Die Maschine steht still
von E. M. Forster
10.11.2023
- Klassiker
- ·
- Science-Fiction
Edward Morgan Forster nahm 1909 in seiner Kurzgeschichte „Die Maschine steht still“ (The Machine Stops) weite Teile der technologischen Entwicklung vorweg und entwickelte daraus eine düstere Zukunftsvision. Doch wurde der Roman mittlerweile nicht längst von der Realität eingeholt?
Den Bienen gleich…
In einer nicht mehr weit entfernten Zukunft hat die Menschheit ihr größtes Ziel erreicht: Die Abschaffung jeglicher mühevoller und beschwerlicher Arbeit. Alles, was auch nur im Entferntesten mit Belastung und Anstrengung verbunden ist, hat sie der MASCHINE überlassen. Die MASCHINE stellt eine Art weltumspannenden Supercomputer dar, der jegliche Aspekte des menschlichen Daseins und Zusammenlebens ermöglicht, erleichtert und kontrolliert.
Stattdessen lebt jeder Mensch in einer abgekapselten Welt in Gestalt einer wabenförmigen Zelle unterhalb der Erdoberfläche – das Leben auf der Oberfläche selbst ist schon seit langer Zeit nicht mehr möglich. Nahrung, Luft oder Licht sind dabei – wenngleich auch nur künstlich – stets nur einen Knopfdruck weit entfernt.
Die Kommunikation untereinander beschränkt sich zumeist auf Videokonferenzen. Auch wenn physische Interaktionen theoretisch denkbar wären, so gelten solche persönlichen Begegnungen zumindest als unüblich und direkte Berührungen sogar als äußerst unhöflich.
Doch nach und nach treten erste Fehler auf. Das Problem? Es gibt niemanden mehr, der versteht, wie die Maschine funktioniert und wie man sie reparieren könnte. Droht die Maschine tatsächlich zum Erliegen zu kommen? Und bedeutet dies das Ende der Menschheit?
Fingerübung eines großen Autors
Die Kurzgeschichte „Die Maschine steht still“ erschien erstmals 1909 in der Literaturzeitschrift Oxford and Cambridge Review als eine Art Fingerübung des Briten Edward Morgan Forster. So erschien etwa ein Jahr zuvor mit „Zimmer mit Aussicht“ (1908) und ein Jahr darauf mit „Wiedersehen in Howards End“ (1910) zwei viel beachtete Werke des Autors. Bekanntheit erreichte er darüber hinaus vor allem durch seine Mitgliedschaft in der Bloomsbury Group, einem Zirkel, dem unter anderem auch Virginia Woolf angehörte.
Forster wollte seine Geschichte vor allem als eine Antwort auf H. G. Wells Die Zeitmaschine verstanden wissen. Während Wells in seiner Dystopie weiterhin menschliche Faktoren als größte Bedrohung der Menschheit ansah, erkannte Forster schon früh die Gefahren, die von der Technik selbst ausgehen.
Düstere Visionen
Dies ist umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen führt, dass die Geschichte 1909 geschrieben wurde und damit zu einer Zeit, in der das Internet nicht einmal ansatzweise denkbar war. Und dennoch gelang es ihm, weite Teile dieses technischen Fortschritts mit allen damit verbundenen (Un-)Annehmlichkeiten vorwegzunehmen. Im Grunde sah er bereits vor hundert Jahren durch den technischen Fortschritt verursachte Probleme voraus, die größtenteils erst in den letzten zehn Jahren in unser kollektives Bewusstsein vorgedrungen sind.
Neben der beinahe schon beiläufig erwähnten Umweltverschmutzung und dem Raubbau an der Umwelt geht es in erster Linie darum, wie sich das Wegfallen direkter Erfahrungen und Interaktionen auf den einzelnen Menschen auswirkt. Traurige Relevanz hat dieses Thema vor allem durch die Aus- und Nachwirkungen der Corona-Krise erhalten.
Die zunehmenden Oberflächlichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen, das Abstumpfen emotionaler und körperlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, Fake News, die religiöse Verehrung technologischer Produkte, die zunehmende Beschäftigung mit Themen aus zehnter Hand (man denke nur an Reaction-Videos…) – all dies wird in der Kurzgeschichte so realistisch geschildert, dass ich eigentlich nur eine Zitate-Sammlung präsentieren bräuchte. Weiterer Erläuterungen oder Deutungen bedürfte es jedenfalls nicht.
Viel mehr kann man sich fragen, ob die Schreckensvisionen des Autors nicht schon längst von unserer Realität überholt wurden. Unsere Waben mögen nicht sichtbar sein, aber sind wir heutzutage wirklich lebensfähiger oder kommunikationsfähiger als Forsters Protagonisten?
Die Erzählung Die Maschine steht still, 1909 veröffentlicht – also Jahrzehnte, bevor es die ersten Computer gab -, ist vermutlich die früheste und wahrscheinlich auch heute noch treffendste Beschreibung des Internets. Wie E. M. Forster das gemacht hat, bleibt ein Geheimnis.
