Das Cover des Buches „Die Stadt der Dolche“ von Walker Dryden ist auf einer Holzoberfläche platziert. Das Cover zeigt eine Illustration einer Stadt innerhalb eines schildähnlichen Symbols.

Die Stadt der Dolche

von Walker Dryden


18.06.2022

  • Fantasy

Die Stadt der Dolche ist der erste Teil der Romanfassung des erfolgreichen BBC-Podcasts Tumanbay. Doch kann die Geschichte auf dem Papier ebenso überzeugen wie die Vorlage?

In den letzten Wochen habe ich die phantastische Literatur auf diesem Blog stark vernachlässigt, nur vereinzelt erschien mal ein entsprechender Beitrag. Um nicht den Anschluss zu verlieren, habe ich mir daher vorgenommen, zumindest eine Handvoll aktueller phantastischer Titel jährlich zu lesen. Die Stadt der Dolche ist mir dabei bereits in der letzten phantastischen Büchervorschau aufgefallen, und spätestens die Rezension von Aleshanee hat mich dazu bewogen, es mit diesem Buch zu versuchen.

Ein Imperium droht zu stürzen…

In Die Stadt der Dolche verschlägt es uns in die Stadt Tumanbay, Mittelpunkt und Umschlagplatz eines ganzen Imperiums. Gestützt auf ihrer hervorragenden Lage und dem florierenden Sklavenhandel breitete die Stadt im Laufe der Jahrhunderte ihren Einflussbereich immer weiter aus und eroberte Stadt für Stadt. Infolge dessen entwickelte sich Tumanbay selbst zu einem Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen und Gesellschaftsschichten, in dem Armut und Reichtum nah beieinander liegen.

Doch noch ist jedes große Imperium eines Tages zusammengebrochen und auch Tumanbay droht dieses Schicksal: In einer fernen Provinz erhebt sich die Usurpatorin Maya und schart innerhalb kürzester Zeit eine erhebliche Zahl von Anhängern um sich. Sultan al-Ghuri, seines Zeichens Herrscher von Tumanbay, muss zu allem Überfluss schon bald feststellen, dass Maya nicht die einzige Gefahr ist, die Tumanbay droht. Innerhalb der Stadt haben verschiedene Akteure ihre Netze ausgebreitet und setzten zu einem Machtkampf an, dessen Ausgang niemand vorhersehen kann…

Basierend auf dem BBC-Podcast

Ich muss gestehen, dass ich vor der Lektüre des Romans noch nichts von der Podcast Vorlage Tumanbay gehört habe. Umso überraschter war ich, als ich zu Recherchezwecken reingehört habe. Von 2015 bis 2020 veröffentlichten die Drehbuchautoren und Podcaster John Scott Dryden und Mike Walker (= Walker Dryden) mit Unterstützung des BBC vier Staffeln eines wirklich aufwendigen und liebevoll inszenierten Projekts. Die Bezeichnung Podcast ist dabei wohl dem Zeitgeist geschuldet, vor 10 Jahren wäre ihr Unterfangen glatt als Hörspiel durchgegangen – mit allen Annehmlichkeiten, die dieses Format nun mal so mit sich bringt.

Game of Thrones im Orient?

Die Stadt der Dolche wird auch als Game of Thrones im Orient beworben, ein Vergleich, der zwar nachvollziehbar, aber nicht ganz zutreffend ist. Zutreffend ist, dass das Autorenduo von einem Machtkampf um ein gewaltiges Reich erzählt und sich dabei einer Vielzahl an Charakteren bedient. Über 15 Erzähler haben ihren Auftritt in diesem Band und gerade zu Beginn fällt es dabei schwer, den Überblick zu bewahren. Doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, da sich frühzeitig Hauptfiguren herauskristallisieren und so ein Stück weit Orientierung bieten.

