Ned Myers: oder Ein Leben vor dem Mast
von James Fenimore Cooper
08.02.2021
- Klassiker
- ·
- Maritime Literatur
James Fenimore Cooper ist hierzulande vor allem als Verfasser der Lederstrumpf Romane bekannt, doch lange vor seinem Erfolg als Schriftsteller fuhr er einige Jahre in der amerikanischen Marine zur See. Diese Erfahrung prägte Abenteuerromane wie The Pilot (1824) oder The Red Rover (1827), aber auch Sachbücher oder biografische Werke wie Ned Myers: oder Ein Leben vor dem Mast.
Die Lebensgeschichte eines einfachen Seemannes
In Ned Myers oder ein Leben vor dem Mast erzählt er die bewegte Lebensgeschichte des ihm persönlich bekannten Seefahrers Ned Myers, der von 1806 bis 1843 auf unzähligen Schiffen seinen Dienst versah. Myers wird als unehelicher Sohn eines britischen Offiziers geboren, wird aber auf amerikanischen Boden großgezogen und sieht sich dementsprechend auch als Amerikaner. Bereits früh von seinem Vater verlassen, wird er von vielen großzügigen und liebevollen Familien großgezogen, spürt aber schon früh die Sehnsucht nach der Ferne.
Mit vierzehn Jahren flüchtet er und heuert bei einem amerikanischen Handelsschiff an. Wenige Jahre später schließt er Freundschaft mit James Cooper, der sich als Seekadett auf eine Offizierslaufbahn bei der Kriegsmarine vorbereitet. Nach einigen abenteuerlichen Jahren wird auch Myers gezwungen, in den Dienst der amerikanischen Seestreitkräfte zu treten, und spürt hautnah Krieg und Gewalt. Jahre später versucht er sich als Offizier in der Handelsmarine, doch Alkohol und Leichtsinn haben ihn fest im Griff.
Kein gewöhnlicher Abenteuerroman
Vor dem Lesen sollte man sich bewusst machen, dass Ned Myers kein gewöhnlicher Abenteuerroman ist, sondern die Biografie eines einfachen Seemannes. So fehlt dem ganzen Roman ein Spannungsbogen und sämtliche Geschichten werden recht einseitig und oberflächlich abgehandelt. Das ist bei einem solch ambitionierten Werk aber auch gar nicht anders möglich ohne den Umfang ins Unermessliche zu steigern, schließlich beschreibt es eine ganze Epoche und eine ganze Generation von Menschen, die die ungeheuerlichsten Dinge erleben durften und deren Geschichte heutzutage den wenigsten Menschen bekannt sein dürfte.
Erzählt wird die Geschichte zwar von Ned Myers, doch aufgeschrieben wurde sie von James Fenimore Cooper, der die Gespräche mit Myers in eine ansprechend lesbare Form brachte. Eigenen Angaben zufolge hat Cooper keine größeren Eingriffe im Text vorgenommen, ihn allerdings mit einigen wenigen Anmerkungen versehen hat. Wie viel Myers und wie viel Cooper wirklich im Text steckt, lässt sich heute nicht mehr genau nachvollziehen, doch man darf davon ausgehen, dass Cooper keine bloße Nacherzählung von Myers Berichten angefertigt hat, sondern auch eigene Gedanken im Text einfließen lassen hat.
Ein bewegtes Seefahrerleben
Myers Perspektive ist insbesondere deshalb von Interesse, weil er auf so unglaublich vielen und verschieden Schiffen gedient hat und die Meere dieser Welt auf so vielfältige Art und Weise bereisen durfte. Von einfachen Handelsfahrten, Kriegsjahren, Schmugglerfahrten, Krankheiten bis hin zu Piratenangriffen und Schiffsunglücken hat er in seinen vier Jahrzehnten auf See beinahe alles erlebt, was ein Seemann erleben kann.
