Auf einer Holzfläche liegt ein Buch mit dem Titel „Sommergeschichten“ von Anton Čechov mit einer bunten Coverillustration.

Sommergeschichten

von Anton Cechov


09.07.2021

  • Klassiker

Anton Cechov (auch Tschechow) gilt als Meister der Kurzgeschichte, steht hierzulande aber im Schatten seiner berühmten Kollegen Tolstoi und Dostojewski. Als ich die Klassiker Abteilung meiner Lieblingsbuchhandlung durchstöberte, fielen mir die Sommergeschichten in die Hände und die ansprechende Aufmachung und die sommerlichen Temperaturen bewegten mich zum Kauf.

Die perfekte Kurzgeschichtensammlung für den Sommer

Es fällt mir schwer, irgendeine dieser Geschichten besonders hervorzuheben, sie sind allesamt hervorragend geschrieben und dennoch will ich den Versuch wagen. Die Sammlung beginnt mit Einer von vielen, einer Geschichte, die fast nur aus Dialogen besteht und in der ein Mann einem Freund sein Leid als Familienvater schildert und mit einer hervorragenden Pointe endet. In Das Kulakennest versucht ein Mann hartnäckig, einer Familie ein Sommerhaus zu vermieten und stößt dabei auf viele Hindernisse. 

Der Mensch im Futteral schildert mit einem Augenzwinkern Episoden aus dem Leben des engstirnigen Griechischlehrers Belikov. Für die Äpfelchen schildert, ohne den leichten Ton zu verlieren, die dunklen Seiten des Landlebens und gesellschaftliche Abgründe. Mein persönlicher Favorit dieser Sammlung ist Die Schalmei, die gesellschaftliche Umbrüche und den Wandel der Natur thematisiert.

Der unwahrscheinliche Durchbruch als Schriftsteller

Anton Cechov wurde 1860 in ärmliche Familie geboren, sein Vater war ehemaliger Leibeigener und versuchte vergeblich, seine Familie als Kaufmann über Wasser zu halten. Cechovs Liebe galt vor allem dem Theater und der Literatur, wohl sein einziger Ausweg aus einem ansonsten entbehrungsreichen Leben. Nachdem sein Vater mit seiner Familie vor seinen Gläubigern nach Moskau floh, musste er seinen Lebensunterhalt mit Nachhilfe Stunden bestreiten. Dennoch gelang es ihm, die Schule abzuschließen und in Moskau Medizin zu studieren.

Dort veröffentlichte er – zunächst unter Pseudonym und mit durchwachsenem Erfolg – Theaterstücke und Kurzgeschichten, um sich und seine Familie zu ernähren. Schließlich bestand er sein Studium und wurde Arzt, übte diesen Beruf jedoch nur nebenbei aus. Ihm gelang nämlich der Durchbruch als Schriftsteller und veröffentlichte bis zu seinem Tod durch Tuberkulose Hunderte Kurzgeschichten und Theaterstücke, die ihm zu Wohlstand verhalfen.

Die meisten seiner Kurzgeschichten veröffentlichte er in der Frühphase seines Schaffens. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass er zu dieser Zeit durch die Zeitungen Zeilenbeschränkungen unterlag und darüber hinaus auch noch sehr schlecht bezahlt wurde. Ohne ein hohes Veröffentlichungspensum konnte man als unbekannter und armer Schriftsteller in Russland einfach nicht überleben. Viele dieser Frühwerke sind in diesem Band versammelt, was unter anderem an der Kürze der vierundzwanzig in diesem Band versammelten Geschichte deutlich wird.

Seine einfache Herkunft hat Cechov Zeit seines Lebens nicht vergessen, seine Texte spielen in kleinen Städten, aber noch öfter in der russischen Provinz, seine Protagonisten sind meist einfache Bürger oder Bauern, denen trotz bester Gesinnung Leid widerfährt. Sein Themenspektrum reicht dabei von Liebesgeschichten aller Art und kuriosen Begegnungen bis zu satirischen Ratgebern.

