Auf einer Holzfläche liegt die deutsche Ausgabe des Buches „Die Jungen von der Paulstraße“ von Ferenc Molnár. Auf dem Cover sind drei Jungen abgebildet, die im Freien stehen.

Die Jungen von der Paulstraße

von Ferenc Molnar


18.02.2023

  • Klassiker

Ferenc Molnars Kinderbuchklassiker Die Jungen von der Paulstraße gilt vielerorts als Klassiker der Jugendbuchliteratur und gehört sogar zum Pflichtkanon an ungarischen Grundschulen. Doch was macht diesen Roman aus?

Kampf um die Heimat

Im Budapest der vorletzten Jahrhundertwende werden wir Zeugen eines erbitterten Konflikts zweier verfeindeter Gruppierungen: Die „Rothemden“, eigentlich heimisch im botanischen Garten, sind auf der Suche nach einer neuen Basis, um endlich ungestört Ball spielen zu können. Als Ziel haben sie sich den „Grund“ auserkoren, eine schon seit Jahren brachliegende Baustelle. Das Problem? Der „Grund“ ist schon die Heimat der Jungen von der Paulstraße und die sind natürlich alles andere als begeistert von den Bestrebungen der verfeindeten Rothemden. Es beginnt ein erbitterter Kampf, der beiden Seiten alles abverlangt und auf beiden Seiten Verräter, Opfer und Helden hervorbringt …

Ein Sprung ins kalte Wasser

Letztlich war es mehr Intuition als Wissen, die mich zur Lektüre dieses Buches bewegt hat. Weder habe ich bislang ein Werk dieses Autors gelesen (trotz seines Status als einer der bekanntesten ungarischen Schriftsteller und Dramatiker), noch habe ich eine der zahlreichen Verfilmungen gesehen – auch wenn sogar recht aktuelle Verfilmungen zur Auswahl stehen (unter anderem eine aus dem Jahre 2004 mit Mario Adorf). Auch gehören Jugendbücher nicht zu meinen primären Lesequellen. Aber einige wenige Hintergrundinformationen haben schon gereicht, um Erinnerungen an Romane wie Erich Kästners Das fliegende Klassenzimmer wieder aufkommen zu lassen und ab dann war es um mich geschehen.

Handwerklich ganz klar ein Jugendbuch

Starten wir zunächst auf der handwerklichen Ebene: Molnar bedient sich eines allwissenden Erzählers, um uns durch das Geschehen zu leiten. Dabei gelingt es ihm mühelos mithilfe weniger Worte die Stadt Budapest vor unseren Augen auferstehen zu lassen. Ich selber hatte leider noch nicht das Vergnügen, diese Stadt persönlich zu besuchen, aber durch die Mischung aus kurzen Beschreibungen, eingestreuten Kommentaren des Erzählers und dem lebendigen Figurenensemble fiel es mir nicht schwer, mich in Stadt und Zeit zu versetzen.

Sprachlich merkt man Molnar die Bemühungen an, den (vermeintlichen) Anforderungen an ein Jugendbuch gerecht zu werden und in weiten Teilen gelingt ihm dies auch. Die Landschaftsbeschreibungen beschränken sich auf das notwendige Minimum und sowohl Wortwahl als auch Satzbau sind auf einem einfachen Niveau anzusiedeln. Dafür nimmt er sich viel Zeit, um die Fantasiewelten und Gedanken seiner jungen Protagonisten detailliert zu schildern, etwa indem er sich einige Seiten Zeit nimmt, um die Rangordnung innerhalb der fiktiven Paulstraßen-Armee zu schildern.

Ein „gewissenhafter“ Erzähler

Als weniger gelungen erweisen sich hingegen einige Kommentare des Erzählers selbst: Stellenweise drängt er sich mit seinen moralischen Vorstellungen dem Leser geradezu auf und erklärt lang und breit, welches Verhalten aus welchem Grund richtig oder falsch war. Ich selber habe im konkreten Fall zwar keine „problematischen“ Stellen ausmachen können, aber im Zweifel und falls man das Buch relativ jungen Lesern an die Hand geben möchte, sollte man überprüfen, ob man diese Werte auch vermitteln möchte.

Der Zauber der Jugend

Das ist allerdings auch der größte Vorwurf, dem man diesem Roman machen möchte und kann, da er in allen anderen Aspekten brilliert. So versteht es Molnar, den Zauber der Jugend wieder aufleben zu lassen und Erinnerungen an die eigene Kindheit zu wecken. Wer hat nicht ganze Welten in seinem Kopf aufleben lassen, Schlachten gegen übermächtige Armeen geschlagen und dabei so lästige Hindernisse wie Erwachsene oder die letzten fünf Minuten vor Schulschluss überwinden müssen?

