Frühlingsgefühle
von Anton Cechov
24.06.2022
- Klassiker
Mit den Frühlingsgefühlen liegt eine Sammlung von Kurzgeschichten des russischen Schriftstellers Anton Cechov vor, die im weitesten Sinne die Liebe in den Mittelpunkt stellen. Kann diese Sammlung mit den Vorgängerbänden mithalten?
Die Liebe in all ihren Facetten
Nachdem wir in den vergangenen Jahren vom Diogenes Verlag mit den Sommer– und Wintergeschichten beglückt wurden, folgt nun also das Frühjahr und thematisch damit verknüpft natürlich die Liebe. Auf 269 Seiten erwarten uns 22 Kurzgeschichten, deren Umfang von wenigen Seiten bis hin zu (beinahe) Novellen reicht. Wie bereits in den Vorgängerbänden fällt es mir schwer, einzelne Geschichten hervorzuheben – nicht umsonst gilt Anton Chechov als Meister der Kurzgeschichte. Ich will dennoch einen Versuch wagen.
Ein erstes Highlight stellt bereits zu Beginn Zelenaja Kosa dar. Eine junge Frau soll den letzten Willen ihres verstorbenen Vaters erfüllen und verheiratet werden – doch sie liebt jemand anderen. Zum Glück weiß sie treue Freunde um sich, die sich mit allen Mitteln dagegenstemmen. In Verocka verbringt ein Mann einige schöne Wochen bei einer Gastfamilie. Als er abreisen will, gesteht ihm die Tochter des Hauses seine Liebe. Doch was soll man tun, wenn man diese Liebe nicht erwidert?
Seelchen wiederum ist eine bittersüße Geschichte über eine Frau, deren Ehemänner nicht lange am Leben bleiben. Jedem Mann passt sie sich bedingungslos an, doch was bleibt am Ende von ihr übrig? In Das geplatzte Geschäft öffnet sich ein Verlobter gegenüber seiner Zukünftigen und löst damit ungeahnte Folgen aus.
In Die Braut beginnt eine junge Frau gerade noch rechtzeitig damit, ihren eigenen Wert zu erkennen und kämpft gegen Tradition und Konventionen an. Der Literaturlehrer ist die Geschichte eines Gymnasiallehrers, der scheinbar alles hat, was man für sein Lebensglück benötigt. Doch der Tod eines Freundes lässt ihn alles in Frage stellen.
Die wohl längste und auffälligste Geschichte des Bandes ist Der schwarze Mönch. Der junge und aufstrebende Magister Andrej verbringt einige Monate auf dem Land. Die Zukunft scheint ihm zu gehören, doch langsam verfällt er dem Wahnsinn. In der abschließenden Geschichte Ende gut sucht ein älterer Herr die Hilfe einer Heiratsvermittlerin und bekommt schließlich eine Braut, mit der niemand gerechnet hätte.
Eine unwahrscheinliche Karriere
Das Anton Cechov irgendwann Schriftsteller werden würde, war so wohl nicht vorherzusehen. Er wuchs nach seiner Geburt 1860 in mehr als nur bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater war ehemaliger Leibeigener, der vergeblich als Kaufmann Fuß zu fassen versuchte. Sein einziger Ausweg aus diesem Leben war seine Liebe zum Theater und zur Literatur.
Trotz aller Widrigkeiten gelangte er an ein Stipendium und konnte in Moskau Medizin studieren. Dort begann er erste Theaterstücke und Kurzgeschichten zu veröffentlichen, um sich finanziell über Wasser zu halten. Er schaffte schließlich den Durchbruch und konnte es sich leisten, nur noch nebenberuflich als Arzt tätig zu sein. Bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1904 durch Tuberkulose veröffentlichte er Hunderte Kurzgeschichten und Theaterstücke, die ihm zu Wohlstand und Ruhm verhalfen.
Früh- und Spätwerk
In den Frühlingsgefühlen präsentiert uns der Diogenes Verlag Geschichten aus seinem Früh- und Spätwerk. Die jüngste stammt aus dem Jahre 1882 (Zelenaja Kosa), die älteste (Die Braut) erschien kurz vor seinem Tod im Jahre 1903.