Die Autoren haben dabei sichtlich bemüht, den Figuren Leben einzuhauchen und sie greifbarer zu machen, indem sie etwa ihre Vorgeschichten integrieren. Überschlägt man allerdings die Zahl der Figuren und die Seitenanzahl dieses Bandes, dann kann man sich schon denken, dass dies nicht bei allen Figuren gleichermaßen gut und ausführlich gelingt.

Die Vielfalt der Figuren hat ihren Preis

Während etwa die Hauptfigur Gregor viel Raum eingeräumt bekommt und entsprechend einigermaßen plastisch wirkt, bleibt sein Gegenspieler Cadali die ganze Erzählung über blass und bedient einfach nur alle Klischees, die man von einem Hof-Intriganten erwartet. Bei vielen anderen Charakteren wiederum ist es einfach noch nicht abschließend möglich, sich ein Bild zu machen, da uns die Autoren bislang bewusst (?) Informationen vorenthalten.

Auch bietet die geringe Seitenzahl wenig Raum für interne Entwicklungen der Protagonisten. In den meisten Fällen ist das auch unerheblich, da bei ihnen Machtspiele im Vordergrund stehen. Auffällig wird das nur, wenn die Entwicklung gerade im Mittelpunkt des Erzählstrangs stehen soll. So etwa beim Kronprinzen Madu, der innerhalb kürzester Zeit ohne wesentliche Anhaltspunkte eine ziemlich unglaubwürdige Wandlung vom faulen Thronfolger zum relativ reifen jungen Mann durchmacht.

So sehr mir die Idee eines kurzen und in sich abgeschlossenen Zyklus gefällt – ich hätte mir angesichts der verfolgten Dimensionen einige Hundert Seiten mehr gewünscht. So muss leider der eine oder andere Charakter unter einer verknappten Darstellungsweise leiden.

Worldbuilding mit guten und schlechten Aspekten

Ein wesentlicher Bestandteil der meisten Fantasy-Romane ist das Worldbuilding, also der Aufbau einer glaubwürdigen und faszinierenden Welt. Wie bereits erwähnt, findet ein Großteil der Handlung in der Stadt Tumanbay selbst statt, nur wenige andere Passagen spielen etwa in der Wüste oder auf dem Meer. Die Autoren versuchen dabei ihrer Geschichte einen passenden orientalischen Rahmen zu verpassen, sei es durch bloße Nahrungsmittel, Gerüche oder auch nur entsprechende Gebäude.

Dies gelingt ihnen auch recht gut, aber auch hier offenbart sich ein strukturelles Problem: Als Podcast war Tumanbay gar nicht darauf angewiesen, durch sonderlich viel Text ein glaubwürdiges Setting zu erschaffen, dafür standen schließlich Audio-Elemente zur Verfügung. Diese können aber naturgemäß nicht eins-zu-eins umgesetzt werden und so fehlt stets das gewisse Etwas, dass die Stimmung von gut zu sehr gut getragen hätte.

Was ich persönlich für viel schlimmer halte, ist die unglaubwürdige und inkonsequente Integration der Sklaven-Thematik. Dafür, dass immer und immer wieder betont wird, dass die Stadt Tumanbay ihren wirtschaftlichen Erfolg ihren Sklaven verdankt, scheinen Sklaven dort ein recht angenehmes und beinahe schon luxuriöses Leben führen zu können.

Die wenigen Szenen, in denen die Thematik konsequent behandelt wird, können bei Weitem nicht die Szenen aufwiegen, in denen Sklaven eher wie freie Menschen agieren. Natürlich heißt das nicht, dass ich mir mehr Szenen wünsche, in denen auf die negativen Aspekte dieses Daseins hingewiesen wird, aber in der hier vorliegenden Form ist das alles andere als schlüssig und konsequent.

Positiv aufgefallen ist mir der kaum vorhandene Einsatz von phantastischen Elementen. Das hört sich erst einmal widersprüchlich an bei einem Fantasy-Roman, aber wenn man einige einschlägige Romane hinter sich hat, dann ist man über jede gebotene Zurückhaltung froh.

