Auf der Suche
von Theodor Fontane
07.06.2024
- Klassiker
Theodor Fontane ist vor allem für seine großen Romane bekannt. Weniger bekannt ist, dass er auch einer der Pioniere der modernen Kurzgeschichte in Deutschland war. Eine kleine Auswahl dieser Geschichten findet sich nun im Band Auf der Suche.
Die Welt wird schneller
In der Auftakterzählung Auf der Suche wandert unser Erzähler durch Berlin und möchte die gerade neu eröffnete chinesische Botschaft besuchen. Eine Frau in meinen Jahren hat mit der Liebe nicht mehr allzu viele Berührungspunkte – so jedenfalls die Gedanken unserer weiblichen Hauptfigur. Doch ein Spaziergang auf einem Friedhof bringt so manche überraschende Erkenntnis zutage.
Im Coupe eines Zuges finden sich eine junge Frau und ein nicht mehr ganz so junger Mann wieder. Sie möchte nach Großbritannien, um dort als Erzieherin arbeiten, er hat das Land gerade verlassen und möchte nach Amerika auswandern. Eine Begegnung, die beider Leben verändern soll. Onkel Dodo erweist sich für unseren nächsten Erzähler als wahre Zumutung. Plante dieser ursprünglich einen entspannten Erholungsurlaub im Harz, muss er sich stattdessen mit einem eigenwilligen Quacksalber herumschlagen, der ganz eigene Vorstellungen von Erholung und Gesundheit hat.
In der vorletztem Geschichte Der letzte Laborant haben wir es ebenfalls mit einem Tunichtgut zu tun, der nicht unerfolgreich Heilmittel höchst zweifelhaften Inhalts vertreibt. Warum ihn niemand aufhält? Das soll Gegenstand dieser Geschichte sein. Zum Abschluss haben wir es in Gerettet! Mit einer Holzfäller-Matriarchin zu tun, die in Panik gerät: Ein Mitglied ihrer Sippe hat sich verletzt und wurde direkt zum Arzt gebracht – ein Skandal. Schließlich weiß doch jeder, dass ein Arzt nur sein Messer hat, während der örtliche Dorfschamane auf Kräuter und Sprüche zurückgreifen kann. Also wird eine Rettungsaktion geplant …
Seiner Zeit voraus
Theodor Fontane war seiner Zeit weit voraus, als er im hohen Alter von weit über siebzig Jahren auf das Potential der „short story“ aufmerksam wurde, „kleine Geschichten“, wie er sie noch nennen sollte. Seine Vorbilder waren britische Schriftsteller, allen voran Arthur Conan Doyle mit seinen Sherlock-Holmes-Kurzgeschichten, die mithilfe der immer populärer werdenden Zeitschriften enorme Erfolge feierten.
Auch wenn ihm mit seinen eigenen Zeitschriftenbeiträgen kein vergleichbarer Erfolg gelang, versammelte er seine wenigen Geschichten 1894 unter dem Titel Von, vor und nach der Reise in einem Kurzgeschichtenband, der die Grundlage für den hier vorliegenden Titel bilden sollte. Doch wie viel haben seine Erzählungen mit dem heutigen Verständnis von Kurzgeschichten gemein?
Globalisierung und Beschleunigung
Thematisch bewegte er sich jedenfalls am Puls seiner Zeit: Das Zeitalter der Beschleunigung hatte seinen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten und war gerade dabei, die Vergangenheit unter sich zu begraben. War es früher etwa noch üblich, dem lokalen Quacksalber bedingungslos zu vertrauen, sollten ihn schon bald Fortschritt und Wissen in die hintersten Ecken des Landes vertreiben.
Mit der Globalisierung kam auch die Unruhe in die Welt und so bewegen sich auch Fontanes Protagonisten unaufhaltsam durch das Weltgeschehen. Ob es nun einfache Fahrräder oder Züge sind: Niemand hat mehr Zeit, einfach nur zu flanieren und das eigene Da-Sein zu genießen – immerzu geht es weiter und weiter.
