Auf einer Holzfläche liegt eine deutsche Ausgabe des Buches „Die Herren des Abgrunds“ von Adrian Tschaikowsky mit einem farbenfrohen Cover mit kosmischem Thema.

Die Herren des Abgrunds

von Adrian Tchaikovsky


26.07.2024

  • Science-Fiction

Mit Die Herren des Abgrunds (Lords of Uncreation) schließt Adrian Tchaikovsky die Architekten-Trilogie ab. Gelingt es ihm, der Reihe zu einem befriedigenden Abschluss zu verhelfen?

Das Ende der Reise

Warnung: Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine Rezension zum dritten und abschließenden Teil der Architekten-Trilogie. Auch wenn ich mich grundsätzlich darum bemühe, möglichst wenig vom Inhalt eines Buches offen zu legen, so liegt es in der Natur der Besprechung eines fortgeschrittenen Bandes, dass ich dies nicht vollständig vermeiden kann. Wer also die ersten beiden Teile noch nicht gelesen hat, sollte nicht weiterlesen und es bei meiner Rezension zum ersten Band bewenden lassen oder zumindest zum Ende springen. Leser der ersten beiden Bände können hingegen ohne Probleme auch diese Rezension lesen.

Der Kampf um die Zukunft der Menschheit steht vor einem entscheidenden Wendepunkt. Idris ist es im Trubel der Ereignisse des zweiten Bandes gelungen, im Unraum die Brutstätte der planetenvernichtenden Architekten aufzuspüren.

Während eine brüchige Allianz verschiedener Gruppierungen alles daran setzt, den Krieg zu den Architekten zu bringen, sucht Idris verzweifelt nach einem Ausweg, um diesen Genozid zu verhindern. Die Architekten scheinen die Bedrohung zu erahnen und intensivieren ihre Angriffe auf alle bewohnten Planeten des Universums.

Gleichzeitig versuchen andere Gruppierungen als Weltraumnomaden die Architekten-Bedrohung zu umgehen und benötigen dazu ebenfalls die Fähigkeiten von Idris Telemmier. Wird es ihm gelingen, zu den wahren Urhebern der Architekten vorzudringen und weitere Todesopfer zu verhindern oder wird ein blutiger Krieg über die Zukunft allen Lebens entscheiden?

Hervorragende Vorgängerbände

Als ich vor gut zwei Jahren mit dem ersten Teil der Architekten-Trilogie begann, war ich mehr als nur begeistert. Tchaikovsky gelang es sowohl auf einer höheren Ebene mit Universen-übergreifenden Gedanken als auch auf einer emotionalen Ebene mit packenden Charakteren eine überzeugende Space Opera zu verfassen, die sogar Gelegenheits-Sci-Fi-Leser wie mich vollends überzeugen konnte. Auch der zweite Teil hielt – abzüglich der typischen Mittelband Probleme – zu weiten Teilen das Niveau des Vorgängers.

Ein Abschlussband steht aber vor eine Reihe von ganz neuen Problemen: Werden alle Handlungsstränge zu einem befriedigenden Ende geführt? Werden die übergeordneten Fragestellungen aufgeklärt? Oder stellt der vermeintliche Abschluss nur einen Teaser für weitere Bände dar, um möglichst viel Geld mit einer Reihe zu verdienen?

Parallele Entwicklungen

Die Handlung setzt kurze Zeit nach den Ereignissen des zweiten Bandes an und wir merken sofort, dass wir dem großen Finale entgegensteuern. Bündnisse geben sich zu erkennen, offene Fragen am laufenden Band beantwortet und die Karten werden auf den Tisch gelegt – allgemein scheint die Zeit der Handlungen gekommen zu sein.

Wir können den Plot dabei in zwei größere Abschnitte einteilen. Die erste Hälfte dreht sich um den Kampf um das Auge, der uralten Originator-Technologie, der eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Architekten zukommt. Die zweite Hälfte widmet sich hingegen im weitesten Sinne dem Kampf gegen die Architekten selbst.