Ein echter Pageturner

Prägend für die Struktur des Romans ist die Dialoglastigkeit, die sicherlich auch der Podcast-Vorlage geschuldet ist. Wenn deutlich mehr als die Hälfte des Romans aus Dialogen besteht, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich bei ihnen um das Herzstück des Romans handelt. Mit ihnen steht und fällt letztlich die Erzählung: Stimmen die Dialoge, dann haben wir einen überaus unterhaltsamen Fantasy-Roman vor uns, stimmen sie nicht, dann allenfalls Durchschnitt. Und hier lässt sich immerhin festhalten, dass die Dialoge öfters stimmen, als nicht.

Auf jeden Fall sorgt die Dialoglastigkeit in Verbindung mit den kurzen Kapiteln für ein unglaublich hohes Lese- und Erzähltempo – wir Leser fliegen geradezu durch die Geschichte. Und dies tut der Geschichte in jeglicher Hinsicht gut. Viele Schwächen in Sachen Worldbuilding oder Charakterentwicklung fallen kaum auf, weil der Leser selten Gelegenheit hat, einen Moment innezuhalten und geordnet über das Geschehene nachzudenken. Stattdessen wird dieser Aufbau noch durch die spannenden Intrigen am Hof von Tumanbay flankiert, die dafür sorgen, dass man als Leser überhaupt nicht zur Ruhe kommt und gebannt der Handlung folgt.

Insgesamt lässt sich allerdings feststellen, dass Die Stadt der Dolche sehr abhängig ist von der Hörspielvorlage. So ein Hörspiel lebt nun einmal auch von guten Erzählern, die der Geschichte kraft der Emotionen ihrer Stimme mehr hinzufügen, als es der eigentliche Text zulassen würde. In den meisten Szenen ist es den Autoren gelungen, dies gut umzusetzen.

Umso mehr fällt es auf, wenn dies nicht gelungen ist. Wenn sich etwa ein Protagonist in den Katakomben verirrt und im Dunkeln durch die Gänge irrt, dann ist das handwerklich solide gemacht, aber man merkt auch als Leser, dass diese Szene nur im Rahmen eines Hörspiels wirklich gut funktionieren kann.

Was bleibt?

Die Stadt der Dolche ist ein moderner und unterhaltsamer Fantasy-Roman, der vieles richtig und nichts wirklich falsch macht, aber auch in keinem Bereich wirklich herausragt. Tumanbay wird sicherlich nicht in 100 Jahren zu den 10 besten Reihen des Genres zählen. Wer damit leben kann, wird aber mit einer überaus spannenden und temporeichen Erzählung belohnt, die einem bis zum Ende nicht zur Ruhe kommen lässt und neugierig auf die Fortsetzung (Der vergiftete Thron) macht, die die Reihe gleichzeitig zum Abschluss bringen wird.

Das Äußere entspricht den Erwartungen

Rein äußerlich entspricht das Buch aus dem Hause Blanvalet genau den Erwartungen, die man an ein Paperback stellen kann und muss. Das Cover und allgemein der gesamte Schutzumschlag wurden sehr gefällig und harmonisch gestaltet – schade, dass es da „nur“ bei einem Paperback geblieben ist. Übersetzt wurde der Roman von Urban Hofstetter, der bis auf ein oder zwei zumindest unstimmige Formulierungen eine gute Übersetzung abgeliefert hat.