Anders als die Rezension bislang vermutlich nahegelegt hat, geht es aber nicht ausschließlich um einen fiktiven Krieg. Als Leser erwarten uns viele weitere Nebenschauplätze, man denke beispielsweise an den skurrilen Kittverein (mein persönliches Highlight) oder so manche Szene, die sich an ein älteres Publikum richtet (u.a. die Schneider-Szene). Auf letztere möchte ich dabei nicht weiter eingehen, um nicht das Ende des Romans vorwegzunehmen.

Figuren mit Identifikationspotential

Das breit gefächerte Figurenensemble bietet dabei gerade für junge Leser mehr als genug Identifikationspotential. So begeistert der ruhige und besonnene Johann Boka in seiner Rolle als Anführer der Bande, während der junge Nemecsek über sich hinaus wächst und bald schon zum eigentlichen Helden der Geschichte wird. Aber auch die Rothemden als gegnerische Gruppierung verfügen mit Ats Feri oder dem tollpatschigen Szebenics über genügend sympathische Figuren.

Als Jugendbuch geeignet?

Auch wenn der Roman sowohl stilistisch als auch inhaltlich als Jugendbuch konzipiert ist, kann ich das Buch nicht uneingeschränkt für alle (sehr) jungen Leser empfehlen. Während man in dem Alter die militärischen Aspekte wahrscheinlich sowieso überliest oder nur als Teil eines gewissenhaften Spiels begreift, thematisiert Molnar auch Aspekte wie den Tod und Verrat. Dabei hat er zu jedem Thema auch eine eigene Meinung und zögert nicht, sie mithilfe seines Erzählers diese auch kundzutun.

Wie ich weiter oben bereits angedeutet habe, sehe ich persönlich keinen dieser Kommentare als wirklich problematisch an (höchstens ungeschickt oder überflüssig), – aber das ist nur meine Meinung. Darum sollte man das Buch bis zu einem gewissen Alter nicht ungelesen weitergeben, sondern mit seinem eigenen Weltbild vergleichen. Ab einer gewissen Reife des Kindes ist es dann sowieso egal, – jeder Leser weiß, dass man auch als Kind Mittel und Wege findet, um an ein interessantes Buch fernab elterlicher Zustimmung zu gelangen.

Was bleibt?

Ferenc Molnars (Jugend)Buch Die Jungen von der Paulstraße hat mich im Großen und Ganzen positiv überrascht. Trotz des einfachen und auf das Zielpublikum ausgerichteten Schreibstils schafft er es, Kinder und junggebliebene Erwachsene gleichermaßen in ein humorvolles und spannendes Abenteuer zu ziehen, dass den Zauber der frühen Jugend wieder auferstehen lässt. Die liebevoll ausgestalteten Charaktere bieten genügend Identifikationspotential und trösten über die wenigen gut gemeinten altväterlichen Äußerungen des Erzählers hinweg.

Die militärischen Aspekte und Themen wie Tod und Verrat dürfte bei einigen Eltern wohl für Stirnrunzeln sorgen. Während ich keine kritischen Aspekte erkennen kann, sei Zauderern die vorherige Lektüre angeraten – die meisten Sorgen dürften sich dann wohl in Luft auflösen. Alles in allem handelt es sich um ein unterhaltsames Jugendbuch, dass auch Erwachsenen einige vergnügliche Lesestunden bereiten dürfte.

Einfaches Hardcover – angemessener Preis

Rein äußerlich handelt es sich um ein solides Buch aus dem Hause Anaconda. Wir müssen zwar mit einem Pappeinband und einer Klebebindung vorliebnehmen, doch dies ist angesichts des äußerst fairen Preises gut zu verkraften. Die Übersetzung stammt von Edmund Alzalay und erschien erstmals im Jahre 1928, die Textgrundlage bildet aber eine aus dem Jahre 1935 stammende Fassung.

Positiv hervorheben möchte ich, dass der Verlag die „Eindeutschung“ der Namen der meisten Protagonisten im Vorfeld offenlegt und zugleich eine Anleitung mit an die Hand gibt, wie diese eigentlich auszusprechen sind.

Pro/Contra

Pro
  • einfacher Schreibstil
  • Molnar lässt den Zauber der Kindheit wieder auferstehen
  • sympathische Figuren mit Identifikationspotential
Contra
  • einige Aspekte des Romans könnten nicht in jedem Alter geeignet sein

Fazit


Die Jungen von der Paulstraße von Ferenc Molnar hält für junge und nicht mehr so junge Leser gleichermaßen zahlreiche Abenteuer bereit und lässt den Zauber der frühen Kindheit wieder auferstehen!

autor: Ferenc Molnar

Titel: Die Jungen von der Paulstraße

Seiten: 223

Erscheinungsdatum: 1906

Verlag: Anaconda Verlag

ISBN: 9783730612323

übersetzer: Edmund Alzalay

illustratorIn: –

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt

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