Robinson Crusoe
von Daniel Defoe
02.04.2021
- Klassiker
Wie so viele las ich als Jugendlicher zahlreiche Versionen von Robinson Crusoe, deren Umfang stark variierte, doch keine erreichte die ungekürzte und von Rudolf Mast neu übersetzte Ausgabe. Daniel Defoes Roman zählt nichtsdestotrotz zu den bekanntesten Abenteuerromanen aller Zeiten und wurde im Laufe der letzten Jahrhunderte unzählige Male von Literatur, Film und Fernsehen adaptiert und auch kopiert.
Gestrandet auf einer einsamen Insel
Die Handlung des Inselromans beginnt zunächst auf dem Festland, als der junge Robinson Crusoe unzufrieden ist mit der Aussicht, ein Leben in der grauen Mittelschicht zu führen. Gegen den Willen seines Vaters bricht er von New York aus zu einer Reise nach London auf, doch bereits nach kurzer Zeit sinkt sein Schiff. Unbeirrt davon wird er in England Kaufmann und führt erfolgreich Expeditionen nach Afrika durch, bevor er selbst Opfer eines Piratenüberfalls wird und erst nach jahrelanger Sklaverei nach Brasilien fliehen kann. Dort wird er mit mehr Glück als Verstand Besitzer einer erfolgreichen aber langsam wachsenden Zuckerrohrplantage.
Um billig Sklaven für seine Plantage zu beschaffen macht er sich im Rahmen einer illegalen Expedition auf nach Afrika, doch wieder erleidet er Schiffbruch und überlebt als einziger auf einer einsamen Insel. Durch einen glücklichen Zufall kann er noch viele nützlichen Materialien und Werkzeuge aus dem Schiff retten, die ihm das Überleben erleichtern sollen. Nach einer kurzen Phase der Verzweiflung beginnt er sich auf der Insel einzurichten und führt ein genügsames und einsames Leben, bis er Jahrzehnte später endlich Spuren von Menschen auf seiner Insel findet.
Daniel Defoe wurde etwa 1660 in eine mittelständische Familie geboren und sollte nach dem Willen seines Vaters Geistlicher werden. Stattdessen verdingte er sich als Kaufmann, bevor er erst im hohen Alter als Schriftsteller und Essayist auftrat. So erschien Robinson Crusoe im Jahre 1719, Defoe war zu diesem Zeitpunkt bereits 59 Jahre alt.
Alexander Selkirk als Vorbild
Der Roman wurde innerhalb kürzester Zeit sogar so erfolgreich, dass er den Begriff der Robinsonade prägte, der die unfreiwillige Isolation auf einer einsamen Insel oder einem entlegenen Ort und die damit verbundenen Probleme bezeichnet. Zahlreiche Nachahmer taten sich auf und bis heute stellt das Überleben auf einer einsamen Insel ein spannendes Gedankenexperiment für die meisten Menschen dar.
Die Vorlage für sein Werk bildete das Leben des schottischen Seemannes Alexander Selkirk, der 1704 von seinem Kapitän auf der Insel Mas a Tierra, über 600 km vom chilenischen Festland entfernt, mit wenigen Ausrüstungsgegenständen ausgesetzt wurde und über vier Jahre hinweg alleine überlebte, ehe ihn ein britisches Schiff aus seiner misslichen Lage befreien konnte.
Akademische und Kaufmännische Einflüsse
Bei der Betrachtung des Romans kommt man nicht umhin festzustellen, dass die zwei prägendsten Strömungen in Defoes Leben, sowohl seine geistig-akademische Erziehung, als auch sein mäßig erfolgreiches Kaufmannsdasein, großen Einfluss auf sein Werk genommen haben.
Seine kaufmännische Weltsicht nahm dabei vor allem Einfluss auf den Erzählstil, machte allerdings auch nicht vor dem Inhalt halt. Erzählt wird der Roman zum überwiegenden Teil in der Rückschau aus der Perspektive des bereits heimgekehrten Robinson Crusoe, die nur durch wenige Tagebucheinträge unterbrochen wird. Charakteristisch für den Roman sind die ellenlangen Wiederholungen und Abschweifungen, die sich durch den ganzen Roman ziehen und durch buchhalterische Aufzählungen und Beschreibungen der Geschehnisse geprägt sind. Diese werden zwar immer wieder durch leicht ironische Kommentare aufgelockert, doch Sie passen nicht zu dem Bild, das man als Leser der nicht vollständigen Crusoe-Ausgaben hat.
Tatsächlich besteht beinahe der gesamte Aufenthalt auf der Insel aus der Bewältigung von Problemen wie einer funktionierenden Landwirtschaft, den Versuchen Ziegen zu zähmen, dem Errichten von Behausungen und vielen anderen handwerklichen Tätigkeiten. Jegliche Spannung wird zielgerichtet durch präzise Mengen- und Zeitangaben vernichtet. Tatsächlich finden ein Großteil der spannenden und Actionreichen Szenen zu Beginn und zum Ende des Romans statt und doch möchte man das nicht negativ sehen, sondern dem Inselaufenthalt sogar eine entschleunigende Wirkung zusprechen. Es hat tatsächlich eine beruhigende Wirkung Robinson bei der Jagd zu begleiten oder seine missglückten handwerklichen Experimente zu beobachten.