– Jaron Lanier
Handwerklich solide
Handwerklich liefert der Schriftsteller eine solide Arbeit ab, die weder positiv noch negativ hervorzustechen vermag. Wir folgen dabei einem auktorialen Erzähler und fokussieren uns auf zwei Charaktere:
Zum einen folgen wir der älteren Vashti, die ihr Leben völlig der Maschine unterworfen hat und vom Autor mit nur wenig schmeichelhaften Worten bedacht wird. Sie zeichnet sich vor allen durch die kühle Rationalität einer fanatischen Fundamentalistin aus. Ihr Sohn Kuno ist hingegen das völlige Gegenteil und mit einem ausgeprägten Freiheitsdrang und leidenschaftlichen Charakterzügen ausgestattet worden.
Die ohnehin schon sehr kurze Geschichte ist zudem noch in mehrere Abschnitte unterteilt, die nötig sind, um die häufigen Zeitsprünge lesergerecht darstellen zu können. Dies geht allerdings auch zulasten eines ordentlichen Spannungsbogens. Man mag sich anhand dieser Zutaten leicht ausmalen können, dass der Plot – zumindest aus heutiger Perspektive – ebenso eingängig wie vorhersehbar ist und im Grunde genommen genauso verläuft, wie man es sich vorstellt.
Was bleibt?
In Die Maschine steht still schilderte E. M. Forster bereits 1909 mit unheimlicher Präzision eine dystopische Zukunft, in der wir uns heute zu weiten Teilen wiederfinden können. Dabei ist insbesondere beängstigend, wie genau Forster den Fortschritt und die damit verbundenen Probleme vorhergesehen hat.
Handwerklich handelt es sich allerdings um eine allenfalls solide Geschichte. Daher sei sie vor allem jenen ans Herz gelegt, die sich für die Anfänge der phantastischen Literatur interessieren oder die sich mit den Gefahren der zunehmenden und unaufhaltsamen technologischen Abhängigkeit der Menschheit beschäftigen wollen.
Bibliophil ausgestattete Kurzgeschichte
Rein äußerlich handelt es sich um ein schönes Büchlein aus dem Hause Hoffmann und Campe, dass nicht ohne Grund ein Stück weit an Die Menschenfabrik von Oskar Panizza erinnert.
Rein äußerlich dürfen wir uns über einen Leineneinband freuen, der durch ein inhaltlich äußerst passendes Covermotiv verziert wurde. Das verwendete Papier ist zudem recht stabil und dick – anders könnte man aus den gut achtzig Seiten ohnehin kein ganzes Buch formen. Verzichten müssen wir lediglich auf eine Fadenheftung und ein Leseband – was schade ist, durch den niedrigen Preis aber gerechtfertigt wird.
Übersetzt wurde die Geschichte von Gregor Runge, der eine moderne Übersetzung vorlegt, ohne das Alter der Geschichte durch eine stellenweise altertümliche Ausdrucksweise zu verleugnen.
Pro/Contra
Pro
- Erschreckend aktuelle und präzise Dystopie
Contra
- Aus heutiger Perspektive überholter Plot
Fazit
Die Maschine steht still von E. M. Forster stellt eine überraschend aktuelle und erschreckend präzise Dystopie dar, die vor allem Freunde des Genres und Technologie-Skeptiker begeistern dürfte.
autor: E. M. Forster
Titel: Die Maschine steht still
Seiten: 80
Erscheinungsdatum: 1909
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 9783455405712
übersetzer: Gregor Runge
illustratorIn: –
Vor einigen Jahren auf Englisch in einer bei Weitem nicht so schmucken Ausgabe gelesen … und zu einem sehr ähnlichen Schluss wie du gekommen. 🙂 Aber schon sehr faszinierend, was er alles vorhergesehen hat.
Ich frage mich da manchmal, ob er mit seinen Vorhersagen einfach ein wenig „Glück“ gehabt hat oder ob wir Menschen wirklich so einfach gestrickt sind, dass viele Autoren den Einfluss von Technologie auf unser Leben so gut einschätzen konnten.
Und ist es eigentlich ein beunruhigender oder ein beruhigender Gedanke, dass wir zwar die Schreckensvisionen der Vergangenheit bereits x-fach überholt haben, aber immer noch ein halbwegs zufriedenes Dasein führen können? 🤔😅
Hallo Eugen,
eine wirklich sehr gelungene und hilfreiche Rezension. Gerade Deine Betrachtung des dystopisch-wissenschaftlichen Plots unter Berücksichtigung unserer heutigen Perspektive ist ausgesprochen interessant. Ich lese derzeit H.G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“ von 1896, bei der ich mit ganz ähnlichen Fragestellungen konfrontiert bin. Da ist ein Blick auf Deine schöne Rezension von E.M. Forsters „Die Maschine steht still“ sehr willkommen.
LG Jörg („Horatio-Bücher“) 😀
Hallo Jörg,Vielen Dank für deine lobenden Worte! Ich bin schon gespannt, was du zu Wells zu berichten weißt, schließlich habe ich bereits ein Auge auf die neue liebeskind-Ausgabe geworfen 😀Liebe Grüße,Eugen