Ein Foto des Buches „Babettes Gastmahl“ von Tania Blixen, platziert auf einer Holzoberfläche. Das Cover zeigt eine Abbildung von Menschen, die an einem Tisch speisen.

Babettes Gastmahl

von Tania Blixen


15.07.2022

  • Klassiker

Tania Blixen (eigentlich Karen Blixen) veröffentlichte 1950 mit Babettes Gastmahl eine kurze Erzählung, die sich dem Namen nach um kulinarische Freuden dreht. Ob dies tatsächlich der Fall ist, erfahrt ihr hier.

Wohlbehütet am Rande der Welt

Unsere Geschichte spielt in Berlevaag, einem Ort, der getrost als Rand der zivilisierten Welt bezeichnet werden kann. In diesem kleinen Dorf hat sich eine kleine, streng religiöse Gemeinschaft (manche würden wohl Sekte sagen) niedergelassen. Ihr geistiger Führer hat zwei Töchter, Martine und Philippa (benannt nach Martin Luther und Philipp Melanchthon), die im ganzen Dorf für ihre Schönheit berühmt sind. Doch unter der Obhut ihres Vaters wachsen beide wohlbehütet auf und weder schwedische Offiziere noch Pariser Opernsänger können sie in die weite Welt hinauslocken.

Nach dem Tod ihres Vaters führen beide sein Erbe fort, doch die religiöse Gemeinschaft wird brüchig. Da hilft es auch nicht, dass sie die geflüchtete Kommunardin Babette als sorgsame Haushälterin aufnehmen. Eines Tages gewinnt Babette in der Pariser Lotterie 10.000 Franc, eine unvorstellbar hohe Summe zu dieser Zeit. Die beiden Schwestern fürchten schon um den Verbleib ihrer geliebten Haushälterin. Doch diese bittet nur darum, ein einziges Gastmahl ausrichten zu dürfen. Und so wandern statt Stockbrot und Fisch auf einmal Schildkröten und seltene Weine in das karge Haus der Schwestern…

Eine literarisch-kulinarische Reise … oder doch nicht?

Wie immer bei kurzen Erzählungen versuche ich nicht zu viel über die Handlung zu verraten, um euch nicht die Freude an dieser Erzählung zu nehmen.

Tania Blixen war mir vor dieser Geschichte nur als Autorin von Jenseits von Afrika bekannt – ein Roman, der mich bislang wenig reizte. Allerdings liebe ich momentan kurze Erzählungen und bin gutem Essen nicht abgeneigt, sodass ich mit dem Kauf nicht lange zögerte. Was dann kam, überraschte mich. Ich erwartete eine literarische Reise rund um kulinarische Genüsse, doch die Erzählung entpuppte sich als humorvolle Satire – zumindest, wenn man entsprechend an sie herangeht.

So kann auf den ersten Seiten von Genuss nicht die Rede sein. Zunächst haben wir die Gelegenheit, die puritanische Dorfgemeinschaft, allen voran Martina und Philippa, und ihre Eigenheiten kennenzulernen. Eins wird uns schnell klar: Genuss und Lebensfreude gehören sicherlich nicht zu ihren Stärken. Aber auch nachdem Babette in einem fortgeschrittenen Stadium der Erzählung als Flüchtling bei den Schwestern aufschlägt, wendet sich das Blatt nicht. Babette arbeitet zwar als Haushälterin, doch im Haushalt der Schwestern stellen schon Kartoffeln das höchste aller Gefühle dar.

Erst nach dem Gewinn der Lotterie, als sich die Geschichte schon ihrem Ende zuneigt, nimmt die Erzählung in kulinarischer Hinsicht Fahrt auf – wir sprechen hier immerhin von lebenden Schildkröten und erlesensten Weinen.

Grenzwertiger Humor

Blixen legt ihren Fokus viel mehr auf die drei Frauen, die keinesfalls immer gut bei ihr wegkommen. Im ersten und längsten Teil der Erzählung führt und Blixen mithilfe eines allwissenden Erzählers episodenhaft durch wichtige Passagen aus dem Leben beider Schwestern. Sie spart dabei nicht mit humorvollen und spitzen Bemerkungen, die – angesichts ihrer Herkunft – stellenweise überheblich wirken. Sie führt uns die Eigenheiten des von Selbstaufgabe geprägten Lebens der Schwestern vor, schildert vergebliche Annäherungsversuche der Männerwelt und den schleichenden Niedergang der Sekte.

Ein Perspektivwechsel rettet die Geschichte

Erst beim Gastmahl selbst übernimmt der schwedische General Löwenhielm, als junger Mann einst ein Verehrer von Martine, die Erzählperspektive. Eine gute Entscheidung, die die Geschichte gerade noch rechtzeitig in die richtige Richtung lenkt. Denn die anderen Gäste fürchten sich vor dem, was Babette aufzutischen droht, reicht ihr Horizont doch nicht über die Dorfgrenzen hinaus. Also beschließen sie still und heimlich, die Speisen als etwas Alltägliches hinzunehmen und ihnen keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken – der religiöse Frieden soll schließlich gewahrt bleiben.