Defoes religiöse Erziehung nimmt einen nicht minder wichtigen Teil des Romans ein. Zu Beginn nimmt Robinson die Religion auf die leichte Schulter, und seiner eigenen Überzeugung nach gerät er deswegen erst in ein solches Unglück. Bereits die Seemänner auf seinem ersten Schiff warnen ihn ob seiner mangelnden Gottesfurcht, doch er nimmt diese Zeichen nicht Ernst und erst auf der Insel wird er nach einem Fiebertraum zum überzeugten Christen. Dann allerdings voll religiösem Eifer, er tritt sogar als Missionar bei Freitag auf, ein Prozess, den Defoe sicher nicht ohne eine Spur Ironie geschildert hat.
Weltanschauungen aus einer anderen Zeit
Problematisch ist der Roman aus heutiger Sicht, da er aus der Sicht eines privilegierten Europäers der Kolonialzeit geschrieben wurde. Trotz seines Glaubens hat er keine ernsthaften Probleme damit, den muslimischen Schiffsjungen Xury, der ihm zur Flucht aus der Sklaverei verholfen hatte, gegen Geld zu verkaufen. Dieser könnte ja schließlich nach zehn Jahren Dienst die Freiheit erlangen, sofern er bis dahin zum Christentum konvertieren würde. Auch die Sklaverei an sich scheint für ihn kein Problem darzustellen. Obwohl er selbst einige Jahre als solcher lebte, begibt er sich auf eine illegale Expedition, um billige Arbeitskräfte zu beschaffen.
Auch auf der Insel gelangt er nicht zu Demut, vielmehr sieht er sich als rechtmäßigen Herren dieser Insel, obwohl die Ureinwohner sie schon viel länger nutzten. Auch sein Verhältnis zu Freitag folgt einer klaren Hierarchie: Freitag erhält den Namen von ihm, muss ihn Herr nennen, befolgt seine Regeln, lernt seine Sprache und muss ihm bis zum Ende unterwürfig dienen. Und obwohl Freitag sich so gut es geht den europäischen Gepflogenheiten anpasst, bleibt er doch Zeit seines Lebens Mensch zweiter Klasse und wird von Robinson von oben herab behandelt.
Warum wurde der Roman so häufig gekürzt?
All diese Tatsachen erklären auch, warum dieser Roman wie kein Zweiter von Kürzungen betroffen war. In der hier vorliegenden, ungekürzten Fassung taugt der Roman wenig als Abenteuer- oder Jugendroman, erst Kürzungen und Umdichtungen lassen die Längen verschwinden und das Motiv der Robinsonade, die die Hauptursache für die Faszination und unglaubliche Popularität darstellt, deutlicher hervortreten.
Gewohnt hohe Qualität eines Mare Klassikers
Der Mare Verlag veröffentlichte anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Erstausgabe, die Übersetzung von Rudolf Mast ist die erste seit beinahe fünfzig Jahren. Das Buch ist wie alle Mare Klassiker mit einem stabilen weißen Schuber ausgestattet, dessen minimalistische Gestaltung zu begeistern weiß. Das Buch selber ist in roten Leinen gebunden, fadengeheftet, mit dickem Papier ausgestattet, zudem noch ein Leseband und auch das Kapitalband fügt sich in das Gesamtbild. Der Anhang ist recht spärlich ausgestattet, neben einigen Anmerkungen zur Übersetzungen durch Rudolf Mast gibt es nur noch ein kurzes aber informatives Nachwort von Günther Wessel.
Pro/Contra
Pro
- Eine der wenigen ungekürzten Ausgaben von Robinson Crusoe
- Das Motiv des Romans übt bis heute seinen Reiz auf immer neue Lesergenerationen aus
Contra
- Defoes veraltete Weltsicht lässt sich nicht verleugnen
- Unzählige Aufzählungen lassen den Lesefluss stocken
Fazit
Robinson Crusoe zählt zu den am häufigsten verlegten Büchern der Welt und so hat so ziemlich jeder Leser schon einmal eine Fassung dieses Werkes gelesen, doch leider oft nur in einer gekürzten Jugendversion. Die Ausgabe des Mare Verlages bietet nun dem deutschen Leser die Gelegenheit, den ungekürzten Crusoe in einer bibliophilen Ausstattung kennen zu lernen und dabei die kritischen Stellen nicht aus den Augen zu verlieren.
autor: Daniel Defoe
Titel: Robinson Crusoe
Seiten: 400
Erscheinungsdatum: 1719
Verlag: Mare Verlag
ISBN: 9783866482913
übersetzer: Rudolf Mast
illustratorIn: –