Passend zum Titel spielen die meisten Geschichten zumindest teilweise im Frühjahr, doch viel bedeutsamer ist der Untertitel Geschichten von der Liebe. Den Herausgebern dieser Ausgabe ist es gelungen, ein breites Spektrum an Liebesgeschichten abzudecken. So haben wir hier natürlich auch einige „klassische“ Liebesgeschichten, aber mindestens genauso oft handeln sie von unglücklich Verliebten oder stellen „nur“ kurze Humoresken dar.
Ein Meister der Kurzgeschichte
Cechov bildet dabei die ganze Bandbreite der russischen Gesellschaft ab, vom einfachen Bauern bis hin zum alten Adel ist jede Gesellschaftsschicht hier vertreten. Auch wenn der typische Cechov-Humor auch hier jederzeit zutage tritt, so schlagen einige Geschichten einen deutlich düsteren Tonfall ein. Der schwarze Mönch etwa beginnt dabei wie eine normale Liebesgeschichte, endet dann aber als düstere Erzählung, die – unabhängig von der Qualität an sich – so gar nicht zum Rest des Bandes passt. Besonders gelungen finde ich die kleinen Humoresken, die nur wenige Seiten umfassen und zwischen der einen oder anderen düsteren Geschichte den Band wieder auflockern.
Seine Erzählungen zeichnen sich vor allem durch ihren skizzenartigen Stil aus. Er hält sich nicht mit ellenlangen Beschreibungen und unnötigen Details auf, sondern reduziert seine Beschreibungen auf das Nötigste. Das verleiht seinen Geschichten eine Dynamik, der man sich als Leser nur schwer entziehen kann. Der Leser fliegt geradezu durch die Handlung, was auch erklärt, warum in den Geschichten trotz ihrer Kürze relativ viel passiert.
Thema perfekt umgesetzt
Die Übersetzung stammt zum größten Teil von Peter Urban, nur bei wenigen Ausnahmen hat Beate Rausch bei der Übersetzung mitgewirkt. Peter Urban arbeitete bis zu seinem Tod im Jahre 2013 daran, das Gesamtwerk von Cechov neu zu übersetzen und hat eine gefällige und leserfreundliche deutsche Version hervorgebracht.
Alles in allem lässt sich sagen, dass der Diogenes Verlag mit den Frühlingsgefühle(n) einen absoluten Pflichtband geschaffen hat. Das vorgegebene Thema wurde perfekt getroffen und vielseitig umgesetzt. Wer bereits die Sommer- oder Wintergeschichten sein Eigen nennt, wird mit den Frühlingsgefühlen mehr als nur zufrieden sein. Aber auch Neu-Leser können bedenkenlos zu diesem Band greifen – das gilt natürlich auch für die anderen Bände.
Ein gewöhnlicher Diogenes Band
Die Ausgabe des Diogenes Verlages reiht sich nahtlos an die anderen Bände ein. Das Buch umschließt ein beiger Leineneinband mitsamt geprägtem Titelschild. Der minimalistische Diogenes-Umschlag wird mit dem Gemälde Magnolia von Wilhelm List verziert und glücklicherweise ist wieder ein Leseband vorhanden. Auf eine Fadenheftung wurde verzichtet, das war angesichts des Preises allerdings auch zu erwarten. Auch hier fehlt ein Anhang: Gerade bei diesen Themenbänden hätte ich mir zumindest ein Nachwort der Herausgeber gewünscht, dass die Auswahl der Geschichten erläutert.
Bibliographie
Pro/Contra
Pro
- Cechovs skizzenhafter Stil verleiht den Geschichten eine Dynamik, der man sich nur schwer entziehen kann
- das Thema Frühling wurde perfekt umgesetzt
Contra
- ein Anhang mit Hintergrundinformationen fehlt leider
Fazit
Die Frühlingsgefühle von Anton Cechov bieten nicht nur im Frühjahr ausgezeichnete Unterhaltung. Jedem Freund der Kurzgeschichte sei diese Sammlung ans Herz gelegt.
autor: Anton Cechov
Titel: Frühlingsgefühle
Seiten: 269
Erscheinungsdatum: 1882-1903
Verlag: Diogenes Verlag
ISBN: 9783257071825
übersetzer: Peter Urban, Beate Rausch
illustratorIn: –