Pro/Contra

Pro
  • die Dialoglastigkeit sorgt in Verbindung mit den kurzen Kapiteln für ein hohes Erzähltempo
  • die Intrigen erreichen zwar nicht GoT Niveau, halten den Leser aber dennoch in ihrem Bann
Contra
  • Worldbuilding und Charakterentwicklung sind noch ausbaufähig

Fazit


Die Stadt der Dolche erfindet das Genre nicht neu und leidet an der einen oder anderen Stelle unter einer inkonsequenten Podcast-Umsetzung. Abgesehen davon haben wir es hier mit einem wahren Pageturner zu tun, der für einige Stunden spannende Unterhaltung bietet. Wer einfach nur gute Unterhaltung sucht, ist hier genau richtig!

autor: Walker Dryden

Titel: Die Stadt der Dolche

Seiten: 636

Erscheinungsdatum: 2020

Verlag: Blanvalet Verlag

ISBN: 9783734163210

übersetzer: Urban Hofstetter

illustrator: –

Reihe: Tumanbay (1)

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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Aleshanee
Aleshanee
21.06.2022 07:52

Schönen guten Morgen!

Also mich konnte dieser Auftaktband wirklich total begeistern!
Ich hatte von dem Podcast vorher nichts gehört – ich bin auch ehrlich gesagt kein Fan von Podcasts überhaupt – und hatte deswegen auch ein bisschen bedenken, wie das als Buch funktioniert…
Klar es sind viele Charaktere und natürlich können die nicht alle so differenziert „betrachtet“ werden. Aber ich fand, darum ging es hier auch gar nicht. Die Handlung, die Intrigen, die vielen Ueberraschungen und Wendungen die man hier erlebt, die waren einfach klasse und insgesamt sehr spannend aufgebaut.
Eben mal anders und nicht so fokussiert auf Figuren oder dem Weltenaufbau – es geht an sich auch „nur“ um diese riesige Metropole … aber dafür fand ich es wirklich super 😀 Ich freu mich jedenfalls schon sehr auf den 2. Band und finde es jetzt schon schade, dass es nur 2 Teile sind.

Liebste Grüße, Aleshanee

Eugen
22.06.2022 05:56
Antwort an  Aleshanee

Guten Morgen Aleshanee!

Ich zerlege die Dinge gerne in ihre Einzelteile und betrachte sie auch für sich. So kommen dann wahrscheinlich auch mehr Kritikpunkte zusammen, als der Roman insgesamt verdient hat.🤔

Ich stimme dir dabei zu, dass der Roman in seinen „Kernbereichen“ vollkommen überzeugen kann, spannend war der Roman allemal!
Vermutlich sollte ich etwas an meinen Formulierungen arbeiten, um das besser transportieren zu können, aber wenn ein Roman unterhaltsam ist, dann ist das schon ein großes und wichtiges Qualitätsmerkmal, immerhin scheitern viele Werke schon daran! Mir ging es nur darum, den Roman im Genre insgesamt einzuordnen und da kommt er m.E. nicht ganz an die großen Werke von etwa Robin Hobb heran – aber das gilt sicherlich für die meisten Werke – von daher nur eine Abgrenzung und keine Wertung.

Ich freue mich auch schon auf den zweiten Band, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie die Geschichte in einem Band abgeschlossen werden kann 😀

Aleshanee
Aleshanee
22.06.2022 07:34
Antwort an  Eugen

Hihi, ich zerlege dafür nicht so gerne und sehe es am Ende eines Buches eher gerne „im gesamten“ – und da hat es mich einfach durchweg überzeugt 🙂

Es muss für mich auch nicht in allen Punkten alles beinhalten, wenn es mich mitreißen kann und mir nichts fehlt, stört mich das am Ende auch nicht. Aber ich weiß jetzt, was du meinst und was du damit sagen wolltest!

Ich bin auch echt gespannt, wie sie das jetzt im 2. Band zum Abschluss bringen werden!

Flo
Flo
19.06.2022 23:50

Klingt eigentlich nach einem schönen, lockeren Fantasy-Roman für zwischendurch. Würden nicht noch die zweite und die dritte Weitseher-Reihe auf mich warten, ich würd jetzt im Sommer wohl mal reinlesen

Eugen
21.06.2022 06:19
Antwort an  Flo

Genau so kann man den Roman auch einordnen!

Robin Hobb ist natürlich eine ganz andere Liga, da verstehe ich dich vollkommen 🙂