Locker-Leichte Geschichten für den Sommer

Leser, die bislang wenig Umgang mit russischer Literatur hatten, werden sicherlich über den einen oder anderen Begriff stolpern, die leider auch nicht im Anhang erklärt werden, allerdings den Lesegenuss nicht sonderlich trüben. Wie schon der Titel Sommergeschichten andeutet, spielt ein Großteil der Geschichten während des Sommers und passend dazu ist Cechovs Erzählton durchgängig locker und leicht.

Beim Lesen fliegt man nahezu durch die skizzenhaften und offenen Erzählungen. Er verliert bei keiner Thematik seinen Humor, weiß ihn aber auch zielgerichtet einzusetzen und findet immer das richtige Maß. Auf wenigen Seiten werden kurze Ausschnitte aus dem Leben seiner Protagonisten erzählt und nur wenige Geschichten wie etwa Lebende Ware erstrecken sich über einen längeren Zeitraum.

Zu Beginn ist es gewöhnungsbedürftig, dass bei Dialogen Gedankenstriche statt Anführungszeichen verwendet werden, aber bereits nach kurzer Zeit hat man sich als Leser daran gewöhnt und merkt die positiven Auswirkungen auf den Lesefluss. Insgesamt kann man sagen, dass das Thema Sommergeschichten hervorragend getroffen wurde, sowohl inhaltlich als auch stilistisch passen die Kurzgeschichten perfekt in den Sommer.

So viel Schönes, Herr Jesus! Sonne, Himmel, Wälder, Flüsse, Geschöpfe – das ist doch erschaffen, zusammengefügt, auf einander abgestimmt. Ein jedes ist ins Werk gesetzt und kennt seinen Platz. Und alles muss zugrunde gehen! (S.161)

Übersetzt wurden die Geschichten von Peter Urban, der bis zu seinem Tod im Jahre 2013 daran arbeitete, das Gesamtwerk Cechovs zu übersetzen und dem wir die Übersetzung zahlreicher anderer russischer Schriftsteller wie etwa Gorki, Babel, Turgenjew oder Puschkin verdanken. Hier findet ihr einen Bericht über die Übersetzerarbeit Urbans, der erhellende und interessante Einblicke in dessen Arbeit gibt.

Schlicht, aber schön

Die Ausgabe des Diogenes Verlag entspricht der üblichen Ausstattung eines Diogenes Hardcovers. Der Band selber ist in gelben Leinen gebunden, hat ein geprägtes Titelschild und sogar ein farblich passendes hellblaues Leseband spendiert bekommen. Der Schutzumschlag ist in einem schlichten weiß gehalten und wird nur von einem Gemälde von Paul Powis verziert. Leider fehlt eine Fadenheftung, das ist angesichts des günstigen Preises allerdings noch verschmerzbar. Schmerzhafter wiegt in diesem Band das Fehlen jeglicher redaktioneller Beteiligung, es gibt weder ein Vor- noch ein Nachwort und auch auf Anmerkungen wurde verzichtet. Letzteres ist in diesen Geschichten nicht unbedingt notwendig – ersteres wiegt schwerer. Begleitende Texte gehören mittlerweile zum guten Ton bei Klassikerausgaben und sind aufgrund der zeitlichen Distanz für die Einordnung unabdingbar.

Bibliographie

Mehr Weniger

Pro/Contra

Pro
  • locker-leichter Erzählton passt perfekt zum Sommer
  • breites Themenspektrum
  • richtige Dosierung des Humors
Contra
  • russische Begriffe werden im (fehlenden) Anhang nicht erklärt

Fazit


Die Sommergeschichten laden dazu ein, Cechov zu entdecken. Das ausgegebene Thema wurde perfekt getroffen, alle Geschichten vermitteln mit viel Humor und ihrem lockeren Ton eine sommerliche Leichtigkeit. Ein perfektes Sommerbuch für einen freien Tag!

autor: Anton Cechov

Titel: Sommergeschichten

Seiten: 266

Erscheinungsdatum: 1882

Verlag: Diogenes Verlag

ISBN: 9783257071313

übersetzer: Peter Urban

illustrator: –

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