Ein Buch mit einem Bild eines Schiffes auf einem Holztisch.

Unterwegs mit den Arglosen

von Mark Twain


01.03.2024

  • Klassiker

1869 gelang dem damals noch unbekannten Mark Twain mit einem Bericht über seine Reise ins Heilige Land der internationale Durchbruch. Doch lohnt sich die Lektüre von Unterwegs mit den Arglosen auch heute noch?

Eine Seefahrt, die ist lustig …

So hatte sich Mark Twain seine Reise sicherlich nicht vorgestellt: Ursprünglich buchte er sich auf dem ehemaligen Kriegsschiff „Quaker City“ ein, um mit einer prominent besetzten Gruppe von New York über zahlreiche europäische und afrikanische Zwischenstationen hin zum Heiligen Land zu reisen. Der Gruppe sollten unter anderem der Prediger Henry Ward Beecher und zahlreiche Generäle, Politiker und Schauspieler angehören.

Nachdem Beecher jedoch seine Teilnahme an der Reise absagte, verlor die Unternehmung für die anderen prominenten Gäste ihren Reiz. So kam es, dass Twain stattdessen mit einer streng religiösen Reisegruppe aus der amerikanischen Mittelschicht vorliebnehmen musste. Doch mit oder ohne Prominenz, nichts konnte unseren Autor auf das vorbereiten, was ihn auf der Reise erwarten sollte.

Das Fundament einer großen Karriere

Als Mark Twain 1867 die Redakteure verschiedener Zeitungen kontaktierte, um seine Reise zu finanzieren, war er noch lange nicht der weltbekannte Verfasser legendärer Romane wie Tom Sawyer oder Huckleberry Finn.

Da er ein Jahr zuvor mit Hawaii-Reportagen beachtliche Erfolge feiern konnte, fiel es ihm nicht schwer, mehrere Zeitungen von seinem Vorhaben zu überzeugen. Sie finanzierten die kostspielige Reise (1200 Dollar), dafür sollte er regelmäßig Berichte verfassen. 58 dieser Berichte sind in der vorliegenden Ausgabe abgedruckt.

Zwei Jahre später folgte eine stark überarbeitete Buchfassung (hierzulande: „Die Arglosen im Ausland“), die sich außergewöhnlich gut verkaufen und den Grundstein für seine spätere Karriere legen sollte.

Konfliktträchtige Seefahrt

Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, um die Konfliktlinien an Bord nachzuzeichnen: Auf der einen Seite eine (streng) religiöse Gemeinschaft, die sich auf der Reise ihres Lebens befand. Und endlich mit eigenen Augen die Wunder bestaunen wollte, die sie nur aus ihren heiligen Schriften kannte.

Auf der anderen Seite der junge Mark Twain: laut, immer zu einem Späßchen aufgelegt, dem Alkohol nicht abgeneigt, beständig am Fluchen und bereit, etwaige Regeln zu brechen.

Erschwerend kam hinzu, dass die Zeitungen Twains Berichte während der Reise abdruckten und die Pilger so noch vor Ende der Reise in den Genuss der literarischen Sticheleien kamen. Wie die Pilger dargestellt wurden? Der Titel sagt alles …

Niemand ist vor Twain sicher

Twain nimmt kein Blatt vor den Mund. Nichts und niemand ist vor ihm sicher. Schonungslos reißt er Witze über Freunde, Feinde, Religionen, Kulturen und Bräuche. Er ist nicht nur ein Meister darin, Schwächen und Ungereimtheiten aufzudecken. Unnachahmlich kann er seine Beobachtungen so punktgenau formulieren, dass garantiert kein Auge trocken bleibt.

Dabei fällt es schwer, eine Szene hervorzuheben. Die Reiseberichte sind einfach voll mit herrlichen Passagen. Dazu zählen etwa die Abschnitte, in denen er seine Mitreisenden als gewöhnliche Touristen darstellt. Die im Grunde nicht viel mehr als Städtehopping betreiben und das eine oder andere Souvenir mitgehen lassen. Oder sich eine Fahrt auf dem See Genezareth verderben, indem sie um den Preis feilschen.

Zwei große Fassungen

Wichtig ist hierbei zu unterscheiden, dass zwei Fassungen seines Reiseberichts existieren: Zum einen die überarbeitete Buchfassung „Die Arglosen im Ausland(The Innocents Abroad) aus dem Jahre 1869. Und zum anderen mit dem hier vorliegenden „Unterwegs mit den Arglosen(Traveling with the Innocents Abroad: Mark Twain’s Original Reports from Europe and the Holy Land) die Reiseberichte in ihrer ursprünglichen und unbearbeiteten Fassung.

Stellenweise unterscheiden sich die beiden Ausgaben inhaltlich stark voneinander. Die Ägypten-Abschnitte finden sich beispielsweise nur in der überarbeiteten Buchfassung. In vielen anderen Fällen geht es „nur“ um Kürzungen oder Erweiterungen des vorhandenen Materials sowie um stilistische Überarbeitungen.


buecherbriefe favicon

Erst wenn er ins Ausland fährt, wird der geneigte Leser erfahren, zu welch ausgewachsenem Esel er werden kann.