Ein Höhepunkt seiner Biografie ist dabei zweifellos die Schilderung des Britisch Amerikanischen Krieges und insbesondere auch die vielen Schilderungen von „Pressungen“, die im Vorfeld stattgefunden haben und denen auch er selbst zum Opfer fiel. Das Pressen bezeichnet einen Vorgang, bei dem man Seeleute unter Anwendung von Gewalt oder List zum Dienst auf seinem Schiff zwingt. Insbesondere die Royal Navy, deren Regierung Amerikaner immer noch als britische Staatsbürger betrachtete, wandte diese Art von Zwangsrekrutierung oft auf amerikanischen Schiffen an und beendete diese Praxis erst mit dem Ende des Krieges im Jahre 1815. Die Zahlreichen zum Scheitern verurteilten Fluchtversuche Neds aus der Kriegsgefangenschaft zählen auch zu den wenigen wirklich spannenden Momenten des Romans.
Die dunklen Seiten der Seefahrt
Ein wichtiges Thema ist die Alkoholsucht unter Seeleuten, unter der auch er litt und die ihm so einige Chancen verbaute. So manches Kapitel handelt davon, wie er unter dem Einfluss von Alkohol Schaden anrichtet und auch deswegen blieben seine Versuche als Offizier zur See zu fahren wohl nur eine kurze Phase. Viel lieber verprasste er seine Heuer nach Monate- oder Jahrelangen Fahrten in Alkohol, nur um kurze Zeit später notgedrungen und pleite auf dem nächsten Schiff anzuheuern.
Er ist dabei kein Einzelfall, vielmehr war der Vollrausch unter Matrosen zu dieser Zeit eher die Regel als die Ausnahme und so ist es ihm hoch anzurechnen, dass er seinen Wandlungsprozess beschreibt. Zu Beginn seiner Seefahrtkarriere schiebt er das Problem von sich weg, erst spät muss er einsehen, wie viele Chancen ihm der Alkohol verbaut hat. Erst ein schwerer Unfall führt zu einer wachsenden Religiosität und einer nachhaltigen Besserung.
Insgesamt weiß der Roman aber durch seine Vielfalt zu begeistern, Cooper liefert ein breites Bild vom harten und entbehrungsreichen, aber auch abwechslungsreichen und spannenden Leben eines einfachen Seemannes und lässt seine Begeisterung und Liebe zur Seefahrt in jeder Zeile durchklingen.
Eine wunderschöne Klassiker Ausgabe
Die Ausgabe des Mare Verlages entspricht dem gewohnten Klassiker Standard. Mitgeliefert wird ein stabiler Schuber mit ansprechender Gestaltung und der Roman selbst ist in hellblauen Leinen gebunden, ein Titelschild ist auf dem Buchrücken geprägt und sogar das Schubermotiv findet auf dem Buchdeckel Platz. Kapitalband und Lesezeichen sind dem äußeren Erscheinungsbild angepasst und eine Fadenheftung vorhanden. Als Vorsatzpapier dienen wunderschöne Seekarten und auch das Papier ist sehr hochwertig. Insgesamt halte ich den Preis für ein so schön gestaltetes Buch für fast schon zu niedrig.
Das Glossar mit vielen maritimem Begriffen im Anhang ist gerade für Nicht-Kenner der Seefahrt sehr hilfreich und sowohl Vor- als auch Nachwort des Übersetzers Alexander Pechmann dienen dem Verständnis und der Einordnung der historischen Situation. Die Übersetzung liest sich angenehm und flüssig, eine deutschsprachige Aktualisierung war nach mehr als einem Jahrhundert allerdings auch bitter nötig.
Pro/Contra
Pro
- Vermittelt ein umfangreiches Bild vom Leben als Seefahrer
- Wunderschöne Ausgabe
Contra
- Mehr Biographie als Abenteuerroman
Fazit
Ned Myers ist eine fesselnde und authentische Biographie und schildert ohne zu sehr ins Detail zu gehen eine ganze Epoche der Seefahrt aus der Perspektive eines einfachen Seemannes. Wer Interesse an maritimer Literatur hat und keinen Abenteuerroman erwartet, findet hier ein wahres Schmuckstück, das zudem auch äußerlich zu begeistern weiß.
autor: James Fenimore Cooper
Titel: Ned Myers: oder Ein Leben vor dem Mast
Seiten: 385
Erscheinungsdatum: 1834
Verlag: Mare Verlag
ISBN: 9783866481909
übersetzer: Alexander Pechmann
illustrator: –