
Ein Gebet für die achtsam Schreitenden
von Becky Chambers
19.12.2024
- Phantastik
- ·
- Science-Fiction
Mit Ein Gebet für die achtsam Schreitenden endet (vorläufig) die Reise von Geschwister Dex und Roboter Helmling. Gelingt Becky Chambers ein zufriedenstellender Abschluss?
Rückkehr in die Zivilisation
Eines Tages zogen sich die Roboter auf dem Mond Panga in die Wildnis zurück und brachen den Kontakt zur Menschheit ab. Bis gut zweihundert Jahre später unvermittelt der Roboter Helmling auftaucht und die ruhige Welt des Teemönchs Dex durcheinanderbringt.
Helmling möchte wissen, was die Menschheit braucht. Unvermeidlich dazu: der Weg in die Zivilisation. Eine Reise voller Fragen und Erkenntnisse beginnt…
Vorläufiger Abschluss
Der erste Band, Ein Psalm für die wild Schweifenden, überzeugte in nahezu allen relevanten Kategorien. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich der Fortsetzung widmen sollte.
Gleichzeitig stellt diese Novelle den vorläufigen Abschluss der Dex&Helmling-Reihe dar. Zwar hat Becky Chambers eine Fortsetzung nicht völlig ausgeschlossen. In näherer Zukunft sollten wir damit aber nicht rechnen. Doch was erwartet uns nun hier?
Optimistische Zukunftsvision
Die Ausgangssituation hat sich nicht grundlegend verändert: Wir befinden uns immer noch auf dem Mond Panga. Dessen Bewohner sahen sich einer Reihe von existentiellen Bedrohungen ausgesetzt, die sie erst im letzten Moment abwenden konnten. Sie beschlossen, fortan im Einklang mit der Natur zu leben. Entsagten weitgehend dem Kapitalismus und stellten Lebensqualität über finanzielle Interessen.
Natürlich wurde nicht jeder Aspekt bis ins letzte Detail zu Ende gedacht. Das ist ob der Kürze der Geschichten auch gar nicht zu erwarten gewesen. Dennoch handelt es sich um eine in sich stimmige Welt. Eine Welt, die sich von den allgegenwärtigen düsteren Zukunftsvisionen positiv abhebt und auf jeder Seite Hoffnung und Geborgenheit ausstrahlt.
Die großen und kleinen Themen
Die Handlung lässt sich mit wenigen Worten zusammenfassen: Dex und Helmling besuchen unterschiedlichste Siedlungen, lernen Menschen und Gebräuche kennen und führen interessante und teilweise philosophische Gespräche. Es geht dabei mindestens genauso sehr um die großen wie um die kleinen Dinge des Lebens: Tod und Vergänglichkeit werden thematisiert, genauso aber auch die Freude über eine warme Dusche oder über ein anregendes Gespräch. Wirklich interessant fand ich etwa die Frage, was es bedeutet, wenn ein Roboter mit Bewusstsein Ersatzteile benötigt. Uns erwartet eine überraschende, indes einleuchtende Antwort.
Die jeweiligen Themen werden dabei in einem angemessenen Umfang auf einem angemessenen Niveau behandelt. Der Umfang des Büchleins deutet es bereits an: Oftmals stellen die Textpassagen nicht mehr als eine Einladung dar, sich mehr mit diesen Themen zu beschäftigen. Es geht ohnehin mehr um den Diskurs an sich als um die eine richtige Antwort. Mehr will und kann dieses Buch verständlicherweise nicht leisten.
Feel-Good Science-Fiction
Was dieses Buch aber kann, ist, eine optimistische Perspektive zu bieten. In Zeiten, in denen selbst vermeintlich seriöse Zeitungen auf Clickbait-Überschriften zurückgreifen, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass sich unsere Welt immer mehr dem Abgrund entgegen bewegt. Chambers stellt diesem Berufspessimismus eine literarische Fackel entgegen. Sie beleuchtet aufgeladene Konflikte aus einer kindlichen – weil neugierigen und offenen – Perspektive heraus. Und erzeugt damit eine Feel-Good-Atmosphäre und das Gefühl, die Probleme dieser Welt lösen zu können. Ohne dabei die Grenze zur Naivität zu überschreiten.