Dabei gibt es zwei parallele Entwicklungen: Zum einen werden die Konflikte immer größer: Mehr Parteien, mehr Figuren, mehr Interessen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft allen Lebens – mehr geht quasi nicht. Zum anderen wird unser Blickwinkel aber auch immer kleiner und persönlicher. Noch nie waren wir – mit einer Ausnahme – enger an unseren Figuren und nie erlebten wir ihre Ängste, Zweifel und Sorgen so hautnah mit, wie es hier der Fall war.

Akribisch vorbereitetes Finale

Die im ersten Band ausführlich behandelte Flüchtlingsproblematik und die politischen Ränkespiele des zweiten Bandes werden aufgegriffen und weiterentwickelt, spielen aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Zum Glück möchte man sagen, schließlich benötigen die abschließenden Erkenntnisse um die Herkunft der Architekten so schon genug Raum.

Hier wird auch deutlich, wie akribisch Tchaikovsky sämtliche Entwicklungen vorbereitet hat. Auch wenn wir immer mehr sehen und erfahren, so stellen alle neuen Erkenntnisse letztlich eine Weiterentwicklung bereits bekannter Elemente dar – alles wirkt sehr organisch und nichts musste im letzten Moment noch aus dem Nichts hinzugefügt werden.

Würdiger Abschluss?

Und tatsächlich gelingt es ihm, viele Handlungsstränge zu einem befriedigenden Ende zu führen und die meisten offenen Fragen zu beantworten. Soweit ich es überblicken konnte, wurde keine Figur zurückgelassen und eine Fortsetzung scheint so gut wie ausgeschlossen.

Möchte man etwas kritisieren, dann den doch ein Stück weit repetitiven Charakter der ersten Hälfte, die zu stark an den zweiten Band erinnert. Aus Effizienzgesichtspunkten heraus hätte man die gesamte Handlung wohl in zwei große Bände quetschen können – aber seit wann beurteilt man Bücher aus der Perspektive eines BWLers?

Endlose Action-Szenen

Unser Autor bedient sich dabei einer gewohnt eher einfachen Sprache und setzt auf viele Dialoge und eine actionreiche Handlung, die von Anfang an für ein unglaublich hohes Erzähltempo sorgen – nur selten flog ich so schnell durch einen Roman wie hier.

Action ist auch das richtige Stichwort. Wir dürfen uns hier über zahlreiche handwerklich gut gemachte Action-Szenen freuen – schnell, wendungs- und abwechslungsreich und immer ganz nah an den Agierenden. Die Variationen sind dabei scheinbar endlos, mal auf Raumschiffen, mal gegen Raumschiffe, mal auf Raumschiffen gegen Raumschiffe, mit Pistolen, Messern, futuristischen Waffen, von, mit und gegen Menschen, Essiel, Schwarmer und so weiter und so fort.

Zudem ist bereits seit dem ersten Band bekannt, dass Tchaikovsky nicht zögert, wichtige Figuren sterben zu lassen, sodass wir immer gebannt mitlesen und (oft vergeblich) hoffen, dass unsere Lieblingsfigur den Schusswechsel überlebt.

Das Problem: Leider sind uns so gut wie keine Pausen vergönnt. Bis auf eine kurze Ruhephase in der Mitte des Romans und den Abschnitten im Unraum stehen wir permanent unter Strom. Logisch, dass dies irgendwann zu viel wird und ein unvermeidbarer Ermüdungseffekt eintritt.

(Zu)Viel Humor?

Auch in diesem Band versucht der Autor, die doch recht brutalen Geschehnisse mit viel Humor auszugleichen. Stellte die ruppige Art der Raumfahrer (v. a. der Crew der Geiergott) zu Beginn noch eine willkommene Abwechslung dar (die Abschnitte mit Olli sind stellenweise Gold wert), so erscheint er an dieser Stelle mittlerweile unpassend.

Im Laufe der Reihe mussten wir viele Figuren verabschieden (ganz zu schweigen von den Opfern der Architekten) und die Überlebenden sind entweder körperlich oder geistig gebrochen, sodass der x-te kesse Spruch eines Charakters ziemlich unpassend wirkt.

Passend dazu steigt auch der „Horror“-Anteil mit zunehmender Aufenthaltsdauer im Unraum. Stellenweise erinnert die Mischung aus maritimen Elementen und der Unbegreiflichkeit und Unnennbarkeit des Grauens sehr stark an H. P. Lovecraft.