Löwenhielm hat von all dem natürlich nichts mitbekommen und so ist er der Einzige, der sich erstaunt über die erlesene Qualität der Speisen äußert. Es sorgt für mehr als einen Lacher, wenn er einen Tischnachbarn auf eine Besonderheit hinweist und dieser so tut (tun muss), als würde er eine einfache Ofenkartoffel essen.

Wie liest man Babettes Gastmahl?

Nicht wenige Leser werden den Roman wahrscheinlich anders interpretieren als ich. Womöglich als eine Erzählung über unerfüllte Sehnsüchte, über die uneinholbare Vergangenheit oder über die Kunst.

Ganz von der Hand zu weisen ist eine solche Interpretation nicht – Ansätze dafür sind durchaus vorhanden. Für mich überwiegt hier allerdings ganz klar der Humor. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich Blixen hier ernsthaft mit großen Fragen auseinandersetzen wollte. Vielmehr führt sie eine ganze Reihe von Charakteren vor, was ihr teilweise gut gelingt, stellenweise jedoch zu überheblich wirkt.

Ja, es gibt Passagen über die Kunst und es gibt einige religiöse Passagen. Aber es ist immer noch ein Unterschied, ob man etwas thematisiert und angemessen verarbeitet oder einfach nur in eine Geschichte einstreut, um ihr (vermeintliche) Tiefe zu verleihen. Die Religion kommt bei ihr nicht gut weg, die Kunst des Kochens ist letztlich bedeutungslos (schließlich existieren die Gesellschaftsschichten nicht mehr, die sie wirklich schätzen können…) und kein Charakter erreicht eine Tiefe, die eine Betrachtung über Jahrzehnte rechtfertigen würde.

Es bleibt nur der Weg der Komödie

Vielleicht bin ich zu streng mit der Erzählung, aber jeder weitergehende Gedanke löst bei mir angesichts von Blixens (überheblicher und abgehobener und keineswegs immer nur ironisch gemeinten) Grundhaltung Widerwillen aus. Betrachtet man die Erzählung hingegen als reine Komödie, so kann man eine hervorragend verdichtete und kurzweilige Erzählung genießen.

Ein schönes Buch – nicht mehr und nicht weniger

Die mir vorliegende Ausgabe von Babettes Gastmahl stammt aus dem Manesse Verlag, allerdings außerhalb der Weltbibliothek. Das macht sich zum einen am größeren Format, zum anderen am Leineneinband bemerkbar. Das darauf abgedruckte Motiv passt inhaltlich zur Geschichte. Im Inneren erwartet uns ein Leseband, eine Fadenheftung und kleine Illustrationen zu Beginn jedes Kapitels. Ich denke nicht, dass man angesichts des Preises mehr erwarten kann und darf – das passt.

Das umfangreiche Nachwort stammt von Erik Fosnes Hansen und wurde von eben diesem speziell für die deutschsprachige Leserschaft angepasst. Ich bin diesbezüglich ein wenig zwiegespalten. Während viele Passagen wirklich lesenswert sind, überinterpretiert er in anderen die Geschichte ungemein. Dennoch ist man nach dem Lesen nicht dümmer und wurde gut unterhalten.

Die Übersetzung stammt von Ulrich Sonnenberg und stellt ein Novum auf dem deutschsprachigen Markt dar. Während bisherige Übersetzungen die 1950 erschienene Erzählung als Grundlage wählten, übersetzte Sonnenberg erstmals auf Grundlage der 1958 erschienenen und deutlich umfangreicheren Version der Geschichte.

Pro/Contra

Pro
  • funktioniert als Komödie, wenn man sich darauf einlässt
  • erstmals wurde die umfangreichere Version übersetzt!
  • nach einem schwachen Start kann das Ende überzeugen
Contra
  • Blixen versucht mit oberflächlichen Gedanken ihrer Geschichte vermeintliche Tiefe zu verleihen
  • an manchen Stellen kann Blixen ihre Standesdünkel nicht verdecken!

Fazit


Babettes Gastmahl hat als kulinarische und/oder tiefgründige Erzählung ihr Ziel verfehlt. Begreift man diese Geschichte jedoch als Komödie, so kann man diese Geschichte durchaus genießen.  

autor: Tania Blixen

Titel: Babettes Gastmahl

Seiten: 120

Erscheinungsdatum: 1958

Verlag: Manesse Verlag

ISBN: 9783717560018

übersetzer: Ulrich Sonnenberg

illustratorIn: –

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