenkung verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Der große Hype ist noch lange nicht vorbei. Mit The Electric State wird eine hochkarätig besetzte Verfilmung (unter anderem mit Millie Bobby Brown, Chris Pratt, Michelle Yeoh und Anthony Mackie) auf Netflix für Aufsehen sorgen.
Der zweite Teil der Loop-Erzählungen
Bei Things from the Flood handelt es sich um eine klassische Fortsetzung. Wir kehren in Stalenhags Alternativwelt auf den Mälarinseln zurück und bleiben unserem Protagonisten aus dem ersten Teil treu.
Allerdings handelt es sich nicht um einen bloßen Aufguss des ersten Teils. Zeitlich nähern wir uns den 90ern und das heißt auch, dass das Computerzeitalter bevorsteht. Eine Entwicklung, vor der kein Inselreich schützen kann.
Zum Verständnis: In dieser alternativen Welt nahm die technologische Entwicklung der Robotik weitaus früher Fahrt auf als bei uns. Die „Zukunft“ sieht dementsprechend so aus, wie man sich die Zukunft in den 80ern vorstellte. Also vor allem durch grobschlächtige Gebilde dominiert.
Schmerzen oder Erwachsenwerden
Thematisch passen wir uns dem Alter unseres Protagonisten an. Ging es im ersten Teil um die frühe Kindheit, so bewegen wir uns nun in Richtung Pubertät.
Dabei handelt es sich um keine zusammenhängende Erzählung. Vielmehr schildert unser Erzähler in kurzen Episoden (mit mehr oder weniger starken Coming-of-Age-Vibes) wichtige Stationen und Erlebnisse seiner Jugend. Inhaltlich wird alles abgedeckt, was wir uns vorstellen können. Wir erleben mit Abkapselungen, Wutanfällen bis zu Scheidungen, Zwangsumzügen, aber auch ersten Beziehungen die klassische Palette an Themen.
Wie schon im ersten Band gilt, dass Perspektive alles ist. Was wir auf den Bildern wahrnehmen, ist keine „objektive“ Welt. Sondern immer beeinflusst von den – möglicherweise verzerrten – Wahrnehmungen eines Jugendlichen. Der die meiste Zeit mit sich selbst oder als klassischer Nerd mit Technik und dem aufkommenden Internet beschäftigt ist.
Auch deswegen handelt es sich trotz stellenweise dystopisch anmutender Motive um keine klassische Dystopie. Schwerpunktmäßig geht es immer um die Darstellung eines Lebens, das trotz aller Widrigkeiten (Teddybär-Szene!) bejaht wird. Was sich wirklich auf den Inseln abspielt, steht im Hintergrund und wird allenfalls rudimentär beantwortet.
Retrofuturistische Motive
Prägend für Stålenhags Bilder ist der aus den Vorgänger- und Nachfolgebänden bekannte Retrofuturismus. Im Grunde handelt es sich um eine Variante der Nostalgie-Welle der letzten Jahre. Ausgangspunkt ist eine Welt, in der die Robotik früh große Fortschritte gemacht hat, während der Rest weitgehend parallel zu unserer Welt verlief. Dementsprechend sehen seine Roboter auch so aus, wie man sie sich vor 30–50 Jahren vorgestellt hat – grob und gigantisch.
Den Reiz seiner Bilder macht vorwiegend die Verbindung vom Bekannten und Ungewöhnlichen aus. Etwa wenn er die skandinavische Weite auf futuristische Elemente treffen lässt. Seine Werkzeuge sind wechselhaft, teilweise kann man seine Bilder mit Fotos verwechseln, teilweise handelt es sich erkennbar um Gemälde.
Nur wenig erinnert an die kindlich-verspielten Motive der Mälarinseln des ersten Teils. Unser Protagonist ist älter geworden, der Blick der Jugend melancholisch und weniger verspielt. Es ist die Welt, wie ein Jugendlicher sie sieht. Mit Dinosauriern kann Stålenhag dieses Mal nicht dienen, dafür dominieren Flut-Motive. Insbesondere der Abschnitt mit den Vagabunden ist beeindruckend und hat es nicht umsonst auf das Titelbild geschafft.
Der Text allein stellt wenig mehr als bloßes Beiwerk dar. Vom Umfang her reicht es allenfalls für eine Kurzgeschichte. Mehr ist auch nicht nötig – die Bilder laden für sich dazu ein, längere Zeit zu verweilen und die darin verborgenen Geschichten zu ergründen.
Was bleibt?
Things from the Flood steht in der Tradition von Tales from the Loop und vereint alle Stärken und Schwächen des Vorgängers. Auch wenn die Richtung der neueren Stalenhag-Werke deutlich massentauglicher ist (zusammenhängende Handlung, beinahe Graphic Novel), handelt es sich um einen visuell beeindruckenden Band. Wer den Vorgänger mochte, wird hiermit vollkommen zufrieden sein. Neueinsteiger sollten hingegen einen Blick auf The Electric State riskieren.
Großformatiges Hardcover
Wieder einmal handelt es sich um eine recht bibliophil gestaltete Ausgabe aus dem Fischer-TOR-Verlag. Wir werden zwar mit einem Halbleineneinband und einer Fadenheftung verwöhnt, müssen dafür aber auf ein Lesezeichen verzichten.
Das Format ähnelt bis auf wenige (ärgerliche) Millimeter dem der anderen Stålenhag-Bände und eignet sich nur bedingt als Zug- oder Nachtlektüre. Dafür bietet es ausreichend Platz, um die Motive zur Entfaltung zu bringen. Die Übersetzung stammt von Stefan Pluschkat.
Werke von Simon Stalenhag
Pro/Contra
Pro
- Großartige Bilder befeuern eigene Fantasie und laden zum Verweilen ein
Contra
- Prosa-Text spielt keine große Rolle
Fazit
Things from the Flood stellt eine solide “Fortsetzung“ dar, die alle positiven und negativen Aspekte des Vorgängerbandes vereinigt: visuell mehr als nur beeindruckend, erzählerisch allenfalls Mittelmaß.
autor: Simon Stalenhag
Titel: Things from the Flood
Seiten: 132
Erscheinungsdatum: 2021
Verlag: Fischer TOR
ISBN: 9783596704859
Übersetzer: Stefan Pluschkat
illustrator: Simon Stalenhag