Irrelevante Einzelschicksale

Das Rückgrat der Reihe bildete das bis zur letzten Nebenrolle stark besetzte Figurensammelsurium. Im abschließenden Band scheint es beinahe so, als ob der Autor allen Überlebenden noch einen kurzen Auftritt als Erzähler gönnen wollte. Sogar ehemals im Hintergrund agierende Nebenfiguren wie die Uskaros erhalten einige kurze Kapitel für sich – der Umfang ist aber immer noch absolut vertretbar für den durchschnittlich aufmerksamen Leser.

Charakterentwicklung findet hingegen so gut wie gar nicht mehr statt. Die Handlung konzentriert sich auf einen recht kurzen Zeitraum und es geht auch nicht mehr um das Schicksal des Einzelnen, sondern um viele kleine Beiträge zur Lösung eines gewaltigen Problems.

Darunter haben auch die meisten Figuren zu leiden. Idris beispielsweise schleppt sich nur durch die Handlung, muss auf dem gesamten Weg wieder unzählige Qualen durchstehen und wird erst auf den letzten zweihundert Seiten wichtig. Ehemals wichtige Figuren wie Kris oder Trost haben ihre Aufgabe sogar verfüllt und dienen nur noch als Stichwortgeber.

Eine Ausnahme gilt für Olli, die die wohl überraschendste Wendung der gesamten Trilogie vollzieht und sich im Laufe der Bände nach und nach zu meiner Lieblingsfigur gemausert hat – aber diese Überraschung werde ich auf keinen Fall verderben.

Was bleibt?

Die Herren des Abgrunds von Adrian Tchaikovsky gelingt es, die Architekten-Trilogie zu einem befriedigenden Abschluss zu führen.

Ich kann die Nörgler schon hören: Zu viele Kämpfe, keine Charakterentwicklung bla bla. Aber was hat der Autor nicht alles richtig gemacht? Alle Handlungsstränge wurden zu einem befriedigenden Ende geführt und keine Frage offengelassen – was will man mehr von einem Abschlussband? Dazu kommt noch eine äußerst interessante und abwechslungsreiche Welt (die eigentlich viel zu schade ist, um sie zu vergraben), ein unglaublich gut besetztes Figurenensemble und handwerklich solide bis meisterhafte Fähigkeiten. Nicht nur für Genre-Fans eine lohnende Lektüre!

Gewöhnliches Paperback

Rein äußerlich handelt es sich um ein handelsübliches Paperback des Heyne Verlages mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Leider wird auch hier das Cover der Qualität der Reihe nicht einmal ansatzweise gerecht – immerhin versucht man mit einer ansprechenden Schriftart und passenden Farben möglichst viel zu retten.

Wie schon in den Vorgängerbänden finden wir auch hier einen umfangreichen Anhang vor. Neben einem Glossar mit den wichtigsten Begriffen finden wir hier auch eine Übersicht mit allen auftauchenden Figuren, Welten, Völkern, Schiffen und so weiter und so fort.

Daneben wurde auch die umfangreiche Zeitlinie fortgeführt und bis zu den Ereignissen des zweiten Bandes aktualisiert – eine ideale Gelegenheit zur Auffrischung, falls die Lektüre eine Weile her sein sollte. Die gewohnt lautlos saubere Übersetzung stammt von Irene Holicki.

Pro/Contra

Pro
  • Herausragende Actionszenen
  • Würdiger Abschluss der Trilogie
  • Sympathisches Figurenensemble
Contra
  • Zu viele Actionszenen
  • Die erste Hälfte erscheint ein Stück weit repetitiv

Fazit


Die Herren des Abgrunds von Adrian Tchaikovsky stellt einen gelungenen Abschluss einer unterhaltsamen Space Opera dar, die auf beinahe allen Ebenen vollumfänglich überzeugen kann. Pflichtlektüre für Genre-Fans!

autor: Adrian Tchaikovsky

Titel: Die Herren des Abgrunds

Seiten: 714

Erscheinungsdatum: 2024 (2023)

Verlag: Heyne Verlag

ISBN: 9783453321847

übersetzerin: Irene Holicki

illustratorIn: –

Reihe: Architekten-Trilogie (3)

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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