– Mark Twain

Twain schrieb die Briefe in seiner Kajüte auf der „Quaker City“ unter dem frischen Eindruck des Erlebten und schickte die Briefe nach und nach ab, ohne auf ein stimmiges Gesamtbild zu achten. Und genauso lesen sich seine ursprünglichen Reiseberichte. Der Text ist ein Stück weit roh, scharfzüngig formuliert und oftmals wiederholen und überschneiden sich seine Schilderungen.

In der späteren Buchfassung glättete er seine Kritik teilweise. Kürzte vorrangig die zahlreichen religionskritischen Passagen auf ein notwendiges Minimum. Und gab sich Mühe, ein stilistisch wie aus einem Guss wirkendes Werk zu schaffen.

Insgesamt kann man sagen, dass beide Versionen ihre Berechtigung haben: Auf der einen Seite ein grober, dafür scharfzüngiger und herrlich sarkastischer und rücksichtsloser Text. Auf der anderen Seite ein etwas zahmeres, aber stilistisch ausgereifteres und runderes Gesamtwerk.

Kontroverser Text – oder doch nicht?

Eines ist sicher: Twain ist vieles, aber nicht politisch korrekt und er ist nicht hier, um sich Freunde zu machen. Er macht auch vor den sensibelsten Themen nicht halt. Und greift zu, zwar humorvoll gemeinten, doch heutzutage teilweise nicht mehr vertretbaren Formulierungen.

Überdies ist es bei oberflächlicher Betrachtung möglich, ihn auf seinen Status als amerikanischen Touristen zu reduzieren und immer wieder Klischees zu bemühen. Warum es (noch nicht) dazu gekommen ist? Vielleicht hilft es ja, dass Twain mit Huckleberry Finn einen Klassiker der antirassistischen Literatur verfasst hat oder alleine schon seine Biographie und Bibliographie eine solche Annahme vollkommen abwegig erscheinen lassen.

Ich glaube nicht, dass sich Twain um Nationalitäten, Religionen oder Ähnliches wirklich gekümmert oder bekämpft hat. Dafür hat er die von ihm kritisierten Punkte zu sehr bis ins letzte Detail durchdrungen. Zum Thema Religion und Witze kann man natürlich stehen, wie man will. Wenn man sich allerdings bewusst macht, mit welchem Detailwissen er über Religionen herzieht – ohne das Internet oder eine entsprechende Bibliothek auf See zur Hand zu haben –, dann bekommt man das Gefühl, dass Twain sich mit diesen Themen besser auskannte als seine Mitreisenden.

Was bleibt?

Unterwegs mit den Arglosen von Mark Twain ist ein schonungsloser und unterhaltsamer Reisebericht. Auch wenn die versammelten Texte bisweilen roh daherkommen, ist es einfach herrlich mit anzuschauen, wie der Autor hunderte Seiten lang ununterbrochen seine Pointen zum Besten gibt und vor nichts und niemandem Halt macht.

Wer sich für die tatsächlichen historischen und kulturellen Hintergründe der Reise interessiert, der hat hier (zu) viel Dekodierungsarbeit vor sich. Freunde pointierter Unterhaltung dürfen hingegen bedenkenlos zugreifen.

Edle und minimalistische Ausgabe

Auch diese Ausgabe aus dem Mare Verlag kann vollumfänglich überzeugen. Neben dem obligatorischen stabilen und minimalistischen Schuber dürfen wir uns über einen bedruckten (wunderschönen!) Leineneinband, eine Fadenheftung und ein Leseband freuen.

Und auch das Innere des Bandes bietet keinerlei Anlass zur Kritik. Neben den schönen Karten als Vor- bzw. Nachsatz weiß vor allem die gefällige typographische Gestaltung zu überzeugen. Zudem finden wir zahlreiche Illustrationen von Truman W. „True“ Williams, die in einer amerikanischen Ausgabe aus dem Jahre 1897 erstmals veröffentlicht wurden.

Übersetzt und herausgegeben wurden die Berichte von Alexander Pechmann. Der ebenfalls noch das gelungene Vor- und Nachwort sowie den hilfreichen und passend bemessenen Anhang zu verantworten hat.

Pro/Contra

Pro
  • Twains Humor ist unübertroffen
  • Schonungslose Kritik
  • Wunderschöne und bibliophile Ausgabe
Contra
  • Stellenweise sehr roher Text

Fazit


Unterwegs mit den Arglosen ist eine bissige, schonungslose und höchst unterhaltsame Sammlung von Reiseberichten aus der Frühphase von Mark Twains reichhaltigem Schaffen. Harmoniebedürftige Leser sollten einen Bogen um diesen Band machen, alle anderen dürfen einen Blick riskieren.

autor: Mark Twain

Titel: Unterwegs mit den Arglosen

Seiten: 527

Erscheinungsdatum: 1867

Verlag: Mare Verlag

ISBN: 9783866486553

Übersetzer: Alexander Pechmann

illustratoren: –

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