Der Mann, der Inseln liebte
von David Herbert Lawrence
29.04.2022
- Klassiker
D. H. Lawrence 1926 veröffentlichte Erzählung Der Mann, der Inseln liebte lockt mit einem Szenario, das sich in der Literatur traditionell großer Beliebtheit erfreut: der Abkehr von der Gesellschaft. Ob die Erzählung ihre Versprechungen erfüllt, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Abkehr von der Gesellschaft
Lawrence Erzählung ist in drei kurze Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil sehnt sich unser – zumeist namenloser – Protagonist nach einer kleinen Insel, um der immer komplexer werdenden Welt zu entkommen. Da er tatsächlich über ein bescheidenes Vermögen verfügt, ist er dazu in der Lage, eine solche zu erwerben und bevölkert sie mit einer kleinen, ihm scheinbar ergebenen Gemeinschaft.
Doch die Gemeinschaft erweist sich als brüchig, auch hier herrschen Neid, Missgunst und Habgier. Trotz größter Anstrengungen gelingt es ihm nicht, durch den Betrieb eines Hofes zumindest die Ausgaben auszugleichen und so zieht es ihn auf eine noch kleinere Insel. Dort arbeitet er vor allem an einem Lexikon der Pflanzenwelt, erliegt aber auch den Reizen seiner Haushälterin. Es kommt wie es kommen muss und schon nach kurzer Zeit erwarten sie ein Kind. Vor dieser Verantwortung fliehend zieht es ihn alleine auf eine dritte Insel, und hofft in der Einsamkeit Erfüllung zu finden.
Basierend auf wahren Ereignissen
Schenkt man den Worten von Thierry Gillyboeuf Glauben, so basiert die Geschichte von David Herbert Lawrence auf wahren Ereignissen. Sein Freund Compton Mackenzie soll genau wie der Protagonist dieser Erzählung über mehrere Jahre hinweg auf verschiedenen Inseln gelebt haben, ohne sein Glück zu finden und auch Lawrence selbst suchte vergeblich auf dem ganzen Erdball nach einem „idealen“ Ort zum Leben.
Wie bei jeder Kurzgeschichte versuche ich mich auch hier auf das Nötigste zu beschränken und möglichst wenig von der Handlung vorwegzunehmen. Zur Erzählung selbst sei gesagt, dass sie auf überaus großzügig gesetzten 70 Seiten solide Unterhaltung bietet und weder auffällige Höhen noch Tiefen vorzuweisen hat. Lawrence lässt seinen Protagonisten meist nicht selber zu Wort kommen, sondern vermischt dessen Gedanken mit seinen eigenen, sodass die Grenzen fließend sind. Stellenweise hat mich das an Theodore Dreisers Sister Carrie erinnert, wobei es bei Letzterem immerhin immer klar war, wessen Kommentare der Leser gerade liest. Alles darüber hinaus ist handwerklich in Ordnung, mehr aber auch nicht.
Viel Bewegung auf der Oberfläche
Ein Leser, der die Gedanken Lawrence etwas abgewinnen kann, wird diese Geschichte wahrscheinlich besser bewerten. Mir selber fällt es allerdings schwer. Natürlich kann ich dem Grundgedanken der Abkehr der Gesellschaft etwas abgewinnen. Man müsste schon sehr abgestumpft sein, um angesichts der immer schneller werdenden Welt nicht den Reiz des einfachen Lebens zu erliegen.
Allerdings fällt es mir schwer, Lawrence Interpretation gutzuheißen. Bei dem Protagonisten handelt es sich nicht um einen Suchenden, sondern um einen gelangweilten und überforderten Privilegierten, der jeglichen Kontakt zur Realität verloren hat. Sein Problem ist nicht die Gesellschaft, sein Problem ist das Leben an sich. Nichts, was er von sich gibt, hat irgendeine Bedeutung. Vielmehr handelt es sich bei seinen Gedanken um oberflächliche Äußerungen, die genauso gut auf einem Glückskeks abgedruckt werden könnten. In seiner Verzweiflung verkennt der Protagonist die Verbindung von Körper und Geist, die (in meinen Augen) untrennbar miteinander verbunden sind.
Was als „bewegende Beschwörung der Innerlichkeit“ beworben wird, ist die Abkehr von jeglicher Vernunft. Es ist kein Wunder, dass er nirgendwo Erfüllung findet, wenn er nicht mit sich selbst im Reinen ist und sich selbst verleugnet. Was passiert, wenn man diese Verbindung verkennt, zeigt sich traurigerweise auch in unserer heutigen Gesellschaft (Stichwort katholische Kirche). Streckenweise hat mich der Protagonist an eine Figur aus der Serie Rick und Morty („persönlicher Freiraum“, S1 E8) erinnert. Dies war wenigstens ein guter Anlass, mir einige Folgen dieser Serien anzuschauen – was deutlich ergiebiger war als die Lektüre dieser Kurzgeschichte.
Ein einfaches Taschenbuch
Die Taschenbuchausgabe des Kampa Verlags (Kampa Pocket) entspricht genau dem, was man als Käufer erwarten kann. Es ist ein solides Taschenbuch ohne auffällige Mängel oder Besonderheiten. Der Erzählung schließt sich noch ein kurzes Nachwort von Thierry Gillyboeuf an, dass – je nach Perspektive – zu viel oder zu wenig in diese Erzählung hineininterpretiert.
Pro/Contra
Pro
- handwerklich solide
Contra
- oberflächliche Gedanken wollen Tiefe suggerieren
Fazit
Der Mann, der Inseln liebte ist eine kurzweilige und solide Kurzgeschichte, die über einige oberflächliche Betrachtungen hinaus keinen Mehrwert bietet. Man macht nichts falsch mit dieser Geschichte, die Zeit kann man allerdings auch deutlich besser nutzen.
autor: David Herbert Lawrence
Titel: Der Mann, der Inseln liebte
Seiten: 92
Erscheinungsdatum: 1926
Verlag: Kampa Verlag
ISBN: 9783311150251
übersetzer: Manfred Allie
illustrator: –