Moderne Geschichten
In diese schnelle Zeit sollten auch seine „kleinen Geschichten“ passen: Schnell zu lesen und ideal für Reisen, die immer häufiger durch Unterbrechungen geprägt waren. Theodor Fontane hat dabei erstaunlich moderne Kurzgeschichten verfasst: Die Handlung umfasst in der Regel nur ein Problem, wir werden aus dem Nichts ins Geschehen geworfen und die meisten Geschichten schließen mit einer Pointe ab.
Fontane erzählt seine Geschichten mit einem beinahe schon plauderhaften und humorvollen Unterton. Immer wieder kommt es zu kleinen (zumindest aus damaliger Sicht) moralischen Grenzüberschreitungen und kleinen Sticheleien gegen alles und jeden, ohne jedoch jemals ins Alberne zu verfallen – auch wenn Onkel Dodo sich dabei alle Mühe gibt. Leider bleiben die Geschichten nicht allzu lange im Gedächtnis haften – es fehlt das starke Thema, die starke Pointe, die sich in das Gedächtnis des Lesers einzuprägen vermag.
Was es auf jeden Fall zu kritisieren gilt, ist der Umfang dieses Büchleins. Während der Originalband dreizehn Geschichten enthält, müssen wir in dieser Ausgabe mit sechs Geschichten vorliebnehmen. Hätte man die (sehr großzügige) Schriftgröße ein wenig verringert, dann hätte man alle Kurzgeschichten versammeln können, ohne den Umfang des Buches nennenswert zu vergrößern. Thematisch sind die Geschichten allenfalls durch das Reise-Motiv vereint – was aber so wohl auch für die ausgelassenen Kurzgeschichten gilt. Jedenfalls bietet dieser Band die Gelegenheit, einigermaßen erschwinglich und mit möglichst wenigen Hindernissen mit Fontane Kontakt aufzunehmen.
Was bleibt?
Die in Auf der Suche versammelten Geschichten von Theodor Fontane können im Großen und Ganzen überzeugen. Sie fangen den Zeitgeist auf, erinnern handwerklich stark an moderne Kurzgeschichten und überzeugen durch Witz und leichte Spitzen gegen etablierte Positionen.
Leider fehlt das gewisse Etwas, die entscheidende Kurzgeschichte oder ein überzeugendes gemeinsames Stilmittel, das die Geschichten in das Gedächtnis des Lesers verankert. Man macht mit diesem Band sicherlich nichts falsch, wenn man Fontane oder Kurzgeschichten mag – eine literarische Offenbarung darf man allerdings auch nicht erwarten.
Schmuckes Büchlein mit kleineren Schwächen
Rein äußerlich handelt es sich um ein recht ansehnliches kleines Büchlein aus dem Aufbau Verlag. Auch wenn wir mit einer Klebebindung vorliebnehmen müssen und auf ein Leseband verzichten müssen, überzeugt der stilsicher gestaltete Leineneinband durch ein ansehnliches aufgedrucktes Cover und den überzeugenden und dezenten Einsatz von Goldprägungen.
Auch im Inneren wurde viel Wert auf die Fortsetzung der ansprechenden Gestaltung gelegt. So wird jede Geschichte von einem Bild eingeleitet und auch hier überzeugt die gefällige Gesamtschau der einzelnen Komponenten. Leider kommen die Bilder nicht nur wegen des Schwarz-weiß-Drucks kaum zur Geltung – sie sind auch einfach nur viel zu klein – da hat man sich scheinbar keine Gedanken um den Leser gemacht. Den Band schließt ein kurzer Anhang ab, der neben einem viel zu kurzen Nachwort von Herausgeber Iwan Michelangelo D´Aprile auch noch Text- und Bildnachweise enthält.
Bibliographie
Pro/Contra
Pro
- Moderne Kurzgeschichten
- Wohl dosierter Humor
- Am Zeitgeist orientiert
Contra
- Den Geschichten fehlt das gewisse Etwas
Fazit
Auf der Suche von Theodor Fontane versammelt solide und erstaunlich moderne Kurzgeschichten, die nicht mehr und nicht weniger als einige vergnügliche Momente bereithalten.
autor: Theodor Fontane
Titel: Auf der Suche
Seiten: 144
Erscheinungsdatum: s.o.
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN: 9783351042110
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