Perfekt ist diese Geschichte natürlich trotzdem nicht. Ich liebe die Welt, ich liebe die Figuren und ich liebe die Atmosphäre. Aber im Grunde fühlt sich dieser Band wie ein Aufguss des ersten Bandes an. Wenn das mein größter Kritikpunkt ist, dann spricht das natürlich für die Geschichte. Dennoch würde ich interessierten Leserinnen empfehlen, mehrere Monate Abstand zwischen den Bänden zu wahren.
Lebendige Dialoge
Meine bisherigen Ausführungen lassen es bereits vermuten: Die Geschichte besteht beinahe ausschließlich aus Dialogen. Alle anderen handwerklichen Aspekte spielen eine allenfalls untergeordnete Rolle. Chambers gelingt abermals das Kunststück, Dialoge so realistisch und warmherzig zu verfassen, dass sie wie echte Gespräche wirken. Und nicht wie umformulierte philosophische Abhandlungen.
Und ja, es werden stellenweise Neopronomen verwendet, und ja, man gewöhnt sich daran. Man kann sich natürlich auch wie ein kleines Kind anstellen und quengeln. Man kann es aber auch einfach sein lassen.
Was bleibt?
Ein Gebet für die achtsam Schreitenden von Becky Chambers erfüllt die hohen Erwartungen, die der gelungene erste Band hervorgerufen hat. Es handelt sich abermals um eine optimistische – aber niemals naive Zukunftsvision. Die sich gegen Schwarzmalerei und Hass stellt und eine willkommene Pause und Abwechslung im Lesealltag bietet.
Natürlich könnte man die offenkundigen Überschneidungen mit dem ersten Band kritisieren. Dieses Problem lässt sich jedoch durch die Einhaltung eines längeren Abstandes zwischen den beiden Bänden lösen. Das Ende sollte die meisten Leser zufriedenstellen, auch wenn Raum für die eine oder andere Fortsetzung verbleibt.
Liebevoll gestaltet
Auch bei diesem Band aus dem Carcosa Verlag handelt es sich um ein liebevoll produziertes Hardcover-Bändchen. So dürfen wir uns erfreulicherweise über eine Fadenheftung und ein Leseband freuen. Das Innere überzeugt durch eine effiziente Raumausnutzung und sorgfältig aufeinander abgestimmte Buchkomponenten. Sicherlich ist das immer noch viel Geld für ein schmales Büchlein. Dafür erhält man aber auch mehr Buch. Die Übersetzung fertigte abermals Karin Will an.
Pro/Contra
Pro
- Wundervolles Protagonisten-Duo
- Lebendige Dialoge
- Optimistische, aber niemals naive Zukunftsvision
Contra
- Keine wirklichen Neuerungen
Fazit
Ein Gebet für die achtsam Schreitenden von Becky Chambers stellt eine optimistische Zukunftsvision dar, die Hoffnung vermittelt und zum Nachdenken anregt, ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren.
autorin: Becky Chambers
Titel: Ein Gebet für die achtsam Schreitenden
Seiten: 182
Erscheinungsdatum: 2024 (2022)
Verlag: Carcosa Verlag
ISBN: 9783910914124
Übersetzerin: Karin Will
illustratoren: –
Reihe: Dex & Helmling (2)










[…] Ein Gebet für die achtsam Schreitenden Eugen und ich haben zu Becky Chambers Buch eine sehr ähnliche Meinung. Er urteilt aber sehr treffend, warum die aktuell gerade mal zweiteilige Reihe trotz Schwächen im zweiten Teil so gut ist: „Chambers stellt diesem Berufspessimismus eine literarische Fackel entgegen“. […]
Das habe ich ganz ähnlich erlebt wie du. An und für sich mochte ich den positiven Take auf Science-Fiction, das Anti-Doomscrolling sozusagen. Andererseits habe ich etwas die Pointe vermisst und kam für mich dann zum Schluss, dass vielleicht die Denkanstöße durch das Buch reichen. Oder reichen müssen.
Ich wusste BTW gar nicht, dass Becky Chambers eine Fortsetzung nicht ausschließt. Ich würde weiterlesen, wenn da noch was kommt.
Ich würde auch dem dritten Teil eine Chance geben – mir dann aber einen anderen Ansatz wünschen.
Chambers hat auf ihrer Homepage die Möglichkeit zumindest offengehalten – in den letzten Jahren hat sie aber auch nicht sonderlich viel veröffentlicht, das könnte also noch dauern🤔